An diesem Freitag scheidet Rudolf Mellinghoff aus dem aktiven Justizdienst aus. Er war seit 2011 Präsident des Bundesfinanzhofs. Davor war Mellinghof Mitglied des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht.
Bekannt wurde Rudolf Mellinghoff als Verfassungsrichter. Als er 2001 auf Vorschlag der CDU/CSU gewählt wurde, galt er als Kirchhof-Mann, denn Mellinghoff war von 1987 bis 1991 als wissenschaftlicher Mitarbeiter schon einmal am Bundesverfassungsgericht (BVerfG), wo er für den wirkmächtigen Richter Paul Kirchhof arbeitete. Zuvor war Mellinghoff auch schon an Kirchhofs Heidelberger Lehrstuhl tätig. Außerdem gab er mit ihm einen Kommentar zum Einkommensteuergesetz heraus.
Eine gewisse Rolle mag bei Mellinghoffs Wahl im Bundesrat auch gespielt haben, dass er Erfahrung in Ostdeutschland hatte. Zehn Jahre nach der Deutschen Einheit war das noch sehr relevant. Mellinghoff stammte zwar aus einer rheinländischen Arztfamilie, ging aber schon 1991 nach Mecklenburg-Vorpommern, wo er zunächst als Referatsleiter im Justizministerium die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aufbaute. Später wurde er Finanzrichter, war aber auch am Oberverwaltungsgericht und am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommerns tätig.
Den Bundesfinanzhof (BFH) lernte Mellinghoff nicht erst als Präsident kennen. Schon von 1997 bis 2001 hatte er dort eine erste Phase als einfacher Richter. Dass ein BFH-Richter dann Verfassungsrichter wird, ist eher ungewöhnlich. Mellinghoff war 46 Jahre alt, also noch relativ jung, als er nach Karlsruhe gewählt wurde. Er folgte auf Klaus Winter, der nach langem Krebsleiden noch während seiner Amtszeit gestorben war.
Zum Steuerrecht über Umwege
Am Zweiten Senat war Mellinghoff zunächst nicht für Steuerrecht zuständig. Diese Zuständigkeit verblieb bei der von der SPD nominierten Lerke Osterloh, die das Feld nach dem Abgang von Paul Kirchhof übernommen hatte. Stattdessen musste Mellinghoff, wie am Zweiten Senat üblich, zunächst Themen übernehmen, die sonst niemand wollte, etwa Kommunal- und Strafvollstreckungsrecht sowie Teile des Asylrechts. Dennoch war Mellinghoff steuerrechtlich einflussreich: Osterloh und Mellinghoff haben Steuerentscheidungen vor allem zu zweit entschieden, weil sich die anderen Richter, wie man hörte, für das komplexe Rechtsgebiet weniger engagierten.
Später übernahm Mellinghoff auch das Straf- und Strafprozessrecht und prägte dabei die strenge Karlsruher Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung mit. Regelmäßig beanstandete seine Kammer auch überzogene Hausdurchsuchungen. In einem Interview bezeichnete Mellinghoff die Zahl verfassungswidriger Durchsuchungen als "bedenklich hoch".
Im Gericht galt Mellinghoff dennoch als eher konservativ. Mehrfach schrieb er am nicht gerade progressiven Zweiten Senat Sondervoten, oft gemeinsam mit dem ebenfalls konservativen Richter Udo Di Fabio. Sein wohl bekanntestes Minderheitsvotum betraf 2011 das Urteil zur Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen, als er gemeinsam mit Di Fabio mehr Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber forderte. Im Umgang mit Journalisten war Mellinghoff zugänglich und diskutierte auch gern mit Andersdenkenden.
Der "heimliche Außenminister" des BVerfG
Der seit kurzem ehemalige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bezeichnete Mellinghoff in einer Rede einmal als "heimlichen Außenminister" des Verfassungsgerichts. Rastlos bereise er alle Kontinente und werbe für die Idee der Freiheit.
Als Osterloh Ende 2010 in Karlsruhe ausschied, konnte Mellinghoff am Zweiten Senat doch noch das Steuer- und Abgabenrecht übernehmen. Da hatte er aber längst schon andere Pläne. Als Nachfolger von Wolfgang Spindler wollte er Präsident des BFH werden. Dort gab es in Person des Vizepräsidenten zwar interne Konkurrenz, doch letztlich entscheidet über solche Posten die Bundesregierung. Dass es dennoch lange bis zur Entscheidung für Mellinghoff dauerte, hatte nichts mit ihm zu tun. Vielmehr wollte die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Paket noch einen ihr genehmen Generalbundesanwalt (letztlich Harald Range) durchsetzen.
Mellinghoff musste zwar sein Amt am BVerfG nach knapp elf Jahren etwas verfrüht abgeben. Doch fühlte er sich mit Mitte 50 jung genug, um noch einmal eine große Aufgabe zu übernehmen. In seiner Amtszeit war der BFH auch eng mit dem BVerfG verbunden. Allein im Jahr 2014 lagen in Karlsruhe 39 Richtervorlagen des BFH - was natürlich nicht auf Vorgaben Mellinghoffs beruhte, der als Präsident viele organisatorische und repräsentative Aufgaben hatte.
Die Attac-Entscheidung
Im Licht der Öffentlichkeit stand der BFH vor allem 2019, als er die Gemeinnützigkeit der linken Nichtregierungsorganisation Attac ablehnte. Mellinghoff, der am Urteil nicht beteiligt war, verteidigte die Entscheidung aber öffentlich. Es sei eigentlich nichts Neues, dass die allgemeinpolitische Betätigung von Verbänden nicht als gemeinnützig anerkannt werden könne. Mellinghoff sah die Gefahr, dass Lobbygruppen sonst die strengen Vorgaben des Parteienfinanzierungsrechts unterlaufen könnten.
In seinem Abschiedsinterview mit der FAZ kritisierte Mellinghoff in dieser Woche wieder einmal die unnötige Komplexität des Steuerrechts. Aktuellstes Beispiel: die vorübergehende Absenkung des Mehrwertsteuersatzes. Mit Blick auf die Corona-bedingte Heimarbeit schlug Mellinghoff vor, die Steuerregelungen zum häuslichen Arbeitszimmer zu liberalisieren und typisierende Pauschalen einzuführen. Europarechtlich kritisierte er die EU-Kommission, die das Beihilferecht missbrauche, um Einfluss auf die Gestaltung der direkten Steuern zu nehmen, für die jedoch die Mitgliedstaaten zuständig sind.
Wer Mellinghoff als BFH-Präsident nachfolgt, ist noch nicht entschieden. Übergangsweise wird die Vizepräsidentin Christine Meßbacher-Hönsch die Amtsgeschäfte übernehmen.
Rudolf Mellinghoff geht in den Ruhestand: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42377 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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