Kurz vor Weihnachten lässt die Justiz traditionell Häftlinge frei, deren Strafe ohnehin in Kürze geendet hätte und die sich im Gefängnis einwandfrei verhalten haben. Die Bedingungen sind streng - und nicht alle Länder machen mit.
Auch in diesem Jahr zeigt sich die deutsche Justiz milde und entlässt kurz vor Weihnachten etliche Gefangene aus der Haft. Mindestens 921 Inhaftierte dürfen oder durften bereits ihre Haftanstalten früher verlassen, wie sich aus einer Umfrage der dpa sowie LTO-Informationen ergibt. Im vergangenen Jahr waren bundesweit mehr als 960 Straftäter vorzeitig begnadigt worden.
Durch die Weihnachtsamnestie soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtert werden: So können die entlassenen Häftlinge vor den Feiertagen etwa nötige Behördengänge erledigen, Therapie- oder Vorstellungsgespräche wahrnehmen und Hilfsangebote und Beratungsstellen nutzen, bevor diese in die Weihnachtspause gehen. Erfahrungsgemäß seien auch Wohnungs- und Arbeitssuche zum Jahresende schwierig, sagte der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). In der Hauptstadt wurden bereits sechs Wochen vor Heiligabend 123 Straftäter vorzeitig aus der Haft entlassen. Das teilte die Senatsjustizverwaltung auf Anfrage der dpa mit. Im Vorjahr hatten 141 Berliner Gefangene von der Entscheidung profitiert. In Hamburg sind es 26 Strafgefangene, die im Zuge der Weihnachtsamnestie bereits zum 30. November entlassen worden sind. Ihr eigentliches Strafende hätte zwischen dem 1. Dezember und dem 6. Januar gelegen.
In den meisten Bundesländern kommt ein Hafterlass nur dann in Betracht, wenn die Entlassung ohnehin in der Zeit zwischen November und Anfang Januar angestanden hätte. Meist handelt es sich um Tage, die Häftlinge vorzeitig entlassen werden, nicht um Monate. Für eine Entlassung kommen nur Häftlinge in Frage, die im Gefängnis nicht negativ aufgefallen sind und keine langjährige Haftstrafe verbüßen mussten. Eine frühere Entlassung ist zudem in der Regel ausgeschlossen, wenn der oder die Gefangene wegen Drogenhandels, grober Gewalt oder anderer schwerwiegender Delikte verurteilt wurde.
NRW entlässt die meisten Häftlinge
Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) entlässt bundesweit die meisten Häftlinge vorzeitig. Nach Auskunft des NRW-Justizministeriums wurde in diesem Jahr bereits 277 Gefangenen vorzeitig die Freiheit beschert. Die Zahl dürfte sich noch erhöhen, denn in den kommenden Tagen kommen erfahrungsgemäß weitere Gefangene in den Genuss der Amnestie. Im Vorjahr waren bis Anfang Dezember 247 Gefangene freigekommen, im Jahr 2019 - vor der Corona-Pandemie - zum Beginn der Adventszeit schon 522 Häftlinge.
In Baden-Württemberg seien in diesem Jahr 184 der rund 6.500 Häftlinge früher als zunächst geplant entlassen worden, einer weniger als im vergangenen Jahr, teilte das Justizministerium in Stuttgart mit. Im Freistaat Sachsen, wo erst zum zweiten Mal nach 2020 Straftäter vor ihrem eigentlichen Haftende entlassen werden, kamen nach Angaben des Justizministeriums 40 Menschen frei (Vorjahr: 58).
In Mecklenburg-Vorpommern rechnet man damit, dass 43 Gefangene in den Genuss der Weihnachtsamnestie kommen werden. In Sachsen-Anhalt kommen voraussichtlich 22 Gefangene im Zuge der Weihnachtsamnestie auf freien Fuß. Damit würden insgesamt 506 Hafttage nicht vollstreckt, teilte das Justizministerium in Magdeburg mit. Der Stadtstaat Bremen entließ bereits 21 Gefangene. Laut LTO-Informationen werden in Niedersachsen zwischen 50 und 60 Personen von der Weihnachtsamnestie profitieren, in Hessen sind nach Angaben des Justizministeriums 81 Gnadenerweise aus Anlass des Weihnachtsfestes gewährt worden. Aus Brandenburg liegen noch keine Zahlen vor.
Bayern begnadigt nie zum Jahresende
In Rheinland-Pfalz können sich in diesem Jahr 80 Gefängnisinsassen über eine vorzeitige Entlassung freuen, wie das Justizministerium mitteilte. Im vergangenen Jahr hatten 110 Gefangene von der Regelung profitiert, im Jahr davor 123. Die geringere Zahl in diesem Jahr hänge indirekt mit der Corona-Pandemie zusammen, sagte Sprecher Christoph Burmeister. Noch immer werde die Vollstreckung bei sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen - also Menschen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, diese aber nicht bezahlen - teilweise zurückgestellt. Daher sei die Zahl der Gefangenen insgesamt noch immer unterdurchschnittlich - und damit auch die Zahl derer, die unter die Gnadenregelung fallen können.
Nicht in allen Bundesländern kommen Gefangene in den Genuss der Weihnachtsamestie. So hätten im Saarland die Voraussetzungen für Begnadigungen in diesem Jahr bei keinem Gefangenen vorgelegen, teilte das Justizministerium in Saarbrücken mit. Der Freistaat Bayern begnadigt prinzipiell nie zum Jahresende. Eine Weihnachtsamnestie "würde einen nicht sachlich gerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Gefangenen gewähren, deren Haftzeit - zufällig - zu anderen Zeiten endet, etwa an Ostern oder Pfingsten", hieß es aus dem Bayerischen Justizministerium.
In Schleswig-Holstein haben in diesem Jahr bisher zwölf Gefangene mit Blick auf das nahende Weihnachtsfest von sogenannten Gnadenerweisen profitiert. Ein weiterer Gnadenerweis erging an einen Gefangenen aus der Justizvollzugsanstalt in Bremen, der von einem schleswig-holsteinischen Gericht verurteilt worden war, wie ein Sprecher des Justizministeriums am Montag der dpa sagte. Weitere Entlassungen könnten bis zum Ende des Begünstigungszeitraums am 6. Januar folgen. Bei den Gnadenerweisen handelt es sich laut schleswig-holsteinischem Justizministerium nicht um eine Amnestie, sondern um Einzelfallentscheidungen. Vorzeitige Freilassungen in der Zeit vor Weihnachten sind an klare Voraussetzungen geknüpft. So muss die verhängte Haftstrafe ohnehin bis zum 6. Januar regulär enden. Ausgenommen sind grundsätzlich Gefangene, die wegen besonders schwerwiegender Verbrechen wie grober Gewaltdelikte oder Sexualstraftaten verurteilt wurden.
Auch in Thüringen gibt es keine Amnestie im Rechtssinne, sondern sogenannte Gnadenerweise. In diesem Jahr wurden nach Auskunft des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV) zwölf Häftlinge in diesem Zuge vorzeitig entlassen. Vier Strafgefangene haben die vorzeitige Entlassung durch den Gnadenerweis abgelehnt. Bei diesen Zahlen handelt es sich um vorläufige Zahlen, über die endgültige Zahl berichtet das TMMJV zum Stichtag 14. Januar 2021.*
dpa/pdi/fkr/LTO-Redaktion
*Die Zahlen aus Thüringen wurden nachträglich ergänzt. 17.12.2021, 09:50 (Red.).
Weihnachtsamnestie 2021: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46911 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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