Auch wenn die Staatsanwälte bei Plakatslogans wie "Israel ist unser Unglück!" und "Wir hängen nicht nur Plakate!" noch eine straffreie Deutung für möglich halten, dürfen sie nicht von Ermittlungen absehen, so das OLG Karlsruhe.
Wenn für die Staatsanwaltschaft nicht klar ist, ob eine Aussage strafrechtlich relevant ist oder ob sie noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, muss sie im Zweifel zumindest Ermittlungen einleiten. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe nun in einem Fall aus Pforzheim entschieden (Beschl. v. 26.02.2020, Az. 1 Ws 285/19). Das OLG ordnete zu mutmaßlich volksverhetzenden Plakate an, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen muss.
Vor den Europa- und Kommunalwahlen im Mai 2019 hatten mutmaßlich Verantwortliche der Partei "Die Rechte" zwei Wahlplakate unmittelbar vor der Synagoge der Stadt Pforzheim aufgehängt. Darauf prangten die Slogans: "Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!" und "Wir hängen nicht nur Plakate!"
Die Jüdische Gemeinde der Stadt und ihr Vorsitzender erstatten Anzeige wegen Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) gegen Verantwortliche der Partei "Die Rechte". Nach dem Paragraphen wird bestraft, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert." Wer das mithilfe öffentlicher Schriften tut, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.
Staatsanwaltschaft sah keinen Verdacht auf Volksverhetzung
Die Staatsanwaltschaft entschloss sich Anfang September 2019 dazu, keine Ermittlungen einzuleiten. Sie sah von vornherein aufgrund der Plakataussagen keinen Verdacht auf Volksverhetzung. Ihre Entscheidung begründete sie damit, dass die Slogans nicht eindeutig so gedeutet werden können, dass sich die Aussagen gegen einen in Deutschland lebenden Bevölkerungsteil richten. Es bliebe aus Sicht der Staatsanwaltschaft auch möglich, die Plakataussagen als Kritik an der Politik des Staates Israel zu deuten. Die Aussage "Wir hängen nicht nur Plakate!" könne auch als allgemeines Bekenntnis der Partei zur Todesstrafe gedeutet werden. Die Staatsanwaltschaft sah also straflose Deutungsmöglichkeiten und lehnte deshalb die Verfolgung ab.
Möglicherweise hatten die Staatsanwälte auch eine Entscheidung der Behörde in Dortmund vor Augen. Dort entschied sich die Staatsanwaltschaft zu Partei-Plakaten mit den gleichen Slogans keine Ermittlungen aufzunehmen.
In dem Fall aus Baden-Württemberg lehnte auch die Generalstaatsanwaltschaft eine Beschwerde ab, und sah keine strafrechtlich relevanten Inhalte. Dagegen wandte sich die jüdische Gemeinde und ihr Vorsitzende an das OLG Karlsruhe.
OLG: Entscheidung der Staatsanwaltschaft "nicht mehr verständlich"
In dem Beschluss, der LTO vorliegt, führen die Richter des 1. Strafsenats aus, dass zwar nicht die Gemeinde wohl aber ihr Vorsitzender entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft antragsbefugt sei. "Als in Deutschland lebender jüdischer Mitbürger und Angehöriger einer von § 130 Abs. 1 StGB geschützten Bevölkerungsgruppe, nämlich der in Deutschland beheimateten Juden, stellt die angezeigte Tat, ihre Begehung unterstellt, einen Angriff (auch) auf seine Menschenwürde dar", heißt es in dem Beschluss.
Ausnahmsweise dürfe das Gericht die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichten, "wenn diese aus Rechtsgründen einen Anfangsverdacht verneint und deshalb jede tatsächliche Aufklärung des Tatverdachts unterlassen hat", führen die Richter aus. Sie berufen sich dabei auch auf eine Entscheidung des Senats aus dem Jahr 2002.
Die OLG-Richter betonen, dass der Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Der sei allerdings überschritten, "wenn die Entscheidung unter Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege – wie hier – nicht mehr verständlich ist."
OVG NRW hatte gleichlautende Plakate bereits verboten
Eine Strafverfolgung dürfe nicht allein deshalb scheitern, weil die Plakataussagen auch so gedeutet werden können, dass sie einen straflosen Inhalt haben. Denn solange es tatsächliche Anhaltspunkte für strafbare Inhalte gebe, so die OLG-Richter, sollten gerade erst die Ermittlungen die Unklarheiten aufklären. Alles andere wäre eine Vorwegnahme des Ermittlungsergebnisses.
So könnten sich Ermittler in einem eingeleiteten Ermittlungsverfahren dann auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes oder aus anderen Gerichtsverfahren besorgen. Denn das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen hatte die Wahlplakate mit den gleichen Aussagen im Mai 2019 verwaltungsrechtlich verboten. Die OVG-Richter sahen in den Plakataussagen keine Kritik an Israel, sondern eine gezielte Aussage gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland. Auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte zuvor in diesem Sinne entschieden.
"Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Auslegung ist zwar möglich, wenngleich nach derzeitigem Erkenntnisstand wenig wahrscheinlich und rechtfertigt nicht, auf die Durchführung von Ermittlungen zu verzichten", heißt es in dem Beschluss.
OLG: Ein Verdachtsfall auch im Kontext von Halle-Attentat
Denn die Richter sehen etwa in der Aussage "Israel ist unser Unglück!" eine nur die wahre Bedeutung verschleiernde Abwandlung der in der NS-Zeit propagierten Hassparole "Juden sind unser Unglück". Bei der Plakataktion liege es "ausgesprochen nahe", dass nicht nur Kritik am Staate Israel geübt werden sollte, sondern die Aussagen sich gezielt gegen jüdische Menschen in Deutschland richteten.
Die OLG-Richter kritisieren die Staatsanwaltschaft auch dafür, dass sie nicht ausreichend die Strategie der Partei berücksichtigt habe. So lasse sich unter anderem aus dem Parteiprogramm entnehmen, dass die Verantwortlichen der Partei bestrebt sind, "ihre Aussagen verschlüsselt darzustellen, um ihre neonazistische, radikal antisemitische und rassistische Ideologie in der Annahme verbreiten zu können, hierfür nicht belangt werden zu können", heißt es in dem Beschluss.
Den Pforzheim-Fall sehen die Richter offenbar auch in einem größeren Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um Hasskriminalität und antisemitischer Gewalt. Ausdrücklich erwähnen sie, dass der Volksverhetzungsparagraph 130 des StGB gerade den bestrafen will, der zum Hass gegen in Deutschland lebende Juden aufstachelt "und zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen – wie im Oktober 2019 in Halle geschehen"
Strafrechtler: Keine falsche Angst vor Justizüberlastung
"Die Unterscheidung strafbarer Volksverhetzung von noch zulässiger Meinungsäußerung ist nicht immer einfach. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass man sich dieser schwierigen Frage gar nicht erst in der gebotenen Form annimmt und die notwendige Sachaufklärung gar nicht erst betreibt", sagt der Kölner Strafrechtler und Uni-Dozent Nikolaos Gazeas. Er begrüßt die Entscheidung und warnt davor, dass auch aus Angst vor einer Justizüberlastung nicht die falschen Schlüsse gezogen werden dürfen. "Die Staatsanwaltschaft entscheidet sich in der Praxis – den Eindruck gewinnt man – nicht selten aus Kapazitätsgründen dazu, gar nicht erst zu ermitteln oder ein Ermittlungsverfahren einzustellen. Bei Hasskriminalität unterhalb der Schwelle einer Volksverhetzung, wenn es "nur" um Beleidigung geht, wird der Anzeigeerstatter meist auf den steinigen Weg der Privatklage verwiesen – wohlwissend, dass er nur selten von dem Verletzten beschritten wird."
Gazeas betont: "Wir müssen zusehen, das gerade zuletzt deutlich verschärfte Klima, das die Hasskriminalität säht, mit den Mitteln zu bekämpfen, die der Rechtsstaat zur Verfügung stellt. Und das ist auch und vor allem das Strafrecht."
Die OLG-Richter haben auch gleich noch vorgezeichnet wie aus ihrer Sicht der Fall im Justizsystem weiter verarbeitet werden soll: Falls auch nach dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens für die Staatsanwaltschaft eine straflose Deutung der Plakate sich lediglich nicht ausschließen lasse, müsse sie die letzte Beurteilung dem Tatrichter überlassen, also Anklage erheben. Die Richter mögen damit auch andeuten, dass sie für solche schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen strafbaren Aussagen und Meinungsfreiheit das Gerichtsverfahren als richtigen Verhandlungsort sehen. Und letztlich müsste dann ein Richter – auch unter Anwendung des Zweifelsatzes in dubio pro reo über die Schuld entscheiden.
OLG Karlsruhe zur Anzeige wegen Volksverhetzung: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40671 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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