KapMuG-Verfahren sind lang und kompliziert. Das soll sich ändern. Kurze Fristen, Stärkung der Oberlandesgerichte, zugeschnittene Feststellungsziele, weniger Beteiligte und verstärkte Digitalisierung sind die Mittel der Wahl.
Die Bundesregierung will das Kapitalanleger-Musterverfahren beschleunigen und entschlacken. Das ist das Ziel der neuen Reform des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG). Vor allem die Verfahrensdauer sorgte anhaltend für Kritik – und das zu Recht. Das Telekom-Verfahren hat bis zum Abschluss 20 Jahre gedauert. Es endete mit Vergleich – auf ein Urteil hätten die Beteiligten noch länger warten müssen.
Mit der Reform des KapMuG soll das spezielle Verfahren für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten in seiner bisherigen Struktur erhalten bleiben. Kläger sollen auch weiterhin grundsätzliche Fragen zu Ansprüchen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation in einem Musterverfahren klären lassen können.
Der Gesetzgeber setzt also auf Fortsetzung eines Rechtsinstruments, mit dem er vor knapp 20 Jahren Neuland betrat und erstmalig in Deutschland ein Verfahren für kollektiven Rechtsschutz eingeführt hat. Das KapMuG-Verfahren soll daher zur Bewältigung von Massenverfahren neben der Ende letzten Jahres eingeführten Abhilfeklage dauerhaft etabliert werden. Gleichzeitig sollen die Unzulänglichkeiten des Gesetzes beseitigt werden. Das Musterverfahren soll vor allem schneller werden.
OLG bestimmt Feststellungsziele
Vom Ausgangsverfahren vor dem Landgericht (LG) soll es künftig schneller gehen bis zu dem eigentlichen Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG). Fristen sollen daher etwas kürzer werden. Ausgangspunkt bleibt aber ein Musterverfahrensantrag einer Partei sowie die Zulässigkeitsprüfung durch das LG. Ein Musterverfahren kommt wie bisher zustande, wenn innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Musterverfahrensantrags mindestens neun gleichgerichtete Musterverfahrensanträge bekannt gemacht werden.
Neu ist insbesondere, dass die Bedeutung des OLG durch die Reform gestärkt wird. Das OLG soll einen weiten Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Feststellungsziele erhalten. Es muss sich dabei entsprechend dem Grundsatz der Parteimaxime zwar im Rahmen der vorgelegten Anträge des Ausgangsverfahrens bewegen. Das OLG soll jedoch ermächtigt werden, einzelne Feststellungsziele auszuwählen und auch umzuformulieren. Es soll das Musterverfahren also inhaltlich zuschneiden und dementsprechend auch einengen können, um das Verfahren effektiver zu machen. Dies ist ein Novum.
Im Ergebnis wird das OLG hier einen Weg finden müssen, zwischen effizient zugeschnittenen Feststellungszielen und der Bündelung möglichst vieler Verfahren.
Keine zwangsweise Aussetzung anderer Verfahren
Um das Verfahren zu straffen, soll die Zahl der Verfahrensbeteiligten reduziert werden. Alle diejenigen Kläger, deren Verfahren bisher zwangsweise ausgesetzt und in das Musterverfahren gedrängt wurden, sind nun nicht mehr zwingend dabei. Eine Aussetzung ist künftig nur dann vorgesehen, wenn dies eine der Parteien des Individualverfahrens beantragt und das Prozessgericht die Aussetzung für sachgerecht hält. Will keine der Parteien das Individualverfahren aussetzen oder hält das Prozessgericht eine Aussetzung nicht für sachgerecht, soll das Individualverfahren parallel zum Musterverfahren weitergeführt werden. Dies führt dazu, dass die Entscheidung des Musterverfahrens auch keine verbindliche Wirkung für diese Individualverfahren entfaltet.
Anders als bislang wird es künftig möglich sein, dass über denselben Lebenssachverhalt parallel auch in Individualklagen entschieden wird. Der Gesetzgeber legt zudem explizit fest, dass auch die kollektive Abhilfeklage parallel zum KapMuG-Verfahren laufen kann. Eine Abhilfeklage wird bei einem parallellaufenden KapMuG-Verfahren nicht ausgesetzt. Und dies nach der Begründung des Gesetzesentwurfs selbst dann nicht, wenn die Abhilfeklage von den Feststellungszielen eines parallelen Musterverfahrens abhängig ist. Mögliche abweichende gerichtliche Entscheidungen seien zu verschmerzen, denn schließlich gebe es hierfür den Instanzenzug.
Für Kläger bietet sich durch die verschiedenen Klagemöglichkeiten ein Patchwork an Möglichkeiten, ihre Ansprüche geltend zu machen. Divergenzentscheidungen und parallele Beweisaufnahmen sind möglich. Unterschiedliche Ergebnisse und Unsicherheiten sind zu befürchten, bis endlich durch höchstrichterliche Entscheidungen Klarheit entsteht.
Freilich wird dies in der Praxis zumindest dadurch etwas abgeschwächt werden, dass jedenfalls eine der Parteien bei der Gefahr divergierender Entscheidungen Aussetzung des Individualverfahren beantragen wird. Zudem wird sich das LG grundsätzlich an der Linie seines OLG orientieren wollen und das Verfahren bei entsprechendem Parteiantrag aussetzen. Insofern hilft auch, dass mit einer Ausweitung der ausschließlichen Zuständigkeit eine stärkere örtliche Konzentration beim selben LG erreicht und so das Zusammenwirken von LG und OLG erleichtert werden soll. Die ausschließliche Zuständigkeit am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft gilt künftig auch dann, wenn sich die Klage nicht gegen diese, sondern gegen einen Dritten, wie zum Beispiel Berater oder Vermittler von Kapitalanlagen, richtet. Zuständigkeitsstreitigkeiten werden so vermindert und das Zusammenwirken von LG und OLG erleichtert.
Wie es weitergeht
Einige der vorgeschlagenen Änderungen, besonders die Straffung des Verfahrens und die Stärkung des OLG, haben das Potenzial, die Effizienz des KapMuG Verfahrens zu erhöhen. Uneingeschränkt positiv ist auch zu bewerten, dass ab dem 1. Januar 2025 alle Fallakten elektronisch verwaltet werden sollen. In der Vergangenheit haben insbesondere mehrfache Anträge auf Akteneinsicht in Papierform zu Verzögerungen geführt. Die Handhabung der Datenmengen, sowie der Austausch zwischen Gericht und den Parteien wird durch die Digitalisierung für alle erheblich erleichtert.
Andere Änderungen werden demgegenüber sicherlich auch weiter zu Diskussionen führen. Hierzu zählt sicherlich, dass zukünftig parallele Individualklagen und Abhilfeklage möglich werden – und damit widersprüchliche Entscheidungen. Ein effiziente Streitbeilegung wird so nur in Teilen erreicht.
Das neue KapMuG soll in Kraft treten, bevor das aktuelle KapMuG am 31. August 2024 ausläuft. Anfang April fand die erste Lesung des Gesetzesentwurfs im Deutschen Bundestag statt. Parallel zum Bundestag befasst sich der Bundesrat mit dem Gesetz. Es ist daher damit zu rechnen, dass das Gesetz rechtzeitig verabschiedet wird, um das auslaufende KapMuG zu ersetzen.
Elisabeth Weber ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Sie ist auf die Prozessführung in komplexen Streitigkeiten und in kollektiven Rechtsschutzverfahren spezialisiert.
Reform des KapMuG: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54385 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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