Die Genehmigung eines staatlichen Rettungspakets für die Lufthansa durch die EU-Kommission erfolgte nach Ansicht des EuG zu Unrecht. Welche Auswirkungen das Urteil mit sich bringt, weiß Matthias Nordmann.
Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat vor einigen Tagen die Genehmigung von Covid-19 Beihilfen durch die EU-Kommission zugunsten der Lufthansa für nichtig erklärt (verb. Rs. T-34/21 und 87/21, Urt. v. 10.05.2023). Die Beihilfe in Höhe von 6 Milliarden Euro sollte die finanzielle Stabilität und Liquidität der Lufthansa angesichts der Pandemie wiederherstellen, welche den Luftfahrtsektor schwer getroffen hatte.
Ryanair und Condor klagten gegen die Genehmigung. Das EuG gab den beiden Wettbewerbern der Lufthansa recht und stellte fest, dass der EU-Kommission in ihrer Entscheidung gleich mehrere Fehler unterlaufen seien. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wollte sich bislang noch nicht festlegen, wie es nun weiter geht - es lägen aber alle Optionen auf dem Tisch. Die Auswirkungen des Urteils könnten sich nicht nur auf die Lufthansa selbst, sondern auch auf das Verfahren vor der Kommission, sowie auf weitere Gerichtsverfahren erstrecken.
EuG legt strenge Maßstäbe an
Auffallend ist die Strenge des Urteils, die sich bereits daran erkennen lässt, dass sich das Gericht nicht wie in anderen Fällen darauf zurückgezogen hat, einen Fehler herauszuarbeiten und die übrigen Klagegründe offen zu lassen (Rs. T-665/20, Urt. v. 09.06.2021, Rn. 67). So hätte es sich einzig auf den Standpunkt zurückziehen können, dass ein Begründungsmangel vorliege oder ernsthafte Schwierigkeiten verblieben. Stattdessen machte es sich offensichtlich die Mühe, jeden einzelnen Aspekt des Falles genau zu beleuchten und zu bewerten.
Das geschah sicherlich auch, um der EU-Kommission für die weitere Prüfung Spielräume zu nehmen. Auch darüber hinaus werden Spielräume eingeengt, indem das Gericht seine eigene Auslegung des Rahmens an die Stelle der Auslegung durch die EU-Kommission setzt, obgleich die eigenen vom Gericht eingangs aufgestellten Prämissen ein derart strenges Vorgehen nicht einfordern (verb. Rs. T34/21 und 87/21, Urt. v. 10.05.2023, Rn. 74 und 75).
Diesbezüglich hatte das Gericht in anderen Fällen der EU-Kommission im Rahmen der Rechtfertigung auch ein Ermessen belassen bzw. nicht kritisch hinterfragt (Rs. T-607/17, Urt. v. 13.05 2021, Rn. 215). Das Gericht hält seinen eigenen Ansatz dann auch nicht konsequent durch, sondern gesteht der EU-Kommission vereinzelt doch wieder Auslegungsmöglichkeiten zu, ohne die Gründe für die unterschiedliche Herangehensweise darzulegen (verb. Rs. T-34/21 und 87/21, Urt. v. 10.05.2023, Rn. 307).
Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Beihilfe im Juni des Jahres 2020 und damit zu einer Zeit genehmigt wurde, als das Wissen um Corona gering und die Unsicherheiten um das Wohlergeben der Wirtschaft groß waren. So bleibt das gerichtliche Vorgehen ein wenig befremdlich, wenn es nun nach drei Jahren den Vorwurf erhebt, man hätte sich damals alles genauer und damit zeitintensiver anschauen müssen.
Dass es auch anders geht, zeigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Dieser hielt im März 2020 fest (Beschl. v. 30.03.2020, Az. 20 NE 20.632, Rn. 60), dass in der damaligen - durch zahlreiche Unsicherheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägten - epidemischen Lage dem Verordnungsgeber eine Einschätzungsprärogative zuzugestehen wäre, und das sogar im Hinblick auf freiheitsbeschränkende Ausgangsbeschränkungen.
Auswirkungen auf Kommissionsverfahren, Lufthansa und die Branche
Für eine endgültige Abschätzung der Auswirkungen auf die gesamte Luftfahrtbranche mag es noch zu früh sein. Doch das Signal des EuG scheint klar und deutlich. Wenn die öffentliche Hand in den Luftfahrtsektor mit staatlichen Beihilfen eingreift, werden wir uns das genau anschauen und der EU-Kommission keine großen Spielräume (mehr) geben.
Auch auf das Verfahren selbst hat das Urteil Auswirkungen. Diese betreffen zunächst die EU-Kommission. Werden keine Rechtsmittel vor dem Europäischen Gerichtshof eingelegt, muss sie einen neuen Beschluss erlassen, in dem sie entweder erklärt, dass die Beihilfen rechtens waren oder eine förmliche vertiefte Phase-II-Prüfung einleiten. Kommt es zu einem Phase-II-Verfahren, kann die EU-Kommission zum Abschluss die Beihilfen genehmigen oder untersagen und deren Rückforderung verlangen. Einige der Vorwürfe ließen sich sicher im Rahmen eines Phase II-Verfahrens näher betrachten und auch abhelfen.
