Wollen Unternehmen gemeinsam Nachhaltigkeitsziele erarbeiten und erreichen, drohen Kartellrechtsverstöße. Jonas Brueckner begibt sich auf die Suche nach den roten Linien.
Klimaschutz ist eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit. Auch Unternehmen sind gefragt und werden zunehmend in die Pflicht genommen. Aber wenn Unternehmen für ihre Nachhaltigkeitsziele mit Wettbewerbern den Austausch suchen, riskieren sie einen Verstoß gegen das Kartellrecht. Wie für jede andere Fühlungnahme zwischen Wettbewerbern gilt auch bei Nachhaltigkeitsthemen grundsätzlich das Kartellverbot.
Die EU-Kommission bemüht sich zwar um eine Lösung für diesen Konflikt, hält aber an ihrem allgemeinen Prüfungsschema fest. Eine Tatbestandsausnahme formuliert sie nicht, während mitgliedstaatliche Kartellbehörden bereits weiter sind und die Kommission unter Druck setzen. Im Sommer 2023 hat die Kommission erstmals nach zehn Jahren die Horizontalleitlinien überarbeitet und darin Nachhaltigkeitsvereinbarungen Gewicht gegeben. Mit dem European Green Deal von 2019 sollen Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050 auf null reduziert werden. Zivilgesellschaft und Wirtschaft sollen dort voranschreiten, wo der europäische oder die nationalen Gesetzgeber zu langsam oder nicht umfassend genug arbeiten.
(K)eine Fortentwicklung der Horizontalleitlinien
Die Kommission selbst bleibt zögerlich. Ob Nachhaltigkeitsziele mit einer Kooperation verfolgt werden, ist nach Maßgabe der Leitlinien bereits bei der Feststellung einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu berücksichtigen. Zugleich werden Beispiele von Kooperationen aufgeführt, die wahrscheinlich nicht wettbewerblich bedenklich sind. Darunter fallen beispielsweise Vereinbarungen, die die Einhaltung von Vorgaben sichern sollen, die sich aus internationalen Verträgen, Vereinbarungen oder Übereinkommen ergeben und die auch die beteiligten Unternehmen, ihre Lieferanten und/oder Händler verpflichten.
Die vergleichsweise umfassend beschriebenen Beispiele sind zwar zu begrüßen, betreffen im Ergebnis aber nur die einfachsten Formen des Austausches und der Kooperation. Einen Speedway zur Erfüllung der Ziele des Green Deals schaffen sie nicht. Für Kooperationen, in denen es um die gemeinsame Etablierung von Nachhaltigkeitsstandards geht (sogenannte Normenvereinbarungen im Bereich Nachhaltigkeit), ist ein Soft-Safe-Harbour geschaffen. Diese Kooperationsform erscheint hinsichtlich ihrer Effektivität schon aussichtsreicher, aber die von der Kommission aufgestellten Anforderungen sind hoch.
Gefordert wird ein transparentes Verfahren, an dem für alle eine Beteiligung möglich ist. Aus einer Nichtbeteiligung dürfen keine Nachteile entstehen. Der Austausch darf nicht weiter als nötig gehen und ein weitergehender Standard muss möglich sein. Darüber hinaus müssen die Beteiligten einen effektiven und diskriminierungsfreien Zugang zu den Ergebnissen des Verfahrens zur Festsetzung des Standards gewährleisten. Es darf nicht zu einer Preis- oder Qualitätsminderung kommen, sofern die beteiligten Unternehmen auf dem von Standard betroffenen Markt einen gemeinsamen Anteil von mehr als 20 Prozent abbilden.
Alle anderen Austauschformen und Kooperationen werden grundsätzlich nach dem bekannten Muster bewertet. Es kommt also auf eine Rechtfertigung der Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV an. Effizienzen müssen substantiierbar, nachprüfbar, objektiv und konkret sein. Umweltvorteile müssen erläutert und deren Ausmaß geschätzt werden. Dass eine Quantifizierung im Zweifel schwierig und entmutigend sein kann, erkennt die Kommission zwar an, hilft dem jedoch nicht ab.
Mindestens so aufwändig hinsichtlich der Ermittlung und Darlegung ist die angemessene Beteiligung der Verbraucher. Vor allem ist sie ähnlich eng gefasst, wie bei einer klassischen Einkaufs- oder Vertriebskooperation. Die Kommission hält weitestgehend daran fest, primär die Vorteile für Verbraucher auf dem relevanten Markt zu untersuchen.
Um überhaupt kollektive – das heißt gesamtgesellschaftliche – Vorteile berücksichtigen zu können, muss insbesondere nachgewiesen werden, dass sich die Verbraucher auf dem relevanten Markt im Wesentlichen mit den Begünstigten überschneiden und es insgesamt zu einem Ausgleich aller dem Markt zugehörenden Verbraucher kommt. Vorteile für zukünftige Generationen und sogenannten Out-of-market-efficiencies sind schwierig zu erzielen, weil hierbei kaum die genannten Voraussetzungen erfüllt werden können. Dabei erscheint genau dies bei einem globalen langfristig angelegten Projekt zwingend notwendig.
