Eines der komplexesten Marktmachtmissbrauchsverfahren der letzten Jahre endet gütlich. Gazprom und die EU-Kommission haben ihren Streit um möglicherweise unfaire Geschäftspraktiken des russischen Energiekonzerns in Osteuropa beigelegt.
Das EU-Verfahren, das wegen der Verflechtungen von Kartell- und Energierecht sowie der völkerrechtlichen Implikationen als besonders komplex galt, wurde 2012 offiziell eröffnet. Konkret ging es um die marktbeherrschende Stellung des russischen Staatskonzerns Gazprom als Gaslieferant für die drei Baltenstaaten Estland, Lettland und Litauen sowie für Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Bulgarien. Die EU-Kommission hatte Gazprom vorgeworfen, mit seiner Gesamtstrategie zur Abschottung dieser Gasmärkte gegen EU-Kartellvorschriften zu verstoßen. Viele EU-Länder sind bei der Energieversorgung von Russland abhängig.
Das Verfahren wird nun eingestellt, denn die EU-Kommission und Gazprom haben sich gütlich geeinigt. Der Gaskonzern werde eine Reihe von Zusagen erfüllen, mit denen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken ausgeräumt würden, teilte die Brüsseler Behörde mit. Gazprom dürfte damit um eine saftige Milliardenstrafe herumkommen.
Im Einzelnen muss der Konzern vertragliche Hindernisse für den freien Gashandel zwischen den betroffenen Staaten ausräumen. Die Kommission hatte Gazprom vorgeworfen, Großhändlern und Kunden verboten zu haben, erworbenes Erdgas in andere Länder weiterzuverkaufen. Damit habe es die Preise in die Höhe treiben können - auch für Endkunden. Derartige Klauseln sollen nun abgeschafft werden.
Außerdem soll Gazprom-Kunden ein Instrument an die Hand gegeben werden, mit dem sie kontrollieren können, dass die verlangten Gaspreise dem Preisniveau auf westeuropäischen Gasmärkten entsprechen.
Die gütliche Einigung kommt nicht überraschend. Wie die Kanzlei Dentons mitteilt, die Gazprom im Zusammenhang mit dem Verfahren beraten hat, haben die Parteien schon frühzeitig über eine einvernehmliche Verfahrensbeilegung durch Verpflichtungszusagen verhandelt – parallel dazu wurde das formelle Verfahren weitergetrieben, das nun eingestellt wird.
Ein Verfahren mit politischer Dimension
Der Fall hatte abgesehen von der juristischen Komplexität auch eine politische Bedeutung. Moskau warf der EU vor, mit politischen Mitteln die Energiemacht von Gazprom brechen zu wollen. Und EU-Kommissarin Margrethe Vestager musste sich in der Vergangenheit die Frage gefallen lassen, ob sie in Zeiten politischer Spannungen Russland möglicherweise zu weit entgegen kommen wolle. "In diesem Fall geht es nicht um Russland, es geht um europäische Verbraucher und Unternehmen", sagte Vestager. Selbst wenn man politische Effekte hätte in Betracht ziehen wollen, müssten die wettbewerbsrechtlichen Fälle immer auch vor den europäischen Gerichten Bestand haben.
Der Beschluss beseitige nun "die von Gazprom errichteten Hindernisse, die der freien Lieferung von Erdgas in Mittel- und Osteuropa im Wege stehen", sagte Vestager weiter. Bürger und Unternehmen können damit auf niedrigere Preise hoffen. "Die Sache ist damit aber noch nicht erledigt." Mit der Einigung beginne lediglich die Durchsetzung der Gazprom auferlegten Verpflichtungen. Falls der Konzern einer der Verpflichtungen nicht nachkommt, kann die EU-Kommission immer noch Milliardenstrafen verhängen.
Der Konzern selbst begrüßte den Beschluss der Brüsseler Behörde. "Wir glauben, dass die heutige Entscheidung das vernünftigste Ergebnis für ein gutes Funktionieren des gesamten europäischen Gasmarkts ist", sagte Gazprom-Vize Alexander Medwedew in Sankt Petersburg.
Litauen zeigte sich hingegen enttäuscht. "Es ist bedauerlich, dass eine solche Entscheidung getroffen wurde", sagte Regierungschef Saulius Skvernelis in Vilnius. Dennoch sei sie ein Schritt nach vorne, da Gazprom nun transparent und nach den allgemein anerkannten Marktregeln operieren müsse. Das EU-Verfahren ging vorwiegend auf eine Beschwerde der Regierung in Vilnius zurück, die mit Gazprom selbst auch um die Öffnung des lange von dem Konzern dominierten Energiemarktes in Litauen stritt. Der Baltenstaat hatte Gazprom dabei vergeblich vor einem Schiedsgericht in Stockholm auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt.
ah/LTO-Redaktion
mit Material von dpa
Dentons für Gazprom:
Dr. Jörg Karenfort, Partner, Kartellrecht, Berlin
Dr. Josef Hainz, Counsel, Berlin
Dr. Jan Scharfenberg, Senior Associate, Berlin
Laura Appell, Senior Associate, Berlin
Anna Ritte, Associate, Berlin
Edward Borovikov, Partner, Brüssel
James Venit, Partner, Brüssel
Bogdan Evtimov, Partner, Brüssel
Prof. David O'Keeffe, Senior Counsel, Brüssel
EU-Kommission und Gazprom: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28855 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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