Ist Corona der Auftakt zu einer neuen Arbeitswelt in den großen Kanzleien mit mehr Homeoffice und weniger Präsenzkultur? Es sieht ganz danach aus, denn viele Sozietäten denken aktuell darüber nach. Doch sie befürchten auch Schwierigkeiten.
Corona war der Beweis: Homeoffice funktioniert – auch in der ansonsten durch Präsenzkultur geprägten Welt der großen Anwaltskanzleien. Als auf einen Schlag im März dieses Jahres ganze Sozietäten ins Heimbüro umziehen mussten und vielerorts nur ein kleines Rumpfteam vor Ort war, stellte sich heraus: Das klappt ganz wunderbar.
"Die Corona-Pandemie hat mit einem großen Vorurteil aufgeräumt: Arbeiten die Mitarbeiter von zuhause aus auch so effizient wie im Büro? Wir hatten das bezweifelt, aber wir haben erlebt, dass das Engagement sehr hoch war", sagt etwa Dr. Torsten Fett, Co-Sprecher der Kanzlei Noerr. Auch bei Linklaters zieht man ein positives Fazit. Andreas Steck, Senior Partner Deutschland, stellte fest: "Uns war es besonders wichtig, den Zusammenhalt als Team sicherzustellen. Das ist uns nach meinem Eindruck sehr gut gelungen. Wir haben das Gefühl, dass Remote Working gut funktioniert, und auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die positiven Aspekte des Homeoffice erkannt."
Noerr fragt: Wie wollt Ihr arbeiten?
Die Erfahrungen von Linklaters und Noerr teilen viele Kanzleien: Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Beschäftigten auch im Heimbüro engagiert und effizient sind. Nun stellen sie sich die Frage, wie sie künftig arbeiten wollen. "Dass wir nach der Pandemie wieder zum Status quo zurückkehren, ist nicht vorstellbar", sagt Fett. Die Pandemie sei ein "Fingerzeig in Richtung Flexibilisierung der Arbeit" gewesen. Das traditionelle Bild vom Anwalt im Einzelbüro gelte so nicht mehr. "So klar war uns das vor Corona nicht."
Bei Noerr hat man daher begonnen, über die Zukunft der Anwaltsarbeit nachzudenken. Die Kanzlei hat mit der Organisation "Great Place to work" eine Umfrage unter allen Mitarbeitenden durchgeführt und sie danach gefragt, wie sie arbeiten möchten. Eine Mehrheit der Befragten gab an, in Zukunft gern ein bis maximal drei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten zu wollen. Dem steht Kanzlei-Co-Sprecher Fett grundsätzlich offen gegenüber: Allerdings müssten sich alle bewusst sein, dass wirtschaftliche Gründe bei einem Mehr an mobilen Arbeitsplätzen ein Weniger an fest zugeordneten Büroarbeitsplätzen nahelegen, sagt er. Immerhin könne sich gut ein Drittel der Befragten vorstellen, auf den festen persönlichen Arbeitsplatz im Büro zu verzichten, so ein Ergebnis der Umfrage.
Das Homeoffice-Modell von Linklaters
Während die einen die Zukunft noch planen, melden andere Vollzug. Unter den großen internationalen Sozietäten war Linklaters die erste, die schon vor Monaten verkündet hat, eine kanzleiweite und somit länderübergreifende "Remote Working Policy" einzuführen. Die neue Richtlinie soll die Arbeit im Homeoffice für alle Beschäftigten verbindlich regeln. Der Schritt ist jedoch, so war aus der Kanzlei zu hören, kein Schnellschuss in Folge der Pandemie, sondern das Ergebnis von Überlegungen, die schon zu einer Zeit begonnen haben, als man von Covid-19 noch gar nichts ahnte.
"Unsere neue Policy sieht vor, dass jede Kollegin und jeder Kollege verlässlich im Regelfall mindestens 20 Prozent der Arbeitszeit remote arbeiten kann. Auch darüber hinaus ist Remote Working bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit möglich; die Entscheidung darüber liegt in den jeweiligen Teams", sagt Corporate-Partnerin Kristina Klaaßen-Kaiser, die das weltweite People Committee der Kanzlei leitet und an der Entwicklung des neuen Arbeitskonzepts beteiligt war.
Rechnerisch bedeutet das also, dass alle Beschäftigten weltweit mindestens einen Tag pro Woche von daheim oder einem anderen Ort arbeiten dürfen. Ein Tag pro Woche – das klingt nicht viel und hat prompt den einen oder anderen Kritiker auf den Plan gerufen, der die neue Regelung für nicht weitreichend genug hält. In der Tat betont Senior Partner Andreas Steck: "Unsere Büros sollen auch in Zukunft das Zentrum unserer Zusammenarbeit bleiben." Sie seien das "Herz der Sozietät, in dem unsere Kultur geprägt" und das "für uns alle wertvolle Netzwerk" aufgebaut werde. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sei es essenziell, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen entscheidenden Teil der Arbeitszeit im Büro verbringen, so Steck.
