"Justiz-Außenpolitik", Digitalisierung bei Gericht und modernes Familienrecht. Der Bundesjustizminister hat sich viel vorgenommen. Was ist gelungen, was nicht und was wird bleiben? Von einem Justizminister, der gerne als Nerd überraschen wollte.
Es kam schon vor, dass man den Bundesjustizminister Marco Buschmann allein durch das Berliner Regierungsviertel spazieren sah. Ohne Begleitung, ohne Personenschutz. Und auf dem Weg ins Büro ein Buch lesend. Ein Detail, das er immer mal wieder gerne erzählt, wenn man ihn danach fragt. Schon der profane Weg zur Arbeit als bemerkenswerte Einzelheit, ein bisschen überraschend, ein bisschen nerdig, auf keinen Fall unseriös. Und immer die Frage: Wie viel Selbstinszenierung steckt darin? Im (Selbst-)Bild eines Justizministers mit gehöriger Spannbreite, der immer gerade ein Buch las, das er nur empfehlen konnte, der offensichtlich genauso viel Freude daran hatte auf dem Deutschen Juristentag über Herausforderungen für liberale Verfassungsstaaten zu diskutieren, wie über Feinheiten in einem Halbsatz der Strafprozessordnungsänderung. Ein Minister und Star Wars Fan, der unbeeindruckt in riskanten Satire-Talk-Formaten auftrat ("Das ist kein Troll, das bin ich") und unter dem Pseudonym MBSounds Elektrotracks produzierte. In zwei Songs hat er Redefetzen von seinem FDP-Parteikollegen und Vertrauten Christian Lindner verarbeitet. Die Titel heißen "Wutrede" und "Second Speech of Anger".
Nun ging die rechtspolitische Amtszeit von Marco Buschmann früher zu Ende als gedacht. Der Bundesjustizminister folgte Lindner und trat am Donnerstag im Zuge des Ampel-Aus zurück, seine Amtszeit betrug damit drei Jahre. Drei Jahre, in denen er die Rechtspolitik prägen konnte – und die Vorhabenliste zu Beginn seiner Zeit war lang. Besonders die Digitalisierung der Justiz sowie die Modernisierung des Familienrechts hatte sich der FDP-ler vorgenommen.
Gefangenen-Deal, Justiz-Außenpolitik und GG-Änderung für das BVerfG
Im Kopf behalten wird man Buschmann allerdings nicht nur für abgearbeitete Projekte, sondern vor allem auch für mindestens drei akute Entwicklungen, auf die er reagieren musste. So erteilte er 2024 im Rahmen des historischen Gefangenenaustauschs mit Russland dem Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit der Freilassung des sog. Tiergartenmörders eine Weisung und übernahm die politische Verantwortung für den heiklen Deal im Grenzbereich von Recht und Politik. Eine Bewährungsprobe für den Rechtsstaat.
Zum zweiten war es Buschmann, der eine Art "Justiz-Außenpolitik" eingeführt hat, als er nach Russlands Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 ein Treffen der G7-Justizminister ins Leben rief. Dort ging es um völkerstrafrechtliche Verbrechen in der Ukraine. Mittlerweile hat das Treffen zum dritten Mal stattgefunden. Zu einer solchen "Justiz-Außenpolitik" gehört auch die personelle Verstärkung der Bundesanwaltschaft, sie bekam von Buschmann zwei neue Referate für die Ermittlungen zu Kriegsverbrechen. Entwicklungen, die auch international stark wahrgenommen wurden.
Als drittes Thema aus seiner Amtszeit wurde ein Thema drängend, das bis dahin vor allem Verfassungsrechtler und Rechtsjournalisten umgetrieben hatte: Die Bedrohung des Bundesverfassungsgerichts durch immer stärker werdende populistische Parteien. Eine Absicherung von wichtigen Strukturen des Gerichts braucht eine Grundgesetzänderung, und damit die Abstimmung von Ampel mit der Union. Buschmanns Ministerium hatte dabei eine koordinierende Rolle. Inzwischen sind die Entwürfe, auf den man sich geeinigt hat, auch im Bundestag gelandet. Doch wie geht es nun weiter? In seiner Rücktrittserklärung betont Buschmann am Donnerstag noch einmal selbst wie wichtig es sei, "dass dieser wertvolle Kompromiss nicht der Diskontinuität anheimfällt".
