Zu Beginn des neuen Geschäftsjahres haben die zehn größten deutschen Kanzleien insgesamt 50 neue Equity-Partner ernannt. Darunter waren nur sechs Frauen. Ist die Equity-Partnerschaft für eine Frau unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn?
Stellen wir uns Lisa vor. Lisa ist eine ehrgeizige junge Juristin. Sie hat beide Staatsexamen mit dem begehrten "vollbefriedigend" abgelegt, einen LL.M. gemacht und mit ihrer Promotion ist sie auch bald fertig. Lisas Berufswunsch ist es, als Partnerin bei einer großen Wirtschaftskanzlei diejenigen Firmenübernahmen zu steuern, über die alle in der Zeitung lesen.
Dafür hat sie beste Voraussetzungen, denn sie bringt mit ihren Qualifikationen die "volle Kriegsbemalung" mit, die den großen Law Firms so wichtig ist. Wird Lisa ihr Ziel erreichen? Wenn wir die nackten Zahlen betrachten, müssen wir sagen: Die Chancen stehen schlecht. Weil sie eine Frau ist.
Dabei ist Lisa an der Universität noch in bester weiblicher Gesellschaft, denn nach den aktuellsten Zahlen war im Jahr 2017 laut Statistischem Bundesamt mehr als die Hälfte der Jurastudenten weiblich: Rund 56 Prozent, also 64.833 von insgesamt 116.217 Jurastudenten.
Auch die Zahl der Rechtsanwältinnen in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich. Waren 1970 laut einer Statistik der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) unter den knapp 23.000 Rechtsanwälten nur magere 4,5 Prozent Frauen, hat sich das Bild 48 Jahre später massiv gewandelt. 2018 zählte die BRAK schon 164.656 Rechtsanwälte in Deutschland, davon waren 57.251 Frauen - mehr als ein Drittel. Damit ist nicht nur die Zahl der Rechtsanwälte seit 1970, dem Beginn der BRAK-Erhebung, deutlich gestiegen – auch der Frauenanteil ist überproportional gewachsen.
Nur sechs neue Partnerinnen in den zehn größten Law Firms
Daraus könnte man die Vermutung ableiten, dass auch bei den großen Wirtschaftskanzleien, also Lisas Wunscharbeitgebern, gut ein Drittel Rechtsanwältinnen arbeiten könnten – doch das ist nicht der Fall - zumindest nicht in den Partneretagen. Tatsächlich haben die zehn größten Sozietäten hierzulande zu Beginn des neuen Geschäftsjahres insgesamt nur sechs Frauen in ihre Equity-Partnerschaften befördert – aber 43 Männer. Im Detail sieht das so aus:
CMS: Mit mehr als 600 Rechtsanwälten und Steuerberatern die größte Kanzlei Deutschlands. Anfang 2019 arbeiteten hier 232 Partner, darunter 34 Frauen – ein Anteil von knapp 15 Prozent. Im Januar 2019 wurden drei Anwälte neu in die Partnerschaft aufgenommen, darunter war keine Frau.
Freshfields Bruckhaus Deringer: Mit Beginn des neuen Geschäftsjahres im Mai 2018 hat Freshfields drei Anwälte und eine Anwältin in die Equity-Partnerschaft aufgenommen. Insgesamt hat die Sozietät 99 Partner in Deutschland, darunter zehn Frauen (zehn Prozent).
Hogan Lovells: Hier arbeiten 98 Partner, davon 16 Frauen (16 Prozent). Anfang 2019 wurden acht neue Equity-Partner aufgenommen - allesamt Männer.
Heuking Kühn Lüer Wojtek: 19 der 152 Equity-Partner in Deutschlands viertgrößter Kanzlei sind Frauen (13 Prozent). Zum Jahresanfang hat die Sozietät sieben neue Equity-Partner ernannt, darunter zwei Frauen.
Taylor Wessing: Zuletzt wurden neun Anwälte in die Equity-Partnerschaft aufgenommen - sieben Männer und zwei Frauen. Damit arbeiten derzeit 113 Partner und 18 Partnerinnen in der Sozietät, das entspricht einem Frauenanteil von fast 14 Prozent.