Im Ergebnis werden also weder klare tatbestandliche Ausnahmen für Nachhaltigkeitsmaßnahmen geschaffen, noch wird die Beweislast für Unternehmen erleichtert. Unternehmen, die mehr Nachhaltigkeit wagen wollen, können die Leitlinien somit allenfalls die grobe Richtung weisen, Ermutigung schaffen sie nicht.
Positive Impulse zur Neuausrichtung aus Nachbarländern
Gesetzgeber und Kartellbehörden anderer Länder zeigen, in welche Richtung die kartellrechtliche Beurteilung von Nachhaltigkeitskooperationen sinnvoll modifiziert werden könnte. In Österreich wurde bereits 2021 der § 2 Abs. 1 des Kartellgesetzes um eine "Nachhaltigkeitsausnahme" erweitert. Diese sieht vor, dass eine angemessene Beteiligung der Verbraucher vermutet wird, wenn der angestrebte Vorteil zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich beiträgt. Diese Fiktion der Verbraucherbeteiligung ermöglicht nicht nur die Berücksichtigung kollektiver ökologischer Vorteile, sondern erleichtert zugleich die Nachweispflicht im Rahmen der Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen.
In den Niederlanden veröffentlichte die Verbraucher- und Marktaufsichtsbehörde ACM einen (zweiten) Entwurf zur Überarbeitung der ursprünglichen Guidelines von 2014. In diesem Entwurf weicht sie erstmalig maßgeblich von den Vorgaben der EU-Kommission ab. So käme es nur darauf an, dass die zu erzielenden Vorteile objektiver Art sind, sie könnten aber auch der gesamten Gesellschaft und zukünftigen Generationen zugutekommen. Wichtig ist nur, dass die Nachhaltigkeitsmaßnahme darauf abzielt, Umweltschäden zu verhindern und internationalen oder nationalen Umweltnormen entspricht. Bei Umweltschutzmaßnahmen würde demnach grundsätzlich vermutet werden, dass Verbraucher und Gesellschaft von diesen profitieren. Außerdem könnten Unternehmen mit einem begrenzten Marktanteil unter 30 Prozent von der Quantifizierungspflicht befreit werden, wenn die Vorteile die Nachteile offensichtlich überwiegen.
Beide Lösungsansätze veranschaulichen, wie sich das Kartellrecht, konstruktiv und vergleichsweise einfach, an eine Generationenaufgabe anpassen lässt. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Kommission darauf reagieren wird, wenn sie mit Fällen konfrontiert wird, die diesen nationalen Vorgaben entsprechen, ihren eigenen aber nicht. Es ist schwer vorstellbar, dass die Kommission einen derartigen Fall hart verfolgt und mit Bußgeldern arbeitet. Zumal dann die europäischen Gerichte angerufen werden und dem Green Deal mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Vorrang einräumen werden.
Die unverbindliche Flexibilität des Bundeskartellamts
Obwohl das Bundeskartellamt bisher keine eigenen Leitlinien veröffentlicht hat und auch in seinen Veröffentlichungen einen zurückhaltenden Ton anschlägt, wenn es um Nachhaltigkeitsinitiativen geht, zeigt es sich in den bisherigen Fallentscheidungen offener für die Berücksichtigung von Nachhaltigskeitsaspekten. Über das Instrument der Vorsitzendenschreiben löste es beispielsweise in den Fällen "Initiative Tierwohl" und "Branchenvereinbarung Milch" den Konflikt zwischen Kartellrecht und Nachhaltigkeitszielen zugunsten Letzterer, indem es die Vorhaben erst einmal vorübergehend tolerierte.
Auch wenn es sich bei den Vorsitzendenschreiben um keine förmliche – und damit bindende – Entscheidung handelt, ist die Bereitschaft zum Dialog und zur Begleitung der Projekte über Jahre hoch anzuerkennen. Die Entwicklung zeigt, dass der Handlungsspielraum bei Austausch und Kooperation zu Nachhaltigkeitsthemen größer ist, als es die öffentliche Haltung der Kommission und des Bundeskartellamtes vermuten lassen.
Dr. Jonas Brueckner, M. Jur. (Oxford), ist Partner bei KPMG Law. Mit seinem Team berät er Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen in sämtlichen Fragen des deutschen und europäischen Kartell- und Fusionskontrollrechts. Zu seinen Schwerpunkten gehören der Aufbau von Compliance-Programmen, die Durchführung interner Untersuchungen sowie das Außenwirtschaftsrecht und Drittstaatensubventionen.
Der Green Deal fordert die Kartellbehörden heraus: . In: Legal Tribune Online, 05.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53799 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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