Auskunftsansprüche besser durchsetzen, eine Beratungsstelle - die Länder-Justizminister wollen, dass die Bundesregierung mehr gegen Hass im Netz tut. Außerdem auf dem Plan: Vorratsdatenspeicherung, V-Leute und ein krisenfestes Grundgesetz.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat zwar angekündigt, bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität im Internet vorzulegen, doch den Justizministern der Länder ist das offenbar zu wenig: Sie wollen die Bundesregierung auf der Justizministerkonferenz am kommenden Donnerstag auffordern, mehr zu tun. Das geht aus einer Beschlussvorlage hervor, die LTO vorliegt.
Die Justizminister sehen vor allem praktische Schwierigkeiten, vor denen die Strafverfolgungsbehörden stehen. Sie kritisieren, dass die Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter Auskunftsersuchen der Strafverfolgungsbehörden nicht oder nicht schnell genug beantworten, obwohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sie dazu verpflichtet. Deshalb müsse die Bundesjustizministerin prüfen, wie die Strafverfolgungsbehörden besser auf die relevanten Daten zugreifen könnten, wenn ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt.
Die Anfragen der Strafverfolgungsbehörden liefen "oft ins Leere", kritisierte der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) Ende vergangener Woche. Es sei "nicht akzeptabel, dass sich global agierende Internet-Konzerne hinter ihren Firmensitzen und Servern im Ausland verstecken und die Justiz auf Rechtshilfeersuchen an ausländische Behörden verweisen."
Bayern will behördliche Auskunftsansprüche besser durchsetzen, Hamburg mehr Zivilklagen
Eisenreich betonte, dass neue Auskunftsansprüche dabei wenig weiterhelfen würden - entscheidend sei, dass sie besser durchgesetzt würden. "Die Bundesregierung ist aufgerufen, ihren Einfluss gegenüber den sozialen Netzwerken auszuüben und deren Kooperation bei der Verfolgung von Hasskriminalität unmissverständlich einzufordern", so Eisenberg. Im bayerischen Justizministerium könnte man sich etwa eine Kooperationsvereinbarung der Bundesregierung mit den Netzwerkbetreibern vorstellen. Der französische Präsident Emmanuel Macron etwa hat sich kürzlich mit Facebook auf eine engere Zusammenarbeit geeinigt.
Gegenüber dem deutschen Bundesinnenministerium hatte das soziale Netzwerk Ende vergangener Woche zugesagt, Anfragen von Strafermittlern zumindest nicht mehr über das umständliche internationale Rechtshilfeverfahren MLAT laufen zu lassen. Bayern reicht das allerdings noch nicht aus: "Wenn unsere Strafverfolgungsbehörden erklären oder durch richterlichen Beschluss nachweisen, dass der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt, müssen die Betreiber sozialer Netzwerke die gewünschte Auskunft erteilen", sagte Eisenreich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Einen anderen Ansatz schlägt der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) vor: Eine bundesweite Online-Beratungsstelle für Opfer von Hasskriminalität im Internet. Steffen hofft, dass sich die Betroffenen dann häufiger vor den Zivilgerichten wehren: " Wir brauchen ihre Anzeigen, um Hasskriminalität besser zu bekämpfen", so Steffen. "Bisher nehmen viel zu viele Betroffene die Beleidigungen und Bedrohungen einfach hin, auch weil sie nicht wissen, wie sie sich wehren können. Die von uns geforderte zentrale Beratungsstelle soll den Opfern hier ganz praktisch dabei helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen."
Konkret schlägt Hamburg vor, einerseits ein eigenes Angebot des Bundes zur Verfügung zu stellen, andererseits möglicherweise auch private Initiativen – wie etwa die Ratgeber-Plattform HateAid – finanziell zu unterstützen.