Noerr: Die vier neuen Equity-Partner, die Anfang 2019 ernannt wurden, sind allesamt Männer. Insgesamt sind nun 94 Equity Partner, darunter zwölf Frauen (13 Prozent) für Noerr tätig.
Gleiss Lutz: Zum neuen Jahr wurden fünf Partner aufgenommen, darunter eine Frau. Insgesamt hat Gleiss Lutz derzeit 87 Partner: 78 Männer und neun Frauen (14 Prozent).
Luther: Zum neuen Geschäftsjahr sind fünf Anwälte zum Partner gemacht worden, allesamt Männer. Die Equity-Partnerschaft setzt sich aus 65 Männern und neun Frauen zusammen (zwölf Prozent).
Linklaters: In der jüngsten Partnerrunde gab es nur eine Beförderung - ein Mann. Die Kanzlei hat in Deutschland insgesamt 62 Partner: 56 Männer und sechs Frauen (zehn Prozent).
Görg: Hier arbeiten rund 290 Anwälte und Steuerberater. Unter den 112 Partnern sind acht Frauen, das macht rund sieben Prozent Frauenanteil. Bei der vergangenen Partnerrunde sind vier Männer in die Equity-Partnerschaft aufgenommen worden.
Kanzleien wollen keine Jungsclubs sein …
Die reinen Zahlen sprechen also gegen eine Partnerkarriere als Frau. Dabei ist es nicht so, dass die Männer in den Law Firms gerne unter sich bleiben wollen. Zumindest beteuern die Kanzleimanager, dass ihnen viel an ambitionierten Anwältinnen wie Lisa gelegen ist. Beispielsweise ließ sich Dr. Pär Johansson, Managing Partner für den Bereich Personal bei Heuking, in einer Kanzleimitteilung zu den jüngsten Partnerernennungen mit den Worten zitieren, man sei "sehr froh", dass zwei Frauen die Hürde zur Equity-Partnerin "mit Bravour genommen haben". Gegenüber LTO betonte er aber, dass das Kanzlei-Management mit der aktuellen Frauenquote unter den Partnern noch nicht zufrieden sei und sich damit befasse, Frauen weiter zu fördern.
In den vergangenen Jahren sind in vielen Sozietäten unzählige Programme aufgelegt worden, mit denen Frauenkarrieren vorangetrieben werden sollen. Einige Kanzleien haben sich sogar Zielvorgaben gesetzt, um den Frauenanteil in ihren Führungsgremien zu erhöhen - unter den zehn größten deutschen Kanzleien haben Hogan Lovells und Linklaters solche Ziele formuliert.
Hogan Lovells wollte bis Anfang 2017 einen Frauenanteil von 25 Prozent in der weltweiten Partnerschaft erreichen, bis zum Jahr 2022 sollen es sogar 30 Prozent sein. Das erste Ziel ist inzwischen erreicht, doch die 30-Prozent-Marke bis zum Jahr 2022 dürfte fast unmöglich zu schaffen sein, berechnete jüngst das Branchenmagazin Legal Week: In den nächsten drei Jahren müssten in jeder Partnerrunde mehr als 75 Prozent Frauen ernannt werden - vorausgesetzt es gäbe überhaupt ausreichend viele Ernennungen.
Dass eine internationale Zielmarke den Frauen in Deutschland ohnehin wenig bringt, zeigen die jüngsten Ernennungen: 2019 hat Hogan Lovells hierzulande nur Männer in die Equity-Partnerschaft aufgenommen, 2018 dagegen lag der Frauenanteil unter den deutschen Neupartnern bei 37,5 Prozent. Stefan Schuppert, Deutschland-Chef der Kanzlei, betont, dass seiner Kanzlei die Karriere von Frauen sehr wichtig sei.