Aus der großen Familienrechtsreform wurde nix
Das gilt für andere wichtige Pläne ebenso, denn auch das steht fest: Einigen Projekte, die auf der Zielgeraden sind, droht nun mit dem vorzeitigen Ampel-Aus der Zeitablauf. Unklar ist, ob zu einzelnen Vorhaben noch eine Mehrheit zustande kommt. Vieles ist aber auch im Stadium des Gesetzesentwurfs stecken geblieben, ja teilweise auch nur in Eckpunkten.
Das gilt unter anderem für eins der zentralen rechtspolitischen Vorhaben der Ampel: Das Familienrecht moderner machen. Der Plan war, die Realität deutscher Familien im Gesetz besser abzubilden. Tatsächlich sind Familien nun flexibler bei der Wahl des Nachnamens – beide Ehepartner können Doppelnamen tragen, auch die Kinder. Diese können sogar dann einen Doppelnamen führen, wenn die Eltern das nicht tun. Aus Mama Schmidt und Papa Schneider kann also ein Kind Schmidt-Schneider werden. Das entsprechende Gesetz ist verkündet und tritt am 1.Mai 2025 in Kraft.
Doch gerade das Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht hätten Reformen gebraucht, um wirklich auf die Höhe der Zeit zu kommen. Doch sie stecken erst seit kurzem in der Entwurfsphase. Im Oktober dieses Jahres legte Buschmann drei Gesetzentwürfe vor – allerdings überging er in umstrittener Weise dabei das Bundesfamilienministerium und hat sie direkt an die Länder weitergeleitet. Darin steht: Entlastung von mitbetreuenden Vätern bei Unterhaltszahlungen, rechtliche Gleichstellung von zwei Müttern mit verschiedengeschlechtlichen Eltern, die gesetzliche Regelung des Wechselmodells nach Trennungen und nichteheliche Paare sollen gemeinsam ein Kind adoptieren können. Ob diese Entwürfe jemals zu einem Gesetz werden, ist völlig offen.
In einem noch früheren Stadium steckt die Einführung der sog. Verantwortungsgemeinschaft fest. Diese soll eine Verantwortungsübernahme füreinander auch ohne Ehe oder Liebesbeziehung ermöglichen, beispielsweise in engen Freundschaften oder Senioren-WGs. Lediglich Eckpunkte liegen dafür vor. Und aus dem Stadium der Auflistung im Koalitionsvertrag erst gar nicht heraus geschafft hat es die Einführung der Kinderrechte in Art. 6 des Grundgesetzes (GG).
Selbstbestimmung, Justiz-Digitalisierung und Streit mit den Ländern
Einen Schritt in Richtung mehr Selbstbestimmung von Frauen hingegen brachte die Abschaffung des § 219a StGB, dem Werbeverbot für Abtreibungen. Das Gleiche gilt für trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Personen. Sie haben es nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) nun leichter, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zu ändern. Es löst das Transsexuellengesetz ab.
Im Jahr 2021 wählten vor allem junge Leute die FDP für ihre Pläne im Bereich der Digitalisierung. Auch Buschmann hatte sich dazu einiges vorgenommen. Gerichtsverfahren sollten digitaler werden, vom Aktenaustausch, über Videoverhandlungen bis zur in der Justiz umstrittenen Audio-Dokumentation des Strafprozesses. Letzteres steckt im Vermittlungsausschuss fest, nicht vorstellbar, dass daraus noch was wird.
