Bund und Länder streiten seit Monaten über eine zukunftsfähige, digitale Ausstattung der Justiz. Am kommenden Donnerstag soll nun der Versuch unternommen werden, die Wogen zu glätten. Bundesjustizminister Marco Buschmann ist optimistisch.
Beim Thema Pakt für den Rechtsstaat und Digitalisierung der Justiz sind die Fronten zwischen Marco Buschmann (FDP) und seinen 16 Länderkolleg:innen seit Monaten verhärtet. Verärgert sind die Landesjustizminister: innen, aber auch die Richterschaft über den Bundesjustizminister, weil dieser ihnen nicht die finanziellen Mittel für eine Ausstattung der Justizbehörden zur Verfügung stellen will, die man gerne hätte.
Nachdem selbst eine Streitschlichtung unter Moderation des Bundeskanzleramtes im Dezember gescheitert war, ruhen nun alle Hoffnungen auf einem Treffen am 30. März im Bundesministerium der Justiz (BMJ). Auf diesen Digitalgipfel verständigt hatten sich Buschmann und die Länder bei der Justizministerkonferenz im Herbst, bei der man bei diesem Thema ebenfalls nicht zueinander fand.
Ob nunmehr kommenden Donnerstag eine Annäherung gelingt, ist offen. Bislang lagen die Vorstellungen extrem weit auseinander: Der Bund hält im Haushaltsjahr 2023 im Einzelplan des BMJ Mittel im Umfang von 50 Millionen Euro für die Digitalisierung der Justiz bereit, verbunden mit Verpflichtungsermächtigungen in jeweils derselben Höhe für die Haushaltsjahre 2024 bis 2026. Buschmann spricht in diesem Kontext von einem "Pakt für den digitalen Rechtsstaat". Die Ländervertreter:innen halten diese Mittel für unzureichend.
Justizminister Bayerns: "50 Millionen Euro des Bundes nur Anzahlung"
Die Länder verlangen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, nicht nur Mittel für Digitalisierungsprojekte, sondern auch für die Verstetigung des Pakts für den Rechtsstaat. Damit ist vor allem Geld für Personal in der Justiz gemeint. Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatte der Bund die Personalausstattung in Gerichten und Staatsanwaltschaften mit 220 Millionen Euro unterstützt.
Den Ländern zufolge soll das Ursprungsvolumen des Rechtsstaatspakts in Höhe von 220 Millionen Euro fortgeführt und für die Jahre 2023 bis 2027 in drei Tranchen ausgezahlt werden. Hinzukommen müsse aber ein Digitalpakt mit einem Volumen von jährlich 350 Millionen Euro. So hatte es im Herbst auch der E-Justice-Rat, dem die Amtschef:innen der Justizverwaltungen des Bundes und der Länder angehören, empfohlen. Die von Marco Buschmann zugesicherte Summe in Höhe von lediglich 50 Millionen Euro jährlich verstehe er daher lediglich als "Anzahlung", bekräftigte Bayerns Minister Georg Eisenreich (CSU) gegenüber LTO.
Ein wesentliches Argument der Länder, warum ihnen der Bund deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen müsse, lautet regelmäßig, dass der Bund fortwährend Gesetze produziere, die in den Ländern umgesetzt werden müssten und dort erhebliche Kosten verursachten. "Der Bund und auch der Bundesjustizminister bürden den Ländern durch Bundesgesetze immer mehr Aufgaben auf, wollen sich aber nicht angemessen an den Kosten beteiligen", formuliert der bayerische Justizminister die Länder-Position.
Länder: "Mehr strukturelle, weniger projektbezogene Förderung"
Vor ihrem Treffen mit dem Bundesjustizminister am Donnerstag sind die Erwartungen der Landesjustizminister trotz der Differenzen hoch: "In Berlin sollen wichtige Weichen für die angestrebte gemeinsame Digitalisierungsstrategie von Bund und Ländern gestellt werden", heißt es aus dem Justizministerium in München. Der Schwerpunkt des Digitalgipfels müsse auf einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sowie der Sammlung und Priorisierung der anzugehenden Themen liegen.
In ihren Forderungen an den Bund sind sich die Länder über Parteigrenzen hinweg weitgehend einig: Nach Auffassung von Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen) braucht es "dringend eine gemeinsame Bund-Länder-Verständigung hinsichtlich der Verwendung der Mittel aus der Digitalisierungsinitiative des BMJ". Es gehe vorrangig darum, die "Schwarzbrotthemen der Digitalisierung möglichst effizient und effektiv voranzubringen", so Gallina gegenüber LTO. Die Länder benötigten neben projektbezogenen vor allem strukturelle Fördermittel, die im Zusammenhang mit dem Aufbau eines digitalen Rechtsstaates notwendig sind. "Dem Bund muss klar sein, dass es hier um die Zukunftsfestigkeit unseres Rechtsstaates geht“, so Gallina.
Auf eine vorrangig strukturelle Förderung seitens des Bundes sowie eine "spürbare Entlastung der Länder" hofft auch ihr Parteikollege, der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach: Der Bund setze sehr stark auf eine projektbezogene Förderung und möchte so Digitalisierungsimpulse setzen, kritisiert er. Dabei müssten die Länder mit der Elektronischen Akte und dem Elektronischen Rechtsverkehr die Aufgaben umsetzen, die der Bundesgesetzgeber den Ländern aufgegeben habe.