Die Zusammengehörigkeit schwindet
Denn für die Arbeitgeber birgt das Homeoffice ein gewaltiges Risiko: Das Zusammengehörigkeitsgefühl schwindet, wenn jeder und jede allein daheimsitzt und arbeitet – dabei ist es doch gerade für die großen Wirtschaftskanzleien existenziell wichtig, Top-Talente zu finden und zu halten. Das dürfte schwer werden, wenn man sich nicht mehr in der Kanzlei trifft und dort gemeinsam arbeitet, plaudert und lacht.
Anwaltscoachin Carmen Schön bemerkt schon jetzt, dass die Loyalität der Anwältinnen und Anwälte gegenüber ihren Arbeitgebern etwas schwindet: "Derzeit denken deutlich mehr meiner Klienten darüber nach, sich beruflich zu verändern, als vor Corona." Zum einen, weil sie in der Pandemie begonnen hätten, ihr Leben zu reflektieren und feststellten, dass sie nicht mehr in die Kanzlei zurückwollen. "Zum anderen aber auch, weil sie das Gefühl haben, 'es kümmert sich eh keiner um mich‘ und die Führungslosigkeit jetzt noch deutlicher wird", so Schön.
Strategien gegen die Distanz
"Die Distanz wächst", stellt Schön fest – und daran würden auch die unzähligen virtuellen Kaffeerunden und Weinproben wenig ändern, die viele Kanzleien derzeit veranstalten, um die Teams bei der Stange zu halten. "Sie sind kein Ersatz für die persönliche Begegnung; die Kommunikation miteinander und der Austausch untereinander leiden im Homeoffice".
Schwierigkeiten, die auch die Kanzleilenker erwarten, wenn das Büro nicht mehr Zentrum des Arbeitstages ist. Bei Linklaters soll es Aufgabe der einzelnen Teams sein, die Zusammenarbeit zu regeln. "Es ist wichtig, dass sich die Teammitglieder untereinander abstimmen, um das für sie und das Team beste System zu finden. Denn wir wollen ja vermeiden, dass wir uns als Team gar nicht mehr sehen, weil abwechselnd jeder einen Tag remote arbeitet", sagt Klaaßen-Kaiser. Der Kanzlei sei bewusst, dass dazu viel Kommunikation erforderlich sei, man stehe dieser Herausforderung aber "sehr positiv" gegenüber.
Bei Noerr gehen die Überlegungen dagegen dahin, die Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts eher den erfahrenen Mitarbeitenden zu überlassen, während die Neueinsteiger möglichst in der Kanzlei arbeiten sollen, sagt Fett. Nachteile sieht man gegenwärtig beim Einarbeiten der Neuen und beim Teambuilding. "Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass das Onboarding nicht ideal ist", so Fett. "Es gab nicht wie sonst üblich ein Kennenlernprogramm, sondern wir mussten den neuen Mitarbeitern einen Laptop in die Hand drücken und sie bitten, nach Hause zu gehen."
Warum überhaupt noch ins Büro?
Mehr Homeoffice ist also auf der einen Seite ein Risiko für Kanzleien, auf der anderen Seite aber auch eine Chance – beispielsweise auf Einsparungen. Denn wenn weite Teile der Belegschaft nicht mehr täglich in die Kanzlei kommen, sind dann all die teuren Prestige-Büros in den Top-Lagen der Innenstädte überhaupt noch notwendig? Ließe sich nicht eine Menge Geld sparen, indem man sich verkleinerte? Eine ganze Reihe von Großkonzernen hat bereits angekündigt, die Beschäftigten öfter im Homeoffice arbeiten zu lassen – auch um Büroflächen und damit Kosten zu sparen, wie man unumwunden einräumte. Auch aus Kanzleien sind ähnliche Überlegungen zu hören.
Bei Linklaters war das kein Argument für die neue Homeoffice-Richtlinie: "Die Einführung der Remote Working Policy wird auf unsere Büroflächen keine unmittelbaren Auswirkungen haben", sagt Senior Partner Steck. "Wir werden uns aber natürlich anschauen, wie sich die Arbeitswelt weiterhin entwickelt. Wenn sich zeigt, dass dauerhaft nur 65 Prozent der Mitarbeiter jeweils im Büro sind, kann das auch bedeuten, dass man die Flächen anders beplant", so Steck.
Wie aber wird sie aussehen, die neue Arbeitswelt in den Kanzleien? Stephan Leimbach, Head of Office Leasing beim Immobiliendienstleister JLL, gab in einem Vortrag auf der Herbsttagung des Bucerius CLP einen Ausblick. Seine Prognose: Das von vielen innig geliebte Einzelbüro dürfte zum Auslaufmodell werden. Stattdessen werden Teams auf geteilten Flächen und in Projekträumen arbeiten. Die Kanzlei wird zum Ort, an dem sich die Menschen treffen, um zu kollaborieren und zu kommunizieren. Denn konzentriert an den Akten arbeiten – dafür hat man ja das Heimbüro. Und dass es sich dort gut arbeiten lässt, hat die Pandemie gezeigt.
Kanzleien im Homeoffice: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43594 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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