Ansonsten hat das BMJ aber durchaus was vorzuweisen, wenn es um Modernisierung und Digitalisierung des Justizstandorts Deutschland geht – bei aller Kritik an Einzelheiten. So ist § 128a Zivilprozessordnung (ZPO) reformiert und die Videoverhandlungen an den Zivilgerichten ausgebaut worden. Das Gesellschafts- und Registerrecht sieht nun auch notarielle Online-Verfahren vor und verwaltungsgerichtliche Verfahren im Infrastrukturbereich sollen schneller gehen. Außerdem können in Deutschland nun Commercial Courts eingeführt werden, also spezielle Spruchkammern für Handelssachen, vor denen auf Englisch verhandelt werden kann.
Eine spannende Reform, die allerdings noch im Stadium des Kabinettsbeschlusses steckt, betrifft Online-Verfahren für den Zivilprozess. Bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro sollen Bürgerinnen und Bürger ihre Ansprüche komplett digital geltend machen können.
Das Verhältnis Buschmanns zu den Justizkolleginnen und -kollegen Ländern war durchaus angespannt, Buschmann hatte den Ruf, eher der Mann der Anwaltschaft als der Mann der Justiz zu sein. Zu einer Neuauflage eines "Pakt für den Rechtsstaat" kam es nicht. Seine Digitalisierungspläne wurden von Teilen gerade der etablierten Justiz mit Skepsis gesehen. Das gipfelte sogar in einem offenen Affront auf dem Richter- und Staatsanwaltstag 2023 in Weimar, als Buschmann ausgebuht wurde. Ironischerweise hatte es sich aber wohl um ein Missverständnis seiner Rede gehandelt.
Vorratsdatenspeicherung, Strafrecht und was ist eigentlich mit der Mietrechtsreform?
Wahrscheinlich steht kein Anliegen so sehr für das freiheitsrechtliche Gewissen der FDP wie der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung, zumal auch eng verbunden mit der letzten Justizministerin der Partei Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Von Polizei und Staatsanwaltschaften immer wieder gefordert, wollte Buschmann die anlasslose Vorratsdatenspeicherung durch eine anlassbezogene sog. Quick-Freeze-Lösung ersetzen. Das SPD-geführte Bundesinnenministerium bestand auf einer weitergehenden Speicherpflicht und plötzlich hing das sicherheitspolitische Projekt von der Verlängerung der Mietpreisbremse ab. Buschmann setzte sich durch, letztendlich kam im Oktober 2024 ein abgestimmter Entwurf zur begrenzten Quick-Freeze-Lösung, der nun bei den Ländern liegt. Unwahrscheinlich, dass das Vorhaben noch Gesetz wird. In einer nächsten Legislatur, falls unter Beteiligung der Union, dürfte die Vorratsdatenspeicherung eine Wiederbelebung erfahren.
Zur Verlängerung der Mietpreisbremse hat Buschmann im Oktober einen Gesetzentwurf vorgelegt. Schicksal? Sehr ungewiss, zumal die FDP die Verlängerung eh kritisch sah und nun nach Ende der Ampel wohl kaum dafür stimmen wird. Die Verlängerung der Mietpreisbremse war damit übrigens das einzige Reformvorhaben aus dem Mietrecht, das das BMJ vorzuweisen kann. Die weitergehenden Reformen in diesem Bereich blieben liegen. Unter die Rubrik "Nie was gehört, aber im Koalitionsvertrag angekündigt", fällt auch die eigentlich geplante Reform des Unternehmenssanktionsrechts.
Sehr spät kam zumindest die Modernisierung des Strafgesetzbuchs (StGB). Ein 70-seitiger Entwurf ging Mitte Oktober in die Ressortabstimmung. Die Öffentlichkeit wird da das "Schwarzfahren" nach § 265a StGB am meisten interessieren, es soll auf eine Ordnungswidrigkeit herabgesetzt werden. Sehr wahrscheinlich, dass auch dieses Projekt nicht abgeschlossen werden kann. Im Bereich des Strafrechts kann Buschmann allerdings die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe vorweisen.
