Im Koalitionsvertrag angekündigt, vor Kameras gerne erwähnt: Der "Pakt für den Rechtsstaat" verspricht 2.000 neue Stellen bei Gerichten von Bund und Ländern. Voran geht aber nichts. Auch, weil BMJV und BMI nicht in die Gänge kommen.
Beim "Pakt für den Rechtsstand" herrscht Stillstand. Auf einem Treffen der Staatssekretäre der Regierungschefs von Bund und Ländern Mitte September sollte das Thema eigentlich zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden. Dazu kommt es jedoch nicht. Einen nächsten Versuch soll es nach LTO-Informationen Mitte November geben. Und auch im Bundesrat will das Thema nicht wirklich vorankommen: Hier bremst ausgerechnet das CSU-regierte Bayern.
Noch im April veranstaltete die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine medienwirksame Veranstaltung auf der Fraktionsebene im Bundestag. Der Bundesinnenminister, der Vorsitzende der Unionsfraktion, Vertreter der Richterschaft – alle waren sie da, um sich mit einem Kernanliegen der Union in dieser Wahlperiode, dem Pakt für den Rechtsstaat, zu befassen. Denn: "Wir wollen in dieser Wahlperiode die Handlungsfähigkeit unseres Rechtsstaats durch mehr Personal, bessere Ausstattung und effizienteres Verfahrensrecht steigern. Denn nur so können leichter Straftaten verhindert, Täter schneller ermittelt und Schuldige konsequent verurteilt werden. Wir wollen den starken Staat", kündigte der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, an.
Auch Bundesjustizministerium Katarina Barley (SPD) wird nicht müde, das Thema in ihren Vorträgen zu erwähnen, und mehr Stellen für die Justiz zu fordern. Das klingt natürlich gut. Indes: Passiert ist bis heute nichts.
Finanzierung weiter ungeklärt
Noch ist völlig unklar, wer die Stellen, die mehrheitlich auf Landeseben entstünden, finanzieren soll. Das Land NRW hatte vor geraumer Zeit eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen. Danach sollte ein neuer Art. 104e Grundgesetz (GG) eingefügt werden, der den Ländern Finanzmittel durch den Bund ermöglicht: "Der Bund kann den Ländern im gesamtstaatlichen Interesse liegende Finanzhilfen im Bereich der personellen und sächlichen Ausstattung der Justiz gewähren", so der Vorschlag. Die Länder stünden aufgrund des Paktes vor erheblichen Investitionen. Wolle man diesen aber ernstlich verfolgen, so sei man dabei auf Unterstützung des Bundes angewiesen.
Zwar ist eine Grundgesetzänderung jedenfalls auf Initiative des Bundesrates mittlerweile vom Tisch, gleichwohl verfolgt NRW das Thema im Bundesrat hartnäckig weiter. So hat die Landesregierung dem Bundesrat noch vor der Sommerpause einen Entschließungsantrag (BR-DS.322/18) vorgelegt, der den Bund auffordert, die Mittel für den Pakt für den Rechtsstaat zeitnah bereitzustellen. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) stellte den Antrag in der Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2018 seinen Kollegen vor und warb um Unterstützung. Der Bund solle zeitnah die erforderlichen Schritte einleiten, um die Umsetzung des Pakts zu ermöglichen, forderte er.
Schließlich seien die Länder trotz aller eigenen Anstrengungen auf finanzielle Unterstützung durch den Bund angewiesen. "Nur wenn Bund und Länder im gesamtstaatlichen Interesse zusammenwirken, kann der Rechtsstaat dauerhaft handlungsfähig sein und das Vertrauen in die rechtsstaatliche Demokratie gestärkt werden", heißt es in dem Antrag. Unterstützung erfährt die schwarz-gelbe Initiative etwa seitens Hamburg und Berlin.
Bayern lehnt NRW-Initiative ab
Noch steht die Drucksache aus NRW auf der Tagesordnung der kommenden Rechtsausschusssitzung des Bundesrates am 5. September. Doch ausgerechnet ein Bundesland lehnt die geplante Befassung im Rechtsausschuss ab: Bayern. Und das, obwohl sich gerade der Freistaat in den Koalitionsverhandlungen maßgeblich für den Rechtsstaatspakt eingesetzt hatte.
