Angriffe aus der Politik, Personalmangel sowie veraltete Ausstattung und Nachwuchssorgen: Das Vertrauen aus der Bevölkerung in das Rechtssystem hält an, aber die Justiz selbst treiben Sorgen um. Der aktuelle Rechtsreport zeigt Verunsicherung.
Wie geht es dem Rechtssystem in Deutschland? Einmal im Jahr fragt eine Allensbach-Umfrage nach dem Vertrauen der Bürger in dieses, die Ergebnisse veröffentlicht der Roland Rechtsreport. Der für das Jahr 2019 fragt aber erstmals seit 2013 auch wieder bei der Richterschaft und den Staatsanwälten selbst nach.
Grob zusammengefasst kann man sagen: Es gibt keine dramatischen Veränderungen gegenüber den Vorjahren, es läuft einigermaßen stabil für das Justizsystem. Das Vertrauen der Bevölkerung in dieses ist hoch, 64 Prozent der Befragten haben "sehr viel" oder "ziemlich viel" Vertrauen in die Gesetze und Gerichte – besser schneiden nur kleinere sowie mittlere Unternehmen und die Polizei ab. In Zeiten, in denen das Vertrauen der Bevölkerung in viele Institutionen bröckelt, ein gutes Zeichen. In Auftrag gegeben hat die Umfrage die Roland-Rechtsschutz-Versicherung.
Ausgewertet wurden die Antworten von rund 1.200 Bürgern und für einen Sonderbericht aus der Justiz die Antworten von knapp 1.000 Richtern und Staatsanwälten. Im Jahr 2013, als die Justiz von den Meinungsforschern zum ersten Mal befragt wurde, waren es noch 1.700 Antworten.
Bevölkerung und Justiz klagen über lange Verfahrensdauer
Auch wenn die Bevölkerung der Justiz grundsätzlich vertraut, gibt es daneben auch Beschwerden. Die sind aber mit Blick auf die Vorjahre nicht neu: 88 Prozent der befragten Bürger denken, dass die meisten Verfahren in Deutschland zu lange dauern – und das meinen vor allem die, die bereits eigene Erfahrung vor Gericht gesammelt haben. Damit stimmen sie ganz gut überein mit der Selbsteinschätzung der Justiz. Denn auch unter den Richtern und Staatsanwälten glauben zwischen 75 und 88 Prozent, dass Verfahren zu lange dauern.
Nichtsdestotrotz halten Richter und Staatsanwälte das deutsche Rechtssystem an sich für sehr gut oder gut – und zwar ganze 98 Prozent. Sie klagen allerdings über die angespannte Personalsituation an ihren Dienststellen: 82 Prozent der Richter und sogar 92 Prozent der Staatsanwälte bewerten die Situation negativ. Drei Viertel der befragten Staatsanwälte geben an, es fehle ihnen an Zeit für die Arbeit an ihren Fällen. Eng verknüpft mit diesem Stimmungsbild scheint auch die (Un-)Zufriedenheit mit der Justizpolitik der Bundesregierung: Die Mehrheit der Richter und Staatsanwälte zieht ein gemischtes Fazit, einen guten Eindruck haben nur elf Prozent der Richter und 14 Prozent der Staatsanwälte. Ganz oben auf der Prioritätenliste aus Sicht der befragten Justiz stehen der – nun beschlossene – Pakt für den Rechtsstaat und die damit einhergehenden Versprechen, die Justiz personell wie technisch wesentlich besser auszustatten.
Besondere Sorgen machen sich die Befragten aus der Justiz aber um die Unabhängigkeit der dritten Gewalt. Einerseits glauben 58 Prozent der Richter und Staatsanwälte, dass die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen bedroht ist. Das mag kaum überraschen, bot das Jahr 2018 gleich eine ganze Reihe von prominenten Fällen, in denen Politik und Behörden sich über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzten: Von der Abschiebung des Gefährders Sami A. in NRW bis hin zu den Luftreinhalteplänen für München.
Eine strukturelle Gefahr für die Justiz?
Aber es gibt auch die weit verbreitete Befürchtung, dass das deutsche Justizsystem strukturell in Gefahr geraten könne. So glaubt weit über die Hälfte der Richter und Staatsanwälte nicht daran, dass die Justiz-Strukturen in Deutschland widerstandsfähig genug wären, um politische Angriffe seitens der Regierung abwehren zu können, falls diese Hand an die Unabhängigkeit der Justiz anlegen wollen würde.
Wie sich solche schleichenden Erosionen vollziehen, kann man im Nachbarland Polen oder in Ungarn beobachten. Als eine Reaktion darauf gibt es deutliche Forderungen nach mehr Unabhängigkeit von der Exekutive und mehr Selbstverwaltung: So plädieren 79 Prozent der Richter und Staatsanwälte dafür, die Weisungsbefugnis der Justizminister an die Staatsanwaltschaften abzuschaffen, knapp zwei Drittel sprechen sich für mehr Autonomie der deutschen Justiz bei Personal- und Haushaltsfragen aus.
Richter und Staatsanwälte empfehlen Justiz als Arbeitgeber eher verhalten
Trotz der beklagten Mängel in Sachen Personalausstattung und technische Ausrüstung ist die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen hoch. 83 Prozent schätzen die selbstbestimmte Arbeitseinteilung, 74 Prozent die abwechslungsreiche Arbeit und 71 Prozent der Befragten sehen eine gute Vereinbarkeit mit dem Familienleben. So würden sich auch 46 Prozent "mit Sicherheit" wieder für ihren Beruf in der Justiz entscheiden, 41 Prozent geben an, ihn "wahrscheinlich" wieder zu wählen.
Interessanterweise halten dennoch 42 Prozent den Beruf des Richters oder Staatsanwalts heute für qualifizierte Nachwuchsjuristen für "eher unattraktiv", 47 Prozent bewerten ihn lediglich als "eher attraktiv".
Das mag aber auch eine Frage des Bundeslandes sein: Wenn es um die Arbeitsbedingungen geht, lassen sich nämlich teils gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern feststellen. Besonders unzufrieden sind im Ländervergleich die Berliner Richter und Staatsanwälte, besonders zufrieden dagegen sind ihre Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg.
Ein Länder-Gefälle zeigt sich auch bei der Zufriedenheit mit der technischen Ausstattung der Justiz. Bundesweist hält die Hälfte der befragten Richter und Staatsanwälte die Ausstattung für "eher schlecht", 13 Prozent sogar für "sehr schlecht"; im Ländervergleich schneidet aber etwa Baden-Württemberg deutlich besser ab als die Schlusslichter NRW und Berlin.
Markus Sehl, Roland Rechtsreport 2019: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33925 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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