An den Zivilgerichten gehen seit Jahren immer weniger Klagen ein. Woran liegt das? Die Bundesregierung schreibt demnächst eine seit langem geforderte Studie aus.
Die Bundesregierung bereitet die von Rechtspolitikern, Verbänden und Justiz seit langem geforderte unmet-legal-needs-Studie vor. Hintergrund des Forschungsvorhabens sind die seit Jahren rückläufigen Eingangszahlen an den Zivilgerichten. Mit der Studie soll insbesondere herausgefunden werden, ob für den Rückgang ein "von den Rechtssuchenden empfundenes Rechtsschutzdefizit (mit)ursächlich ist". So die LTO vorliegende Antwort des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auf eine schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten Manuela Rottmann (Die Grünen).
Die Eingänge an den Zivilgerichten gehen seit Jahren langsam aber stetig zurück. Während an den Amtsgerichten im Jahr 2007 deutschlandweit rund 1.260.000 Verfahren neu eingingen, waren es nach den neuesten Zahlen von 2017 noch knapp 940.000.
Über die Gründe kann man vorerst nur spekulieren: Sind die Deutschen weniger streitlustig? Suchen die Parteien eher den außergerichtlichen Vergleich? Ist der Zivilprozess zu schwerfällig? Grundsätzlich ist das Vertrauen der Bürger in das Justizsystem zwar stabil, wie etwa der Roland Rechtsreport 2019 zeigt. Dennoch könnten die rückläufigen Eingangszahlen auch bedeuten, dass es bestimmte Hürden beim Zugang zum Recht gibt, auf die der Gesetzgeber reagieren müsste.
Dass auch in der deutschen Diskussion von "unmet-legal-needs" die Rede ist, mag auch daran liegen, dass sich die englische Formulierung nur sperrig übersetzen lässt, in etwa mit "unbefriedigte Rechtsschutzbedürfnisse". Das Instrument der "unmet-legal-needs"-Studie ist vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannt und soll dazu dienen, Probleme und etwaigen Handlungsbedarf aufzudecken. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Deutsche Richterbund (DRB) fordern bereits seit Jahren eine entsprechende Studie. Bereits zur Bundestagswahl 2017 betonten die beiden Berufsverbände, eine unmet-legal-needs-Studie sei eines der wichtigsten justizpolitischen Vorhaben für diese Legislaturperiode. Die sinkenden Eingangszahlen seien ein "Hinweis darauf, dass die staatliche Rechtspflege an Bedeutung verliert".
Umfragen bei Bürgern, Unternehmen, Anwälten, Gerichten und anderen Stellen
Laut BMJV sollen im Rahmen der Studie "verschiedene Forschungsmethoden nebeneinander angewandt werden". Dabei sollen verschiedene Akteure befragt werden, insbesondere Rechtsanwälte, Verbraucherschlichtungsstellen, Schiedspersonen, Verbraucherzentralen, Rechtsschutzversicherer, Verbände und Gerichte sowie "die rechtssuchende Bevölkerung" und Unternehmen. Zudem sollen vorhandene Statistiken und repräsentativ ausgewählte Gerichtsakten ausgewertet werden.
DAV und DRB erklärten bereits 2017, sie stünden für eine Kooperation mit der Bundesregierung zur Verfügung. Nachdem nun bekannt wurde, dass das BMJV die Ausschreibung derzeit vorbereitet, kritisierte der DAV allerdings, das Forschungsvorhaben sei zu eng gefasst: "Internationale Studien wählen hier meist einen weiten Ansatz und nehmen alle Situationen in den Blick, in denen es das Potenzial für eine rechtliche Lösung gibt, wobei diese Lösung sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich, mit oder ohne Anwälte, persönlich oder technisch erfolgen könnte", so der Hauptgeschäftsführer des DAV, Philipp Wendt. Vom Deutschen Richterbund (DRB) heißt es, man habe derzeit keinen Sachstand, den man berichten könne.
Nach Angaben des BMJV soll die Entscheidung über die Vergabe im Herbst fallen. Mit ersten Ergebnissen rechnet die Bundesregierung allerdings erst in drei Jahren. Das scheint Grünen-Politikerin Rottmann zu spät. Zumal vorher bereits verschiedene Reformen zu Verbandsklagen, Legaltech und der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Weg gebracht werden müssten, zu denen die Studie Erkenntnisse liefern könnte. Das sei "Rechtspolitik im Blindflug" schrieb Rottmann auf Twitter. Auch die FDP-Fraktion hatte bereits im vergangenen Jahr nach den Plänen der Bundesregierung für eine unmet-legal-needs-Studie gefragt und eine "evidenzbasierte Rechtspolitik" gefordert.
BMJV bereitet Umfrage vor: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36945 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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