In der Bundesliga rumort es gewaltig. Grund: Die strenge 50+1-Regelung in der Liga könnte bald Geschichte sein. Bislang verhindert diese, dass reiche Investoren über die Strategien deutscher Fußballvereine entscheiden dürfen.
Darf im deutschen Profifußball künftig ein Scheich über Wohl und Wehe eines Fußball-Klubs bestimmen oder wie bisher seine Mitglieder? In den nächsten Wochen steht die sogenannte 50+1-Regelung bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) intensiv auf dem Prüfstand. Der Ligaverband hat eine Grundsatzdebatte angekündigt - ergebnisoffen, wie es in der Mitteilung heißt. Überprüft werden soll, "wie wichtige Prinzipien der gelebten Fußball-Kultur in Deutschland zukunftssicher verankert werden können und ob gleichzeitig neue Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen sind".
50+1 verhindert bislang weitgehend, dass Großinvestoren die Entscheidungsmacht über die Strategie eines Fußballklubs übernehmen, wie dies in anderen euopäischen Ligen geschieht, wo Vereine von Ölmilliardären und Scheichs üppig finanziert werden. Festgelegt ist diese Regelung in § 16c der Satzung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) und in § 8 der DFL-Satzung. Danach dürfen nur Kapitalgesellschaften am Spielbetrieb der Lizenzligen teilnehmen können, an denen der jeweilige Verein die Mehrheit der Stimmanteile hält.
Aufweichung durch die "Lex Leverkusen"
Die Mehrheit der 18 Bundesliga-Vereine hat inzwischen ihre Profi-Abteilungen in Kapitalgesellschaften ausgegliedert - zum Beispiel in Aktiengesellschaften (AG) oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Diese Ausgliederung ist allerdings nur soweit erlaubt, solange die Vereine selbst weiterhin das Sagen haben, indem sie mehr als die Hälfte der Stimmanteile – eben mindestens 50 Prozent plus einen weiteren - behalten.
Allerdings ist die 50+ 1-Regelung schon lange nicht mehr in Stein gemeißelt. Dafür sorgte nach einem Urteil des Schiedsgerichts des DFB von 2011 die sogennante "Lex Leverkusen": Seither sind Mehrheitsbeteiligungen von Wirtschaftsunternehmen erlaubt, die einen Verein mehr als 20 Jahre ununterbrochen und erheblich gefördert haben. Deshalb darf z.B. der Bayer-Konzern die Mehrheit an der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH halten. Ähnlich wie in Leverkusen wird diese Ausnahmeregelung auch vom VfL Wolfsburg mit Geldgeber VW und der TSG Hoffenheim mit SAP-Gründer Dietmar Hopp genutzt.
Hannover 96-Präsident bringt Stein ins Rollen
Den Stein, der jetzt zur Rundum-Überprüfung durch die DFL führt, hatte aber Hannover-96 Präsident Martin Kind ins Rollen gebracht. Der Hörgeräte-Unternehmer beabsichtigt schon seit Jahren, die Mehrheit an der 96-Management GmbH vom Stammverein zu übernehmen. Von der 50+1-Regelung hält er nichts. Und aufgrund seines langjährigen Engagements für den Verein beanspruchte auch er von der DFL eine Genehmigung à la Leverkusen oder Hoffenheim.
Über seinen Antrag auf Ausnahmegenehmigung sollte die DFL eigentlich Anfang Februar entscheiden. Überraschend zog Kind jedoch seinen Antrag zurück bzw. stellte diesen ruhend. Damit bleiben die Mehrheitsverhältnisse bei Hannover 96 erst einmal unverändert. Stattdessen kündigte die DFL jetzt die besagte "ergebnisoffene" Prüfung an.
Doch ob diese tatsächlich so offen ist, wird bezweifelt. Für Rechtsanwalt Andreas Hüttl, der seit Jahren Hannovers Fans gegenüber der Vereinsführung anwaltlich berät und ein erklärter Befürworter der geltenden 50+1-Regelung ist, ist die Nicht-Befassung der DFL mit dem Antrag von Martin Kind kurzfristig erst einmal ein Erfolg. Im Ergebnis rechnet er allerdings mit der weiteren Aufweichung von 50+1: "Ich glaube, die DFL wird es künftig den einzelnen Vereinen selbst überlassen, wie sie die Kriterien für eine Ausnahme konkret definieren", sagte er im Gespräch mit LTO. Heißt: Jeder einzelne Verein könnte dann für sich in der Satzung regeln, wann sich ein Investor durch "ununterbrochene und erhebliche Förderung" des Vereins eine Ausnahme von 50+1 verdient hat.
Wird die Bundesliga zur Zwei-Klassengesellschaft?
Die Folgen einer solchen Aufweichung wären für Hüttl fatal: Die Vereine, die sich weiter an die hohe Hürde 50+1 halten, würden auf Dauer finanziell und sportlich abgehängt. "Die Bundesliga wird dann mehr und mehr zu einer Zwei-Klassengesellschaft", befürchtet der Anwalt. Ähnliche Befürchtungen hat auch der Chefredakteur des Fachmagazins Kicker, Rainer Franzke: "50+1 droht zum Anfang einer Spaltung der beiden Profiligen zu werden - mit unabsehbaren Konsequenzen."