Viele BMJ-Projekte werden auf der Zielgerade liegen bleiben
Es bleibt der Eindruck, dass sehr viele auch ambitionierte Gesetzesvorhaben aus dem BMJ eigentlich ausgearbeitet sind, Kompromisse erzielt wurden, die nun eigentlich in der letzten Phase der regulären Legislatur noch hätten durch das Gesetzgebungsverfahren laufen und beschlossen werden können. Dazu kam es jetzt nicht mehr. Deshalb dürften zahlreiche dieser Vorhaben auf der Strecke bleiben.
Nicht wehmütig zeigt sich der Unions-Rechtspolitiker im Bundestag Gunther Krings. "Marco Buschmann hat sein Amt sicherlich sehr ernst genommen", sagt Krings zu LTO. "Aber sein Rücktritt als Bundesjustizminister ist dennoch ein gutes Signal für Deutschland, weil er in gesellschafts- und sicherheitspolitischen Themen die falschen Weichenstellungen vorgenommen hat." Krings zählt dazu die Reformen im Transsexuellenrecht, die Blockade bei der Vorratsdatenspeicherung und die Reformen im Familien- und Strafrecht. Auch Linken-Rechtspolitikerin Clara Bünger - freilich mit ganz anderer Stoßrichtung - sagte: "Den zurückgetretenen Justizminister Marco Buschmann werden wir nicht vermissen, denn seine Amtszeit war aus strafrechtlicher Sicht eine Enttäuschung und wird keine guten Spuren hinterlassen." Sie kritisiert nicht umgesetzte Strafrechtsreformen. "Buschmann glänzte mit Untätigkeit und Verzögerung. Fazit seiner Amtszeit: Nichts als große Versprechungen."
Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg betont gegenüber LTO, dass Grüne und FDP in der Rechtspolitik die größten Schnittmengen haben. Vieles sei gelungen, vieles leider auch unerledigt geblieben. Besonders wichtig ist Limburg: "Es ist unbedingt notwendig, dass wir die Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts noch in den verbleibenden Wochen gemeinsam beschließen." Die Mehrheiten und Absprachen dafür seien unabhängig von Koalitionen da.
SPD-Rechtspolitikerin Sonja Eichwede resümiert, sie habe zumeist konstruktiv und gut mit Buschmann zusammenarbeiten können. "Dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen im Mietrecht bis heute noch nicht umgesetzt sind, ist ein echtes Versäumnis, das gerade Geringverdiener und Familien jeden Monat schmerzlich zu spüren bekommen", sagte Eichwede zu LTO.
Für eine Neuwahl bereit
Mit dem promovierten Jurist Buschmann, der neben seiner politischen Karriere in der internationalen Großkanzlei White & Case gearbeitet hatte und später als Abgeordneter im Rechtsausschuss des Bundestags saß, konnte man einen Justizminister erleben, der gefühlt von Monat zu Monat seiner Amtszeit selbstbewusster wurde. Gerade dann, wenn er Gegenwind bekam. Und gerade zum Ende hin, als die Stimmung in der Ampel schwieriger wurde.
Wie gut der Minister in seinem Haus ankam, da hängt die Antwort immer sehr davon ab, wenn man fragt. Die Hausspitze soll jedenfalls sehr klar an die Fachebene durchgegeben haben, was politisch gewünscht ist. Buschmann hatte wie üblich seine Fachleute aus den Abteilungen an seiner Seite, wenn er etwa ein neues Gesetz vorstellte. Auf deren Expertise auch in Detailfragen brauchte er bei solchen Auftritten so gut wie nie zurückgreifen, sein Ehrgeiz war es sich in den Rechtsfragen selbst bestens auszukennen.
In den letzten Wochen hatte Buschmanns Ministerium fast täglich noch fertiggestellte Arbeiten an Gesetzen und Verordnungen bekannt gegeben. Buschmann bleibt Abgeordneter im Bundestag, mit einem Mandat aus seiner Heimat Gelsenkirchen. Bei einer Neuwahl will er wieder antreten.
Welche Reformen kamen, welche nicht?: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55824 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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