So neu ist er eigentlich gar nicht, der Wirtschaftsjurist. Seit mehr als zehn Jahren gibt es den Beruf, der wirtschafts- und rechtliches Wissen vereint. Auch in den Kanzleien sind die Wirtschaftsjuristen angekommen, manche tauchen gar in öffentlichen Beraterlisten als 'Transaction Lawyers' auf. Doch längst nicht alle Kanzleien zollen ihnen so offen Anerkennung. Manche schämen sich ihrer gar.
"Anfangs wussten wir gar nicht so genau, wie wir sie am besten einsetzen sollen", erinnert sich Dr. Alexander Schwarz, personalverantwortlicher Partner bei Gleiss Lutz. "Doch unsere erste Wirtschaftsjuristin ist damals sehr gut in ihre Position reingewachsen. Wir haben also weitere Absolventen eingestellt und es hat sich für uns bewährt." Gleiss Lutz war eine der Kanzleien, die vor mehr als zehn Jahren die ersten Wirtschaftsjuristen einstellten. Und dabei blieben.
Heute zählt die deutsche Großkanzlei 23 Wirtschaftsjuristen in ihren Reihen. Die größte Gruppe ist im Kartellrecht angesiedelt, wo sie etwa Document Reviews und die Teamsteuerung in Bußgeldverfahren verantwortet. Jährlich stellt Gleiss Lutz drei bis vier von ihnen ein – im Marktvergleich eine außerordentlich hohe Anzahl.
Das Kind trägt viele Namen
Die juristischen Dienstleistungen fächern sich zunehmend auf. Deshalb nehmen auch Mitarbeiter ohne Anwaltszulassung immer wichtigere Rollen im Kanzleigefüge ein. Ihre Aufgaben reichen von der Durchführung einer Due Diligence über das Transaktions- und Projektmanagement, die Betreuung von Pitches und dem Document Review bis zur Recherche. Also alles, außer der direkten Rechtsberatung.
In Deutschland meist formal als Wirtschaftsjuristen bezeichnet, auch wenn sie das nicht zwangsweise studiert haben müssen, verschaffen englische Begriffe wie 'Transaction Lawyer', 'Transaction Support Lawyer', 'Professional Support Lawyer' oder 'Project Lawyer' dieser Position nicht nur auf dem Papier einen neuen Klang. Allerdings können damit auch Volljuristen gemeint sein, die derartige Aufgaben übernehmen. Weil es, anders als beim Rechtsanwalt, keine geschützte Berufsbezeichnung gibt, herrscht kanzleiübergreifend noch Unklarheit, was genau mit den einzelnen Bezeichnungen gemeint ist.
Bei Freshfields Bruckhaus Deringer etwa ist ein ganzes Team entstanden, in dem neben den Wirtschaftsjuristen zusätzlich Jura-Absolventen arbeiten, die nicht über das erste und zweite Staatsexamen verfügen. Und solche, die aus dem Ausland kommen und dort ihren Abschluss gemacht haben, in Deutschland aber nicht als Anwalt beraten dürfen. "Diese Mitarbeiter heißen bei uns 'Transaction Support Lawyer'", sagt Axel Kölsch, Chief Operating Officer bei Freshfields. In den vergangenen drei Jahren ist dieses Team auf ein Dutzend Beschäftigte angewachsen.
"Jeder tut das, was er am Besten kann. Die Transaction Support Lawyers arbeiten an Standardaufgaben, wie etwa dem Datenraummanagement, womit wir sicherstellen, dass die Qualität auf hohem Niveau bleibt. Gleichzeitig werden so die Associates entlastet", sagt Kölsch. "Das hält die Kosten moderat. Der Mandant sieht, dass wir vorsichtig mit seinem Geld umgehen."
Die Bandbreite reicht von ganz bis gar nicht
Bei Freshfields gibt es allerdings kaum direkte Berührungen zwischen dem 'Transaction Support Lawyer' und dem Mandanten. Bei Gleiss Lutz hingegen, wo die gegenseitige Gewöhnungszeit bereits ein Jahrzehnt überschritten hat, bewegen sich Wirtschaftsjuristen ganz selbstverständlich auf Augenhöhe mit ihren Kollegen und den Mandanten. Als Projektkoordinatoren beispielsweise stehen sie in ständigem Austausch mit allen Beteiligten: intern mit Anwälten, Referendaren und wissenschaftlichen Mitarbeitern und nach außen mit den Mandanten.
