Bisher gelangen größere B2B-Verfahren eher unabsichtlich vor die eigens eingerichteten Spezialkammern für Wirtschaftsstreitigkeiten. Rechtsanwältin Carolin Saupe sieht Vorteile gegenüber Schiedsgerichten – aber auch Nachbesserungsbedarf.
Obwohl einige Gerichte bereits seit mehreren Jahren englischsprachige Spezialkammern für Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten eingerichtet haben, entscheiden sich bisher nur wenige Unternehmen bewusst Klage vor diesen sogenannten Commercial Courts zu erheben. Wenn internationale Wirtschaftsstreitigkeiten dort verhandelt werden, dann eher zufällig – etwa, weil die vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung sie zu einem Gericht führt, das einen Commercial Court eingerichtet hat und der Geschäftsverteilungsplan dieses Gerichtes die Zuständigkeit des Commercial Courts für die konkrete Sache vorsieht.
Hat man aber erst einmal Erfahrungen mit diesen Spezialkammern gesammelt, zeigt sich, dass nationale wie internationale Unternehmen durchaus darüber nachdenken sollten, Gerichtsverfahren bewusst vor entsprechenden Kammern zu führen. Die Wirtschaftskammern bieten – im Vergleich zu den in diesem Bereich üblichen Verfahren vor Schiedsgerichten – einige Vorteile für die Parteien.
Doch die aktuellen Regelungen setzen den Wirtschaftskammern bisher noch recht enge Grenzen – wenn die Bundesregierung den Gerichtsstandort Deutschland stärken will, werden noch weitreichendere Änderungen notwendig sein.
Case Management, Sachkenntnis, Streitbeilegung
Bereits die räumlichen und personellen Möglichkeiten sind bemerkenswert: Mündliche Verhandlungen sind nicht nur einmal wöchentlich, sondern flexibel auch an mehreren aufeinander folgenden Tagen umsetzbar und müssen nicht monatelang im Voraus geplant werden. Unterstützt wird diese Flexibilität durch Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen, die die Verfahren enorm beschleunigen können. Wie in Schiedsverfahren üblich, nutzen Richter:innen bei den Commercial Courts außerdem vermehrt die Möglichkeit einer "case management conference", um den relevanten Streitstoff schon früh einzugrenzen und einen terminlichen Rahmen für das Verfahren zu schaffen.
Darüber hinaus werden diese Spezialkammern nach unserer Erfahrung auch dem Anspruch gerecht, Richter:innen mit vertiefter Erfahrung im Wirtschaftsrecht die Entscheidungsfindung zu übertragen. Das beinhaltet nicht nur spezielle Branchenkenntnisse, sondern auch Erfahrung mit rechtlichen Sonderkonstellationen.
Bemerkenswert ist darüber hinaus das Selbstverständnis der Richter:innen, die sich in der Regel stark für die Streitbeilegung engagieren und vom Gericht moderierte Vergleichsgespräche anbieten. Dabei behalten sie auch im Blick, dass die Parteien manchmal ein Interesse daran haben, auch nicht verfahrensgegenständliche Sachverhalte im Vergleich zu regeln und die Geschäftsbeziehung nach Beendigung des Gerichtsverfahrens partnerschaftlich weiterzuführen.
Wo sollte nachgebessert werden?
Dennoch können selbst vor den englischsprachigen Kammern Wirtschaftsprozesse derzeit nur in beschränktem Umfang auf Englisch geführt werden. Bereits eingerichtete Commercial Courts erlauben zwar die Einreichung von Dokumenten sowie Verhandlungen auf Englisch, Gerichtssprache ist aber nach wie vor Deutsch, d.h. die Klageschrift und auch das Urteil müssen auf Deutsch abgefasst werden. Inzwischen hat das Bundesjustizministerium ein Eckpunktepapier "zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts" vorgelegt, das auch vorsieht, die Möglichkeiten für vollständig auf Englisch geführte Wirtschaftsprozesse zu verbessern. Das kann vor dem Hintergrund der aktuellen Situation nur begrüßt werden.
Außerdem strebt die Bundesregierung die Abkürzung des Instanzenzuges vom Landgericht bzw. Oberlandesgericht direkt zum BGH an. Dies würde zu einer schnelleren Rechtssicherheit führen, aber trotzdem die Möglichkeit der Überprüfung durch eine zweite Instanz eröffnen und somit die Vorteile von staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten kombinieren. Das Eckpunktepapier sieht für einen Commercial Court an den Oberlandesgerichten darüber hinaus eine Kostenregelung vor, die den sonstigen Verfahren an Oberlandesgerichten entsprechen. Dies könnte einen finanziellen Vorteil gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit begründen.
Zudem sind Schiedsverfahren hinsichtlich ihrer Vollstreckbarkeit derzeit noch enorm im Vorteil. Denn das "New Yorker Übereinkommen" über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ermöglicht die Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen auch in bedeutenden Handelsnationen wie den USA, China oder den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Eine über EU-Grenzen hinausgehende Entsprechung für staatliche Gerichtsentscheidungen gibt es (noch) nicht. Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann in Zukunft diese Lücke schließen, ist aber erst von zwei Vertragsparteien ratifiziert worden (EU und Ukraine).
Das AGB-Recht schreckt viele Unternehmen ab
In verschiedenen Industrien zeichnet sich außerdem seit geraumer Zeit ein Trend ab, deutsches Recht teilweise mit einem Schiedsstandort in der Schweiz (und damit abseits der deutschen Gerichte) zu kombinieren. Hintergrund dieser Regelung ist der Versuch einer Umgehung des deutschen AGB-Rechts. Denn das deutsche, materielle Recht gilt im internationalen Vergleich als besonders streng und ist für die Bewertung von zwischen gleichrangigen Marktteilnehmern im B2B-Bereich geschlossenen Verträgen wenig geeignet.
Ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu einer überfälligen und maßvollen Reform des AGB-Rechts wäre daher wünschenswert gewesen. Mögliche geplante Änderungen klingen im Eckpunktepapier allenfalls leicht an: "Die notwendige Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftsrechts soll gestärkt werden."
Die im Eckpunktepapier enthaltene Zielsetzung, Handelsstreitigkeiten in Zukunft vollständig auf Englisch führen zu können, ist aber klar zu begrüßen. Dies sollte jedoch nur der erste Schritt sein, um die Attraktivität des Gerichtsstandortes Deutschland weiter zu stärken. Daneben wird es wichtig sein, auf prozessualer Ebene die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit so gut wie möglich zu adaptieren (oder gar zu übertreffen). Insbesondere sollte es wirtschaftlich gleichrangig gegenüberstehenden Unternehmen ermöglicht werden, B2B-Verträge ausreichend rechtssicher abzuschließen. Dies würde Gerichtsverfahren vor den Commercial Courts noch attraktiver machen als sie es ohnehin schon sind.
Carolin Saupe ist Associate der Kanzlei Bird & Bird in Düsseldorf. Sie berät nationale und internationale Mandanten in allen Fragen des Zivil- und Handelsrechts sowie im Vertriebsrecht mit besonderem Fokus auf dem Automotive-Sektor.
Commercial Courts an den Zivilgerichten: . In: Legal Tribune Online, 29.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51429 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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