Vorratsdatenspeicherung und V-Leute
Bayern sowie die meisten CDU-Justizminister halten außerdem an der Vorratsdatenspeicherung fest. Sie wollen einen Beschluss verabschieden, der die "Bestrebungen zur Wiederbelebung der Verkehrsdatenspeicherung auf europäischer Ebene" unterstützt. Die Vorratsdatenspeicherung – oder Verkehrsdatenspeicherung, beides bezeichnet die Speicherung von Daten bei den Telekommunikationsanbietern – sei "aus rechts- und sicherheitspolitischer Sicht unverzichtbar", heißt es in der LTO vorliegenden Beschlussvorlage.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) solle sich deshalb auf europäischer Ebene "weiterhin nachdrücklich" dafür einsetzen, dass zeitnah europarechtliche Vorgaben geschaffen würden, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Einklang stehen. Zuletzt hatten die Justizminister der EU-Mitgliedstaaten die EU-Kommission aufgefordert, eine Studie durchzuführen und eine Gesetzgebungsinitiative zu prüfen.
Ebenfalls seit langem umstritten: Die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden mit sogenannten V-Personen, also Vertrauenspersonen, die in kriminellen oder extremistischen Kreisen vernetzt sind und heimlich dem Staat Informationen liefern. Sie wurde immer wieder kritisiert, nicht zuletzt nach dem Auffliegen des NSU. Die Justizminister halten sie dennoch für unverzichtbar, um besonders gefährliche und schwer aufklärbare Kriminalität aufzuklären, das betonen sie in ihrer Beschlussvorlage.
Allerdings soll der Einsatz von V-Personen in der StPO klarer geregelt werden, denn ihre Arbeit kann massiv in Grundrechte eingreifen. Eine V-Person, die das Vertrauen von Betroffenen genießt, kann tief in deren Privatsphäre eindringen, Wohnungen betreten oder intime Geheimnisse anvertraut bekommen. Derzeit wird ihr Einsatz auf die allgemeinen Ermittlungsgeneralklauseln der §§ 161, 163 Strafprozessordnung (StPO) bzw. auf Anlage D der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)) gestützt. Eine grundlegende Regelung für sie zu schaffen wurde in den 1990-er Jahren schon einmal erwogen, aber letztlich verworfen. Datenschützer kritisierten zuletzt immer wieder, dass es für die Datenerhebung durch V-Personen an einer spezialgesetzlichen Grundlage fehle.
Außerdem auf der Tagesordnung der Justizminister: die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters im Einzelfall. Darüber war zuletzt diskutiert worden, nachdem bekannt wurde, dass in Mühlheim an der Ruhr Kinder und Jugendliche eine 18-Jährige vergewaltigt haben sollen. Als tatverdächtig galten auch zwei Zwölfjährige.
Das Grundgesetz krisenfest machen
Schließlich soll es ab Donnerstag auch um die Krisenfestigkeit des Grundgesetzes gehen. Bisher vor allem eine eher theoretische Debatte, die etwa beim Verfassungsblog unter dem Stichwort "Constitutional Resilience" geführt wurde. Kurz gefasst geht es um die Frage: Wie stark sichert das Grundgesetz die Demokratie ab – und wie sehr wäre es in Gefahr, wenn undemokratische Kräfte an die Macht kämen.
Ein Thema, das angesichts rechtsstaatlich bedenklicher Entwicklungen in EU-Ländern wie Polen und Ungarn ernsthaft auf die Tagesordnung der Justizminister rückt – aber wohl auch etwa nach dem Wahlerfolg der Thüringer AfD an Dringlichkeit gewinnt.
Eine Hamburger Beschlussvorlage schlägt deshalb vor, das BMJV aufzufordern, "institutionelle und normative Schwachstellen" zu identifizieren, die dazu genutzt werden könnten, die Verfassungsordnung auszuhöhlen. Anschließend solle das Ministerium entsprechende Reformvorschläge machen.
Dazu könnten etwa Regeln gehören, um die Autonomie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu stärken: Denkbar sei etwa, die Geschäftsverteilung zwischen den Senaten nicht mehr gesetzlich zu regeln (wie derzeit in § 14 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, BVerfGG), sondern sie vollständig der internen Geschäftsverteilung des BVerfG zu überlassen. Eine weitere Maßnahme könne es sein, die qualifizierte Mehrheit zur Wahl der Verfassungsrichter (derzeit § 6 Abs. 1 S. 2 BVerfGG) auf der Ebene der Verfassung zu verankern.
Justizministerkonferenz 2019: . In: Legal Tribune Online, 04.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38527 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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