Das polnische Gesetz, mit dem das Ruhestandsalter der Richter am Obersten Gericht abgesenkt wurde, verstößt gegen europäisches Recht, sagt der EuGH-Generalanwalt. Die Regierung habe damit die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt.
Die europäische Anwort auf das Vorgehen der polnischen Regierung gegen Richter ihres Obersten Gerichts nimmt mehr und mehr Gestalt an. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) Polen bereits aufgegeben hatte, sein umstrittenes Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen, ließ sich nun auch Generalanwalt Evgeni Tanchev zu dessen Rechtmäßigkeit ein. Das Gesetz verletze die richterliche Unabhängigkeit, erklärte er in seinen am Donnerstag veröffentlichten Schlussanträgen (v. 11.04.2019, Az. C-619/18).
Die Regierung in Warschau hatte mit einer Reihe von hoch umstrittenen Justizreformen im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt. Bestandteil des Reformpakets war u. a. ein Gesetz, das im April vergangenen Jahres in Kraft trat, welches das Ruhestandsalter der Richter des polnischen Obersten Gerichts auf 65 Jahre (für Männer), respektive 60 Jahre (für Frauen) herabsetzte. Das Gesetz galt auch für Richter im Amt, die die neue Altersgrenze bereits überschritten hatten.
Zwar sah das Gesetz eine Ausnahme vor, um drei Jahre weiter arbeiten zu können. Dazu aber musste ein Antrag gestellt werden, über den der polnische Präsident Duda selbst zu entscheiden hatte. Diese Regelung traf auch die Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf, die sich aber zu Wehr setzte und weiter zur Arbeit ging. Auch alle anderen Richter des Obersten Gerichts konnten sich einfach auf Antrag frühzeitig in den Ruhestand versetzen lassen.
Die Reformen ernteten viel Kritik. U. a. hieß es, Polen höhle die Gewaltenteilung aus. Ziel sei es, missliebige Richter auszutauschen und sich eine politisch konforme Justiz schaffen. Letztlich veranlasste das die EU-Kommission dazu, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einzuleiten. Schließlich reichte die Kommission auch eine Vertragsverletzungsklage ein und beantragte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, Polen aufzugeben, das Gesetz bis zur endgültigen Entscheidung auszusetzen. Dem kam der EuGH im Oktober vergangenen Jahres nach und untersagte es Warschau vorläufig, Richter aufgrund dieses Gesetzes auszutauschen. Außerdem gewährte er ein beschleunigtes Verfahren. Polen leistete der Anordnung auch Folge und setzte das Gesetz, das zwischenzeitlich noch einmal nachgebessert worden war, schließlich außer Vollzug.
Gesetz geeignet, Urteile zu beeinflussen
Den nun vorgelegten Schlussanträgen von Generalanwalt Tanchev zufolge hat dies auch so zu bleiben. Denn das Gesetz verstoße gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern, der zwingend aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 1 Unterabsatz 2 des EU-Vertrags (EUV) folge, sowie gegen die richterliche Unabhängigkeit.
Die Nichtabsetzbarkeit von Richtern stelle eine der wesentlichen Garantien für die richterliche Unabhängigkeit dar, so Tanchev. Dies müsse durch eine garantierte Amtsdauer bis zum obligatorischen Ruhestandsalter oder dem Ablauf der Amtszeit der Richter sichergestellt werden. Suspendierungen oder Entfernungen aus dem Amt seien nur in begründeten Einzelfällen möglich, eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand sollte nur auf Antrag des betroffenen Richters oder aus medizinischen Gründen möglich sein. Keinesfalls dürfe eine Änderung des Ruhestandsalters rückwirkende Wirkung entfalten.
Die Maßnahmen der polnischen Regierung hätten, sofern sie aufrecht erhalten blieben, erhebliche Auswirkungen: 27 der insgesamt 72 Richter des Obersten Gerichts sind vom beanstandeten Gesetz betroffen.
Richteramt verträgt sich nicht mit Abhängigheit vom Präsidenten
Indem sie unvermittelt und unvorhergesehen eine große Zahl von Richtern aus ihren Ämtern entfernen wolle, beschädige die Regierung in Warschau nicht nur das Vertrauen der Öffentlichkeit, sondern verletzte auch ihre unionsrechtlichen Pflichten, stellte Tanchev klar. Mitgliedstaaten sei es zwar unbenommen, aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen das Ruhestandsalter von Richtern anzupassen. Dies dürfe aber nicht deren Unabhängigkeit und die Garantie ihrer Unabsetzbarkeit beeinträchtigen.
Die richterliche Unabhängigkeit sei ebenso verletzt, befand Tanchev, da dies voraussetze, dass die Richter in keiner Weise weisungsgebunden seien oder unter Druck gesetzt werden könnten. Genau das aber bewirkt das polnische Gesetz nach Ansicht des Generalanwalts. Es sei geeignet, das Oberste Gericht und seine Richter dem Druck des Präsidenten der Republik auszusetzen, wenn sie eine Verlängerung ihrer Amtszeit wünschten. Dies beeinträchtige die sachliche Unabhängigkeit des Gerichts und könne zu einer Einflussnahme auf seine Entscheidungen führen.
mam/LTO-Redaktion
EuGH-Generalanwalt rügt polnisches Justizgesetz: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34863 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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