So wäre grundsätzlich vorstellbar, dass die Lufthansa nach erneuter Prüfung auch Slots in Düsseldorf und Wien abgeben muss. Allerdings musste die EU-Kommission vor wenigen Tagen einräumen, dass bislang keinem anderen Unternehmen Slots zugeschlagen werden konnten, was Marktteilnehmern zufolge mit hohen Betriebskosten an deutschen Flughäfen zusammenhängen kann. Es ist daher nicht auszuschließen, dass nunmehr andere Kompensationsmaßnahmen gesucht werden müssen. Auch bei anderen Vorwürfen könnte es möglicherweise schwieriger werden - nämlich dort, wo es um vertragliche Abmachungen zwischen der Lufthansa und den staatlichen Stellen geht. Hierbei wäre zu berücksichtigen, dass die kritisierten Abmachungen möglicherweise gar keine Relevanz hatten, da die Maßnahmen bereits nach kurzer Zeit zurückgezahlt bzw. weiterveräußert wurden.
Im Falle einer Negativentscheidung täte sich das nächste Problem auf. Da die Beihilfen längst zurückgezahlt und die Anteile aus der Kapitalerhöhung gewinnbringend weiterveräußert sind, würde eine Rückforderung vermutlich ins Leere laufen. Bleiben also die Zinsen. Grundsätzlich kann die EU-Kommission für die Zeit der tatsächlichen Gewährung Rückforderungszinsen verlangen, da man so verhindern möchte, dass der Empfänger bis zur tatsächlichen Rückzahlung die Vorteile eines de facto zinslosen Darlehens hat. Nun hat die Lufthansa wohl auch Zinsen gezahlt, so dass es auf die weitere Prüfung ankommen dürfte, (ob und) in welcher Höhe noch weitere Zinsen zu zahlen sind. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass es zunächst keine unmittelbaren Folgen für die Lufthansa gibt, da eine etwaige Rückforderung erst am Ende einer zweiten Prüfungsphase angeordnet werden kann.
Theoretisch denkbar wären außerdem Schadensersatzforderungen vor nationalen Gerichten, da infolge des Urteils Beihilfen vor einer Genehmigung gewährt wurden und damit ein Verstoß gegen das EU-rechtliche Durchführungsverbot in Frage kommt. Doch dürften bereits Kausalität und Schadenshöhe nur schwer zu belegen sein. An dem Kausalitätsnachweis scheiterte auch eine vor wenigen Wochen entschiedene Klage eines Krankenhauskonzerns in Nordrhein-Westfalen. Dieser hatte sich die gegen die staatliche Finanzierung eines nahegelegenen staatlichen Krankenhauses gewandt, wobei es dort jedoch vor allem um staatshaftungsrechtliche Grundsätze und etwaige Verletzungen des nationalen Krankenhausplanungsrechts ging (LG Bonn, Az. 1 O 425/19, Urt. v. 14.12.2022). Hinzu kommt, dass zuvorderst die öffentliche Hand passivlegitimiert wäre, da diese Adressatin des Durchführungsverbots ist.
Auswirkungen auf weitere Gerichtsverfahren
Dagegen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verfahren noch Auswirkungen auf andere Gerichtsverfahren haben wird. Beim EuG ist noch eine weitere Klage von Ryanair gemeinsam mit Malta Air gegen die EU-Kommission vom 10. September 2021 anhängig (Rs. T-494/21). Diese richtet sich gegen staatliche Beihilfen Frankreichs zugunsten von Air France und betrifft die Umwandlung eines Darlehens von 3 Milliarden Euro in ein hybrides Instrument sowie eine Kapitalerhöhung von bis zu 1 Milliarde Euro.
Die EU-Kommission hatte beide Maßnahmen am 05. April 2021 in der Sache SA.59913 genehmigt. Ähnlich wie im Fall der Lufthansa kam die EU-Kommission zu dem Schluss, dass eine Finanzierung über die Kapitalmärkte nicht möglich sei und dass es für Annahme von Marktmacht auf die gleichen Kriterien wie im Fall der Lufthansa ankomme, also vor allem auf die bestehenden Slots. Beides stand im Feuer des EuG. Wie zu hören ist, hat Ryanair es sich bei der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2023 in Luxemburg auch nicht nehmen lassen, Salz in die Wunde zu streuen. Der Ausgang dieses Verfahrens wird daher ebenfalls mit Spannung zu verfolgen sein.
Dr. Matthias Nordmann, LL.M. ist Partner bei Dentons und vertritt regelmäßig Mandanten in EU-beihilferechtlichen Streitigkeiten vor nationalen und europäischen Gerichten, darunter auch Unternehmen der Luftfahrtindustrie. So vertrat er erst jüngst die spanische Fluglinie Volotea in einem Rückforderungsstreit mit der EU-Kommission vor dem EuG und EuGH.
EuG erklärt Genehmigung von Covid-Beihilfen für ungültig: . In: Legal Tribune Online, 26.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51868 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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