Zwischen dem Conterganhersteller Grünenthal und der Conterganstiftung hat es nach einem Urteil des OLG Köln Verflechtungen gegeben. Ein Justiziar des Unternehmens hatte Zugriff auf medizinische Akten der Geschädigten, so das Gericht.
Der Contergan-Skandal war einer der größten Arzneimittelskandale in Deutschland, er wurde Anfang der 1960er Jahre aufgedeckt. Schwangere Frauen, die das Schlafmittel eingenommen hatten, brachten Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt - insgesamt gibt es mindestens 5.000 Geschädigte. Anerkannten Opfern zahlt die Conterganstiftung Renten aus Steuermitteln; sie steht unter der Rechtsaufsicht des Bundesfamilienministeriums. Mit dem Conterganstiftungsgesetz 1972 hatten deutsche Opfer keine Möglichkeit mehr, gegen Grünenthal zu klagen.
In einem jahrelangen Streit zwischen dem Conterganhersteller Grünenthal und Opfervertretern ging es um die Frage, ob es Verflechtungen zwischen dem Pharmaunternehmen und der Stiftung gab. Aufgebracht hatte den Rechtsstreit der Contergangeschädigte Andreas Meyer. 2013 sagte er als Sachverständiger vor dem Familienausschuss des Bundestags: "30 Jahre lang schaute Grünenthal in der Conterganstiftung auf die medizinischen Akten der Betroffenen" und "30 Jahre lang hat Grünenthal die Gutachter der Medizinischen Kommission der Conterganstiftung bezahlt".
Später präzisierten seine Anwälte, ein früherer Justiziar von Grünenthal habe von 1972 bis 2003 als Vorsitzender der medizinischen Kommission der Conterganstiftung Zugang zu den medizinischen Akten der Opfer gehabt. Ein früherer Stiftungsvorstand hatte Meyer daraufhin in einem Brief an die Ausschussmitglieder vorgeworfen, die Unwahrheit zu sagen. Dagegen wiederum wehrte sich nun Meyer vor Gericht.
OLG Köln: Verflechtungen sind unstreitig
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln sah es als unstreitig an, dass es die Verflechtungen zwischen dem Pharmaunternehmen und der Stiftung gegeben hat (Urt. v. 12.04.2018, Az. 15 U 85/17). Der Rechtsabteilungsleiter von Grünenthal, der das Unternehmen nach seinem Ausscheiden weiter als Rechtsanwalt vertrat, war von 1972 bis 2003 in Personalunion auch Vorsitzender der Medizinischen Kommission der Conterganstiftung.
In dieser Eigenschaft hatte er Zugriff auf medizinische Akten der Betroffenen, bevor diese an die Sachverständigen übersandt wurden. Die Arbeit der Medizinischen Kommission der Conterganstiftung wurde zumindest teilweise über einen Pauschalbetrag finanziert, den Grünenthal an die Stiftung überwies.
Meyer habe deshalb die Wahrheit gesagt, stellte das Gericht fest. Der beklagte Stiftungsvorstand muss die Äußerungen, die er gegenüber dem Bundestagsausschuss gemacht hat, zukünftig unterlassen.
Chinese Walls zwischen Firma und Stiftung
Der Grünenthal-Anwalt hatte argumentiert, dass es umfassende Vorkehrungen in der Art einer "Chinese wall" gegeben habe, um trotz seiner Doppelrolle einen Informationsfluss an die Firma zu verhindern. Die Gutachter der Medizinischen Kommission seien auch stets aus Mitteln der Conterganstiftung bezahlt worden. Der Brief an die Mitglieder des Bundestagsausschusses sei in diesem Zusammenhang eine zulässige Meinungsäußerung gewesen.
Dem schloss sich der 15. Senat unter Vorsitz von Margarete Reske nicht an. Die Ausschussmitglieder hätten die Äußerungen so verstehen müssen, dass Mitarbeiter von Grünenthal die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der medizinischen Akten gehabt hätten und dass die Arbeit der Medizinischen Kommission - unmittelbar oder mittelbar - von Grünenthal finanziert worden sei, teilte das OLG Köln mit.
Diese Aussagen seien aber unstreitig wahr, die entgegengesetzten Äußerungen des beklagten Stiftungsvorstands damit unwahr, so der Senat. Dessen Äußerungen seien daher auch nicht als Meinungsäußerungen zu bewerten.
Kein Anspruch auf Richtigstellung
Abgewiesen hat der Senat indes einen vom Kläger verfolgten Anspruch auf Richtigstellung gegenüber den Ausschussmitgliedern. Er habe über drei Jahre und bis über das Ende der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hinaus gewartet, bis er die Klage einreichte, so das Gericht. Die damaligen Ausschussmitglieder könnten wegen des Grundsatzes der Diskontinuität in dieser Eigenschaft mit entsprechenden Gesetzesvorhaben nicht mehr befasst werden, eine Richtigstellung ihnen gegenüber sei nicht mehr geboten.
Mit der Entscheidung hat der 15. Zivilsenat ein Urteil des Landgerichts (LG) Bonn teilweise bestätigt. Das LG hatte den beklagten Stiftungsvorstand nur dazu verurteilt, die Äußerung betreffend die medizinischen Akten zu unterlassen, und darüber hinaus einen Richtigstellungsanspruch angenommen.
Eine Revision ist nicht zugelassen.
ah/LTO-Redaktion
mit Material von dpa
OLG Köln zu Äußerungen eines Contergangeschädigten: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28025 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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