Außerdem nehmen sie bei Gleiss Lutz sogar führende Positionen ein, vor allem außerhalb der Rechtsberatung. So verfügt der Head of Operations über den Abschluss eines Wirtschaftsrechtlers, ebenso wie die Leiterin der internen Ausbildungsakademie. Doch der Weg dahin war weit: Die frühen Jahrgänge der Wirtschaftsrechts-Absolventen seien sich zu Beginn selber noch nicht ganz klar gewesen über ihre Berufsziele. "Mittlerweile sehen sie, dass es für sie ohne Anwaltszulassung gewisse Grenzen gibt", sagt Gleiss-Partner Schwarz. "Damit ist die Enttäuschung zurückgegangen, wenn sich berufliche Hoffnungen nicht erfüllt haben. Heute wissen sie, was sie erwartet." Und das ist: kein Partnertrack.
2/2: Nicht nur im stillen Kämmerlein
Dass die Transaction Lawyers dennoch wichtige Aufgaben erfüllen, honorieren auch viele andere Großkanzleien, darunter etwa Clifford Chance. Deren 'Transaction Lawyers' sind mittlerweile auf den veröffentlichten Beraterlisten angekommen. "Wir zollen ihnen damit Anerkennung für ihre Arbeit. Nach innen und nach außen", erklärt Wolf Kahles, Personalleiter bei Clifford. "Wir kommunizieren ihren Einsatz offen unseren Mandanten gegenüber. Damit gewährleisten wir volle Transparenz bezüglich der Qualifikation und der Kosten."
Die 'Transaction Lawyers' sind bei Clifford hauptsächlich koordinierend tätig, insbesondere im Bank- und Kapitalmarktrecht, Steuer- und Immobilienrecht. Der direkte Mandantenkontakt nimmt stetig zu: "Sie sitzen nicht nur im stillen Kämmerlein und wühlen sich durch Ordner, im Gegenteil", sagt Kahles. "Die Aufgaben können sehr umfangreich sein. Zum Beispiel arbeiten sie auch im Business Development mit, wo sie Markt- und Segmentanalysen durchführen."
Abwehr und Neugier
Doch nicht alle Kanzleien loben die 'Transaction Lawyer' in den Himmel. In einer anderen Großkanzlei möchte man über diese Art der Mitarbeiter lieber nicht öffentlich sprechen. Ja, es gebe sie, sogar ein ganzes Team, aber nein, bitte nicht zitieren. Man möchte es nicht an die große Glocke hängen.
DLA Piper geht anders an die Sache ran. Aktuell schreibt die Kanzlei die erste Position eines 'Transaction Lawyers' im Immobilienbereich aus. "Ich bin selbst gespannt, wie das wird", sagt Astrid Schiffner, Personalleiterin bei DLA. "Man muss es einfach ausprobieren, vielen Kanzleien geht es so." Den 'Professional Support Lawyer' gebe es schon lange. Traditionell war diese Position mit Volljuristen besetzt, die im Back-Office recherchierten oder interne Abläufe koordinierten. Neu sei, dass DLA Piper nun auch Wirtschaftsjuristen in diese Arbeit einbeziehe. Wie viele sie davon beschäftigen? "Aktuell genau eine", sagt Schiffner und lacht.
Der Grund für die neu geschaffene Stelle ist die hohe Nachfrage, die aus dem Bewerbermarkt an die Kanzlei herangetragen wird. "Da haben wir angefangen, uns zu überlegen, wo wir Wirtschaftsjuristen einsetzen könnten", erinnert sich Schiffner. "Der Begriff 'Transaction Lawyer' ist natürlich enger gefasst, denn er bezieht sich speziell auf die Arbeit in Transaktionen. Der 'Project Lawyer' hingegen lässt mehr Spielraum", sagt Schiffner. Doch sie hätten sich bewusst für die Bezeichnung 'Transaction Lawyer' entschieden, in einer Art Pilotprojekt.
Skeptisch beäugt werden die 'Transaction Lawyer' – oder welcher Titel sonst auf ihre Visitenkarten gedruckt ist – also nicht mehr. Es spricht sich im Markt herum, dass alle Seiten profitieren können. Vor allem dann, wenn die Qualität stimmt und beim Stundensatz gekleckert, anstatt geklotzt wird. Dann freut sich auch der Mandant.
Désirée Balthasar, Wirtschaftsjuristen auf dem Vormarsch: Der Transaction Lawyer, das unbekannte Wesen . In: Legal Tribune Online, 15.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13492/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag