Die Justiz steht vor einem Umbruch: Etliche Richter und Staatsanwälte gehen in den nächsten Jahren Pension, Tausende Nachwuchskräfte werden gebraucht. Wie beliebt die Justiz bei den Absolventen noch ist, hat eine Umfrage untersucht.
Ungeachtet einer zunehmend schlechteren Bezahlung als in Unternehmen oder bei Anwaltskanzleien sind Gerichte und Staatsanwaltschaften bei jungen Juristen als Arbeitgeber weiterhin gefragt. Zu diesem Ergebnis kommt die vom Deutschen Richterbund herausgegebene Deutsche Richterzeitung (DRiZ) nach einer entsprechenden Umfrage im Mai und Juni 2023 bei den Justizverwaltungen der Bundesländer. Demnach ist die Bewerberlage gut und übersteigt die Anzahl der Neueinstellungen.
"Für viele Bewerberinnen und Bewerber sind die Unabhängigkeit und die relativ freie Arbeitsgestaltung im Richterberuf nach wie vor wichtige Pluspunkte, die für den Weg zur Justiz sprechen", sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, der Deutschen Presse-Agentur.
Nordrhein-Westfalen verzeichnet die meisten Neueinstellungen
In den vergangenen fünf Jahren wurden nach den Angaben der Länder rund 6.750 Juristen neu eingestellt. An der Spitze lag das bevölkerungsreichste Nordrhein-Westfalen mit 1.588 Personen, auf dem zweiten Platz folgte Bayern mit 836 Einstellungn. Nach den Umfrageergebnissen gab es in den vergangenen fünf Jahren auch in Bundesländern, die jedes Jahr vergleichsweise viele Interessenten für die Justiz gewinnen müssen, durchgängig mindestens zwei Bewerber auf eine Stelle, in Niedersachsen war das Verhältnis demnach sogar vier zu eins.
Für das Jahr 2022 verzeichnete das Justizministerium in Hannover beispielsweise 381 Bewerbungen, besetzt wurden 108 Stellen. Berlin gibt laut Richterzeitung in der Umfrage ein Verhältnis von drei zu eins an. 2022 seien in der Hauptstadt 62 Richter und Staatsanwälte eingestellt worden, beworben hatten sich den Angaben zufolge 163 Juristen.
"Bislang gelingt es in allen Bundesländern noch, gut qualifizierten Nachwuchs für die Rechtsprechung zu gewinnen und verfügbare Stellen zügig zu besetzen", meint Rebehn. Die Justiz müsse aber "wettbewerbsfähig und attraktiv für die besten Köpfe" bleiben. Mit Blick auf Spitzengehälter in Unternehmen und Kanzleien sei eine gute Bezahlung wichtig, betonte er. "Auch die EU hat mit Blick auf die Pensionierungswelle in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023 für Deutschland erneut angemahnt, die Richterbesoldung auf ein angemessenes Niveau anzuheben."
Ruhestandswelle droht nach wie vor
Wegen der anstehenden Pensionierungen steht die Justiz trotz offenbar noch guter Bewerberlage nach wie vor vor einem personellen Umbruch. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern und in Berlin steige die Zahl der Ruheständler ab diesem Jahr deutlich an, so Rebehn. Ein weiteres Problem sei, dass Strafgerichte und Staatsanwaltschaften schon jetzt oft dünn besetzt seien, die Anforderungen aber stetig wüchsen. Aus Sicht des Richterbundes müssen deshalb mehr Stellen geschaffen werden. Derzeit fehlten in diesem Bereich bundesweit etwa 1.000 Juristinnen.
Ausreichend generelles Interesse an der juristischen Tätigkeit scheint es auch noch zu geben: In den vergangenen fünf Jahren ist laut Umfrage die Zahl der bestandenen zweiten Staatsexamina in den meisten Bundesländern gestiegen oder stabil geblieben. Lediglich in Berlin und Brandenburg war das nicht der Fall, dort gingen die Zahlen fast um ein Viertel zurück von 700 in 2018 auf 543 im vergangenen Jahr, was mit einer Reduzierung der Studienplätze begründet wird. Einen besonders starken Anstieg an Assessoren gab es demgegenüber in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die Zahl der abgeschlossenen Referendariate mit 101 fast verdreifacht (2018: 37) hat. In Sachsen-Anhalt hat sie sich laut Ministerium fast verdoppelt (2022: 102; 2018: 55).
Einstellungsanforderungen mancherorts herabgesetzt
Probleme gibt es allerdings laut Justizverwaltungen, Stellen jenseits des Richter- oder Staatsanwaltsberufs zu besetzen. Um genügend Personen für den Servicebereich zu haben, stellen die Länder demnach vermehrt Quereinsteiger ein, setzen die Notenanforderungen herab und locken mit einer höheren Bezahlung oder flexibleren Arbeitszeiten.
Die Anforderungen für den Eintritt ins Bewerbungsverfahren für Richter oder Staatsanwälte blieben bislang weitgehend konstant, in einigen Bundesländern wurden sie allerdings bereits herabgesetzt. So senkte etwa Hessen die Anforderungen 2020 auf 16 und 2022 auf 15 Punkte in der Gesamtsumme beider Examensnoten* ab. So stieg laut der DRiZ der Anteil der eingestellten Volljuristen, die ihr zweites Staatsexamen mit der Note befriedigend abschlossen, von 39 Prozent im Jahr 2018 auf 45 Prozent im Jahr 2022. Außerdem hat sich Land mit der "Assessorbrücke" eine weitere Maßnahme überlegt, geeignete Kandidaten im Anschluss an das Referendariat zu gewinnen.
*Korrektur am Tag der Veröffentlichung, 14.30 Uhr.
dpa/ast/LTO-Redaktion
Umfrage unter den Bundesländern: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52195 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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