Fananwalt Hüttl kritisiert die DFL auch im Hinblick auf das Format des anstehenden Diskussionsprozesses: "Es wird mal wieder eine reine Veranstaltung unter Funktionären. Über Fans wird zwar gesprochen, aber nicht mit ihnen. Ein Dialog auf Augenhöhe findet nicht statt", so der Anwalt zu LTO. Die DFL wollte hierzu gegenüber LTO keinen Kommentar abgeben.
Für die Fanszene ist die Aufweichung der 50+1-Regel ohnehin ein rotes Tuch. Es gibt keine Fanorganisation, die sich mehr Einfluss von Investoren in ihrem Verein wünscht. Michael Gabriel, Leiter der vom DFB und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanzierten Koordiantionsstelle Fanprojekte erläutert gegenüber LTO: "50+1 hat für die Fans einen enormen symbolischen Wert, da es letztlich um ihre Mitbestimmung im Fußball geht."
Hannovers Präsident Kind geht laut Medienberichten offenbar ebenfalls von einer Überarbeitung der DFL-Satzung in seinem Sinne aus: "Wenn die 50+1-Regel neu gestaltet werden soll, brauchen wir keine Ausnahmegenehmigung", frohlockte er bereits in der FAZ. Der Unternehmer rechnet im Hinblick auf die Diskussion in der DFL Thematik mit "zügigen Ergebnissen".
Zwei-Drittel-Mehrheit der Klubs kann Satzung ändern
Voraussetzung für eine Neugestaltung der 50+1-Regel ist allerdings eine Änderung der DFL-Satzung. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit unter den 36 Profiklubs der ersten und zweiten Bundesliga nötig. Einige haben allerdings bereits öffentlich ihren Widerstand gegen eine Aufweichung von 50+1 angekündigt, etwa Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: "Das ist eine ordnungspolitische Aussage von uns, dass wir keine Schulden machen und keinen Oligarchen wollen, der dir jede Woche sagt, was wir anders machen sollen. Wir akzeptieren, dass wir irgendwo Grenzen haben, sind dafür aber frei. Das ist ein großer Wert", sagte er im Bezahlsender Sky.
Auch Vereine wie der SC Freiburg oder der FC St.Pauli hatten sich in der Vergangenheit immer wieder gegen eine weitere Relativierung der 50+1-Regel ausgesprochen. Eintracht Frankfurts Vorstand Axel Hellmann forderte im Fußball-Fachmagazin Kicker ein neues Grundlagenstatut beim Thema Investoren. Der Investor müsse sich "absolut mit dem Klub identifizieren". Und: Er müsse sich der Fankultur verschreiben, "zum Beispiel mit dem Erhalt von Stehplätzen und sozialverträglichen Ticketpreisen".
Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga im Fokus
Kritiker der geltenden 50+1 Regel verweisen dagegen immer wieder auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga, die auf Dauer mit einer strengen 50+1 Regelung - auch im Vergleich zur englischen Premier League - nicht mehr gegeben sei. Großinvestoren brächten Kapital, mit diesem ließen sich internationale Top-Spieler künftig auch in der Bundesliga verpflichten.
Für Borussia Mönchengladbachs Geschäftsführer Stephan Schippers zählt dieses Argument allerdings nur bedingt: "Es ist legitim und richtig, dass man sich in der Bundesliga Gedanken darüber macht, wie in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen europäischen Ligen gewährleistet bleiben kann und auf welchem Weg sich die Klubs neue Geldquellen erschließen können." Ob man dafür die im deutschen Fußball bewährte 50+1-Regel kippen oder aufweichen müsse, sei jedoch "eine andere Frage", so Schippers zur LTO. Schließlich gebe es gute Beispiele, "wie sich auch innerhalb dieser Regelung potente Finanzpartner an einen Verein binden lassen". Bayern München "mit seinem Modell des durch einen Anteilsverkauf strategisch unterlegten langfristigen Sponsorings" sei "das Paradebeispiel".
Bayern München? In den anstehenden, wichtigen Diskussionsrunden bei der DFL kann sich Hannovers Präsident der Unterstützung des bayerischen Rekordmeisters sicher sein. Denn Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern, hat offenbar kein Problem damit, die Bundesliga weiter für Investoren zu öffnen. "Ich bin total für die Abschaffung der 50+1-Regel", sagte Hoeneß in einem Interview mit der Bild am Sonntag. Der Bayern-Boss würde die Entscheidung in die Hände der Vereine legen und damit in einer möglichen Abstimmung den Mitgliedern übertragen. "Das ist Demokratie", sagte Hoeneß.
Mit seiner Haltung steht Hoeneß in München nicht alleine da: Auch der jordanische Großinvestor des Lokalrivalen TSV 1860 München, Hasan Ismaik, ist ein erklärter Gegner von 50+1. Weil dem Geschäftsmann bei den "Löwen" noch mehr Einfluss vorschwebt, beschwerte er sich beim Bundeskartellamt über die Regelung. Kartellamtsprecher Michael Detering bestätigt die Eingabe in der Behörde. Über das weitere Vorgehen dazu sei aber noch nicht entschieden, sagte er LTO.
Hasso Suliak, Reform der 50+1 Regel: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27057 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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