Juristen über dem Limit drücken den Panic Button, doch eigentlich soll es so weit gar nicht mehr kommen: Eine Arbeitsrechtsboutique hat ein Tool entwickelt, mit dem die Arbeit fair auf alle Juristen verteilt werden soll.
Viel Geld, viel Arbeit – so sieht das Leben nach wie vor für die Juristen in den Wirtschaftskanzleien aus, und zwar unabhängig davon, ob man Partner oder Associate ist. Zufrieden sind die Anwälte damit nicht. Die Kanzleien suchen seit Jahren händeringend nach neuen Wegen, setzen die unterschiedlichsten Arbeitszeit - oder Urlaubsmodelle auf oder zahlen schlichtweg noch mehr Gehalt. Doch die perfekte Lösung hat bisher noch keiner gefunden.
Auch die Arbeitsrechtskanzlei Pusch Wahlig Legal (PWL) denkt ständig über neue Möglichkeiten nach, um zufriedene Mitarbeiter zu haben. Die Idee dahinter ist einfach: Wer zufrieden ist, bleibt der Kanzlei erhalten, liefert gute Arbeit in einer netten Arbeitsatmosphäre und spricht darüber – was wiederum das Recruitment erleichtert.
Doch auch in einer Arbeitsrechtsboutique gibt es Stoßzeiten, in denen plötzlich alle Pläne zur Arbeitsorganisation und –verteilung mit nur einer Mandantenanfrage obsolet sind. "Die typische Reaktion ist dann, sich den nächsten Associate zu schnappen, der einem über den Weg läuft, und ihn in die neu angefallene Arbeit einzubinden", erzählt Dr. Tobias Pusch, Gründungspartner von PWL.
Um genau diese Scheinlösung nicht zu wählen, hat die Kanzlei ein IT-Tool entwickeln lassen: Seit Dezember haben die Arbeitsrechtler eine App, in der alle Anwälte ihre Verfügbarkeit eingeben können. Für jeden Tag der Woche kann jeder eingeben, ob er noch zeitliche Kapazitäten hat oder bereits ausgelastet ist. Die Skala reicht von dunkelgrün (mehr als sechs Stunden verfügbar) über hellgrün (drei bis sechs Stunden verfügbar) über gelb (beschäftigt, eine bis drei Stunden verfügbar), orange (wenig verfügbar, eine Stunde) und schließlich rot, das für "gar nicht verfügbar" steht. Darüber hinaus kann sich jeder Mitarbeiter auf vollständig abwesend stellen.
Auf allen Handys blinkt es rot
Der Clou der App ist jedoch der Panic Button: Wer bereits keine Kapazitäten mehr hatte und dann die Anfrage eines Mandanten auf den Tisch bekommt, drückt diesen Knopf, der über die App mit allen Diensthandys verbunden ist – und alle Handys erstrahlen in rotem Blinklicht. "Die Idee ist, dass in so einem Moment sofort Kollegen ihre Unterstützung anbieten", erklärt Pusch.
Wer verfügbar ist, ist über die App schnell ersichtlich – und die Partner gehen dann proaktiv auf den überlasteten Kollegen zu. Im Probelauf lief das Programm lediglich über die App, seit März gibt es eine Webversion, über die jetzt alle Mitarbeiter, also auch Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter, eingebunden sind.
"Die Möglichkeit, den Knopf zu drücken, können und sollen alle nutzen", sagt Pusch, "die Arbeit von Anwälten ist nun einmal nicht genau planbar". Tatsächlich ist das seit dem Start bereits zwei Mal passiert, einmal hat einer der Partner Gebrauch davon gemacht. Er hatte sich durch eine harte Deadline für ein Mandat schon zeitlich eng auslasten müssen, als eine Anfrage für ein großes Restrukturierungsmandat bei ihm aufschlug. "So etwas kann man nie absehen", sagt Pusch.
Eine Frage des Vertrauens
Das Ziel des Tools ist jedoch, den Panic Button erst gar nicht drücken zu müssen. Vielmehr soll eine Überlastung gar nicht erst entstehen. Das ganze Konzept beruht auf Vertrauen. "Als ich Anwalt wurde, las ich eine Studie über Anwälte in US-Kanzleien. Die Quintessenz war: Das ist die Branche mit dem größten Verdienst - und mit der größten Unzufriedenheit", erinnert sich Pusch.
Anwälte arbeiten in vielen Sozietäten nach wie vor als Einzelkämpfer mit geringer Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern. "Damals hatte ich die Idee, das einmal anders zu machen." Bei PWL hat das Team deshalb neben Profitabilität auch Werte definiert wie Wertschätzung, gegenseitige Förderung im persönlichen Wachstum und Teamarbeit. "Das IT-Tool für die Arbeitszeitorganisation ist ein Ausfluss dieser Werte", sagt Pusch, der die Kanzlei 2006 in Berlin gründete. Auch mit den inzwischen weiteren zwei Standorten in Frankfurt und Düsseldorf arbeiten die Anwälte vollständig integriert und ohne Silos. "Das ist alles ein Wechselspiel", sagt der 47-Jährige. "Wir vertrauen und wertschätzen einander und schon ist auch die Hilfsbereitschaft groß, wenn jemand Land unter ist."
Doch das ganz allein ist es nicht: Auch PWL zahlt den Associates seit diesem Jahr mehr Gehalt. Das Einstiegsgehalt liegt nun bei 70.000 bis 85.000 Euro. Bislang zahlte die Kanzlei ihren Berufsanfängern maximal 70.000 Euro. Allerdings liegt sie auch mit den neuen Zahlen noch deutlich unter den Gehältern anderer Wirtschaftskanzleien, ohne dafür Abstriche in der Qualität der Juristen machen zu wollen. "Insgesamt scheint unsere Idee aufzugehen", sagt der Anwalt. "Von allen Arbeitsrechtsboutiquen gibt es bei uns nach der jüngsten Associate-Umfrage der azur-Redaktion den größten TOP-Arbeitgeber-Faktor." Das Tool wurde bei der Auszeichnung der Kanzleien mit den azur awards explizit erwähnt. Drei Anfragen anderer Sozietäten hat die Kanzlei für das Tool seitdem erhalten.
Tanja Podolski, Kanzlei-Organisation: . In: Legal Tribune Online, 07.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27375 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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