Limbach mahnt, dass der Bund die versprochenen Haushaltsmittel in diesem Jahr nicht "für neue Leuchtturmprojekte" einsetzen soll, "sondern zur möglichst umfassenden Förderung der laufenden Großprojekte in der Justiz-IT – etwa beim bundeseinheitlichen Fachverfahren und beim neuen Handelsregisterverfahren." Der Bund beabsichtige den Einsatz dieser Verfahren schließlich selbst, so der NRW-Minister zu LTO.
Die niedersächsische Justizministerin, Kathrin Wahlmann (SPD), erwartet auf dem Digitalgipfel einen "konstruktiven und vor allem zukunftsgerichteten Austausch". Den Bundesjustizminister nimmt die SPD-Politikerin in die Pflicht: "Bei allem Pochen auf die Einhaltung des Paktes für den Rechtsstaat werbe ich dafür, den durch den Bund in Aussicht gestellten Betrag von 200 Millionen Euro für Digitalprojekte, die allen dienen – etwa eine Justiz-Cloud oder der elektronische Zugang zu den Gerichten –, zu nutzen. Dabei sollten vorrangig die durch den E-Justice-Rat vorgeschlagenen Projekte in den Blick genommen werden."
Marco Buschmann: "Verfügbare Mittel schnellstmöglich einsetzen"
Dass der Bundesjustizminister die Länder – wie zuletzt noch – am Donnerstag komplett abblitzen lässt, ist eher nicht zu erwarten: Gegenüber LTO betont Buschmann, dass er sich auf einen konstruktiven Austausch mit den Ländern freue, der Digitalgipfel sei eine Chance, um bei der Digitalisierung schneller voranzukommen. Eine digitale Justiz sei schließlich Voraussetzung dafür, dass der Rechtsstaat der Lebenswirklichkeit seiner Bürgerinnen und Bürger entspreche. Bund und Länder hätten bereits große Anstrengungen bei der Digitalisierung der Justiz unternommen.
Buschmann setzt im Vorfeld des Gipfels auf versöhnliche Töne gegenüber seinen Justiz-Kolleg:innen, obwohl die ihn in den letzten Monaten teilweise heftig attackiert hatten: Zu LTO sagt der Bundesjustizminister: "Uns verbindet der Ehrgeiz, es noch besser zu machen und schneller zu werden. Deshalb gilt es jetzt umso mehr, die Kräfte zu bündeln." Der Bund, so Buschmann, sei bereit und unterstütze die Länder in den kommenden Jahren mit bis zu 200 Millionen Euro für die Digitalisierung der Justiz. "Jetzt geht es auch darum, wie wir die verfügbaren Mittel schnellstmöglich und zielgerichtet einsetzen."
Um verbale Abrüstung bemüht sind inzwischen auch die Länder. Nachdem sich NRW-Minister Limbach noch im Dezember maßlos über den Bundesjustizminister aufgeregt hatte ("Marco Buschmanns Vorgehen ist eine Frechheit"), ist seine Tonlage wenige Tage vor dem Treffen spürbar sanfter geworden: "Schon durch die Ankündigung des Digitalgipfels unterstreichen Bund und Länder die Notwendigkeit, sich der Digitalisierung der Justiz auf höchster Ebene noch intensiver zu widmen. Ich begrüße ausdrücklich den regen Austausch über die Ausgestaltung der Digitalisierungsförderung."
Richterbund pessimistisch: "Kein großer Wurf zu erwarten"
Stehen also die Zeichen auf Verständigung? Freuen würde sich darüber sicherlich auch diejenigen, die es in erster Linie angeht: Vertreter:innen der Justiz. Doch die dämpfen eher die Erwartungen: „Ein großer Wurf ist beim Digitalgipfel von Bund und Ländern nicht zu erwarten. Eher ein erster kleiner Schritt, dem weitere folgen müssen", sagt der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB), Sven Rebehn.
Rebehn beklagt gegenüber LTO, dass der Bundesjustizminister die Länder weiter für seine Idee eines Fördertopfs von 200 Millionen Euro gewinnen wolle, aus dem konkrete Digitalprojekte unterstützt werden könnten. "Mit dem Koalitionsversprechen eines Rechtsstaatspakts 2.0 zur Stärkung der Justiz, für den die Ampel bis zu zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen wollte, hat der Vorschlag Buschmanns nicht mehr viel zu tun", kritisiert er. Ein 'Digitalpakt light', so Rebehn, griffe deutlich zu kurz, um die gewaltigen Herausforderungen für die Justiz durch die Digitalisierung zu bewältigen. "Soll die digitale Transformation im Arbeitsalltag innerhalb der vom Bund gesetzten Fristen bis Anfang 2026 flächendeckend gelingen, ist die vom E-Justice-Rat empfohlene Bundesbeteiligung an einem Digitalpakt von rund einer Milliarde Euro dringend notwendig."
Digitalgipfel am 30. März im BMJ: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51396 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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