… bleiben es aber doch
Ähnlich die Lage bei Linklaters: Hier hat man sich zum Ziel gesetzt, dass mindestens 30 Prozent der neuen Partner in jedem Jahr weiblich sein sollen. Zuletzt wurde weltweit betrachtet tatsächlich ein Anteil von 37 Prozent erreicht. In Deutschland gab es jedoch nur eine – männliche - Ernennung. Auch im Vorjahr profitierten die deutschen Anwältinnen nicht von der Zielvorgabe: Unter den vier Neupartner war keine einzige Frau. 2015 und 2016 wurden hierzulande zwar insgesamt gleich viele Männer wie Frauen ernannt, doch die HR-Partnerin Kristina Klaaßen-Kaiser räumt ein, dass die Kanzlei noch nicht da ist, wo sie gerne sein will. "Wir sind mehr als Willens, Frauen zu Partnerinnen zu machen", bekräftigt sie.
Dafür sei es wichtig, Frauen, die Partnerin werden wollen, zu ermutigen und zielführende Wege aufzuzeigen, fügt sie hinzu und nennt als Beispiel ein "Women's Leadership Programm" ihrer Kanzlei. Denn die Anwältinnen hätten die Kanzleien teilweise schon verlassen, bevor sie überhaupt zu Partnerkandidatinnen werden könnten. "Unter den jungen Associates ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen, aber im Laufe der Zeit verlieren wir zu viele Frauen", sagt Klaaßen-Kaiser. Die Herausforderung liege darin, die Talente langfristig an die Kanzlei zu binden.
Knackpunkt Familiengründung
"Frauen, die perspektivisch eine Familie gründen wollen, verlassen häufig viel zu früh die Kanzleien und wechseln in ein Unternehmen, eine Behörde oder an ein Gericht – weil sie hier vermeintlich Beruf und Familie leichter unter einen Hut bringen können, obwohl gerade Großkanzleien mittlerweile viele agile Arbeitsmodelle anbieten", meint die Linklaters-Partnerin. Sie findet das "extrem schade", denn ihrer Ansicht nach ist das Klischee des frauenfeindlichen Großkanzleiwesens "vollkommen veraltet".
Auch Heuking-Partner Johansson glaubt, dass der Wunsch nach einer Familie bei Frauen oft größere Auswirkungen auf die Karriereplanung hat als bei Männern, weil die Familienplanung oft in die gleiche Zeit wie die Frage nach der Partnerschaft falle.
Aus verschiedenen Sozietäten heißt es, dass dies der Hauptgrund sei, warum es so wenige Frauen in die Partnerschaft schaffen: Wenn die Entscheidung über die Aufnahme ansteht, seien sie gar nicht mehr da – so ergebe sich zwangsläufig ein Männerüberschuss unter den Partnerkandidaten.
Dabei versuchen die Kanzleien durchaus gegenzusteuern: Schuppert sagt beispielsweise, dass Hogan Lovells versuche, die praktischen Hürden etwa der Vereinbarkeit von Karriere und Familie für Männer und Frauen zu verringern – zum Beispiel durch Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten. Ähnliche Modelle gibt es in zahlreichen anderen Sozietäten. Allerdings ist auch bekannt, dass viele Anwältinnen und Anwälte sie nur sehr zögerlich annehmen – eben weil sie Sorge haben, dass es ihnen später doch noch zum Nachteil gereichen könnte, wenn es um die weitere Karriere geht.
Was man übrigens in jeder der von LTO befragten Kanzleien betont: Wenn die Kandidaten erst einmal an der Pforte zur Partnerschaft stehen, spiele das Geschlecht keine Rolle. Die Kriterien, um Vollpartner zu werden, seien für Frauen und Männer identisch: Entscheidend komme es auf die fachliche und soziale Kompetenz an und vor allem auf den sogenannten Business Case - also ob der Tätigkeitsbereich des potenziellen Neupartners profitabel genug ist oder zumindest verspricht, profitabel zu werden, etwa weil er eine Marktlücke besetzt. Gerade am Business Case scheiterten die Kandidaten aber am häufigsten, heißt es. Und zwar sowohl die Männer als auch die Frauen.
Zumindest in der Theorie sollte die ehrgeizige Lisa damit doch ganz gute Karten haben.
Frauenanteil bei den Partnerernennungen 2019: . In: Legal Tribune Online, 17.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33275 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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