In einer Mail, die LTO vorliegt, bittet das bayerisches Staatsministerium der Justiz die Kollegen der anderen Bundesländer darum, den Antrag aus NRW – immerhin auch ein unionsregiertes Bundesland – zu vertagen. Sollte der Antrag auf Vertagung im Rechtsausschuss keine Mehrheit finden und es zur einer Abstimmung in der Sache kommen, so kündigt das Ministerium in dem Schreiben an, "leider keine Zustimmung signalisieren" zu können.
Auf Unverständnis stößt diese Position bei den Initiatoren aus NRW: "Alle Länder müssten ein Interesse daran haben, das Thema zeitnah anzugehen und nicht auf die lange Bank zu schieben", so ein Sprecher des NRW-Justizministeriums zu LTO. Der nordrhein-westfälischen Landesregierung sei an einer baldigen Umsetzung des Pakts für den Rechtsstaat gelegen.
Das bayerische Justizministerium will zur ablehnenden Haltung Bayerns im Bundesrat nichts sagen. Man äußere sich "grundsätzlich nicht zu vertraulich ausgetauschter Korrespondenz ". Der Pressesprecher des Ministeriums, Dr. Thomas Pfeiffer, betonte allerdings, dass Bayern den Pakt für den Rechtstaat begrüße. "Es bleibt jetzt zunächst abzuwarten, welchen konkreten Vorschlag die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz unterbreiten wird. Dieser sollte jetzt zeitnah erfolgen", so Pfeiffer zu LTO.
Durchbruch am 5. Dezember?
Der Bund seinerseits ist von einem fertigen Konzept für den Pakt für den Rechtsstaat offenbar noch weit entfernt. Eigentlich sollten die Staatssekretäre von Bund und Ländern Mitte September konkrete Vereinbarungen treffen. Dieser Tagesordnungspunkt wird jedoch vertagt, weil Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium dem Bundeskanzleramt noch keine Diskussionsgrundlage geliefert habe. Nach LTO-Informationen erwartet das Kanzleramt nunmehr, dass die zuständigen Bundesministerien die Diskussionsgrundlage so rechtzeitig vorlegen werden, dass man das Thema spätestens am 5. Dezember behandeln kann, wenn die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin zusammenkommen. Auf einer Konferenz der Staatssekretäre mit Kanzleramtsminister Helge Braun sollen Mitte November dafür die Weichen gestellt werden.
Ungehalten ob der bisherigen Untätigkeit des Bundes reagiert derweil so mancher Landesjustizminister. "Wir warten bei diesem Thema als Landesminister immer noch auf eine Einladung des Bundes", sagt etwa der Justizsenator Berlins, Dirk Behrendt. Im Gespräch mit LTO kritisiert Behrendt, dass der Bund bei den Ländern mit den Versprechungen im Koalitionsvertrag zwar riesige Erwartungen geweckt, konkrete Konzepte aber bis heute nicht vorgestellt habe. Neben der ungeklärten Frage nach der Finanzierung sei etwa auch nicht klar, nach welchem Schlüssel die 2.000 Stellen auf die Länder verteilt werden sollen. Behrendt lobte die Initiative aus NRW ausdrücklich.
Auch in der SPD-Bundestagsfraktion zeigt man sich wegen des Stillstandes verärgert. Allerdings nimmt der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Johannes Fechner, seine Parteifreundin Katarina Barley aus der Schusslinie: "Es ist ärgerlich, dass der Pakt für den Rechtstaat nicht vorankommt, die Kanzlerin muss hier mehr Initiative zeigen, " so Fechner zu LTO.
Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, sagte zu LTO, sie sehe die Bundesregierung und die Landesregierungen in der Pflicht: "Ich erwarte, dass der Bund und die Länder auf Chefebene schnell zu guten gemeinsamen Lösungen kommen." Im Koalitionsvertrag sei vereinbart, die Länder finanziell stark zu entlasten. "Wir müssen deutlich machen, dass dieses Geld auch für die im Pakt für den Rechtsstaat vereinbarten Maßnahmen verwendet werden muss", so die CDU-Politikerin.
Pakt für den Rechtsstaat: . In: Legal Tribune Online, 30.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30673 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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