Haben die Landesjustizminister durch ihr Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten zu viel politischen Einfluss auf die Justiz? Die EU-Kommission sagt ja, der Deutsche Richterbund fordert nun schnelle Änderungen des Systems.
Nach einer Rüge aus Brüssel gibt es Forderungen nach Reformen im deutschen Justizsystem. Es geht dabei um das Weisungsrecht von Landesjustizministern gegenüber Staatsanwälten, das nach Ansicht der EU-Kommission die Tür für politischen Einfluss auf die Justiz öffnen könnte. Dazu sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, am Samstag: "Die ungewöhnlich deutliche Kritik der EU-Kommission muss den Verantwortlichen in den Bundesländern in den Ohren klingen. Sie sollten den Kopf aus dem Sand nehmen und die von Brüssel kritisierten, lange bekannten Mängel der Justizstrukturen beheben."
Weiter sagte Rebehn: "Auch wenn die Justizminister immer wieder beteuern, nicht durch gezielte Weisungen an Staatsanwälte in Strafverfahren einzugreifen: Allein der böse Anschein, dass die Minister Ermittlungen in die eine oder andere Richtung lenken könnten, beschädigt das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Strafjustiz." Auch der Rechtspolitiker der FDP, Jürgen Martens, forderte eine Reform. Union und SPD hätten entsprechende Vorstöße zuletzt aber abgelehnt.
"Je unabhängiger und effizienter, desto besser"
EU-Kommissionsvize Vera Jourova hatte das Weisungsrecht der Landesjustizminister im Spiegel als ein Schwachpunkt des deutschen Justizwesens kritisiert. "Justizminister sind nun mal Politiker, deshalb ist die Versuchung für sie groß, politischen Einfluss auszuüben", sagte sie. Generell gelte für Deutschland wie für alle EU-Länder: "Je unabhängiger und effizienter die Justiz, desto besser."
Jourova kritisierte zudem die die Dauer von Gerichtsverfahren in Deutschland. "Auch wenn die Justiz in Deutschland grundsätzlich gut funktioniert, zeigt unser Bericht, dass Verfahren in erster Instanz immer länger dauern."
Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist der Tschechin zufolge noch immer nicht vom Tisch. "Klar ist: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann so nicht stehen bleiben", sagte Jourova. "Wenn wir es einfach so akzeptierten, wäre das Wasser auf die Mühlen der Regierenden in Ungarn oder Polen. Die Folgen für die EU könnten zerstörerisch sein." Das Karlsruher Gericht hatte Anfang Mai die Wertpapierkäufe der Europäischen Zentralbank beanstandet und damit den Vorrang des EU-Rechts infrage gestellt.
Der Rechtsstaat steht EU-weit unter Druck
In den kommenden Wochen will die EU-Kommission Rechtsstaatsberichte für alle EU-Staaten vorlegen. Darin wird erstmals systematisch der Zustand von Medienfreiheit, Demokratie und Korruptionsbekämpfung in den EU-Staaten untersucht.
Die Rechtsstaatsberichte haben Jourova zufolge ergeben, dass unabhängige Medien in der EU zunehmend unter Druck geraten. Medien stünden in fast allen Ländern unter großem wirtschaftlichem Druck, etwa wegen sinkender Anzeigenerlöse oder Konkurrenz durch Plattformen wie Facebook und Google, sagte Jourova. "Dazu kommt die wachsende politische Einflussnahme, und zwar auch im Westen Europas, etwa in Malta oder Spanien." Besonders dramatisch sei die Lage jedoch in Ungarn, sagte Jourova. "Der Zustand der ungarischen Medienlandschaft ist alarmierend."
Sie könne sich vorstellen, mit dem EU-Wettbewerbsrecht gegen die Bildung staatsnaher Medienholdings oder -stiftungen wie in Ungarn vorzugehen. Bislang sei dies nicht möglich, da die Beträge in der Regel zu gering seien.
ast/dpa/LTO-Redaktion
Nach Kritik der EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42930 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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