Rechtsanwälte dürfen ihre Schriftsätze an die Gerichte nur noch elektronisch versenden – außer ans BVerfG. Das setzt weiter auf Papier. Die Grünen haben den Justizminister nun aufgefordert, das zu ändern. Jetzt könnte sich was bewegen.
Dass die Justiz beim Thema Digitalisierung hinterherhinkt, weiß sowohl die Anwalt- als auch die Richterschaft. Ob es den Gerichten z.B. gelingt, wie ursprünglich geplant zum Jahr 2026 die elektronische Akte einzuführen, steht noch in den Sternen. Der Deutsche Richterbund jedenfalls bezweifelt das.
Die Anwaltschaft wird indes nicht müde, zu betonen, dass sie mit Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) ihren Teil zur Digitalisierung im Rechtsbereich bereits beigetragen hat und im Verhältnis zur Justiz damit gewissermaßen in "Vorleistung" gegangen ist.
Gesorgt hat dafür der Gesetzgeber: Seit Januar 2022 bleibt den Anwält:innen auch gar nichts anderes übrig, als bei der Kommunikation mit der Justiz den elektronischen Übermittlungsweg zu wählen. Die Verfahrensordnungen der Gerichtsbarkeiten sehen seither für Rechtsanwältinnen die Pflicht zur ausschließlich elektronischen Einreichung der das Verfahren betreffenden Dokumente vor. Für den Zivilprozess gilt dann z.B. § 130 d Zivilprozessordnung, für die Verwaltungsgerichtsordnung § 55d. Nur wenn es aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung an die Gerichte z.B. per Fax weiterhin zulässig. Wer das als Anwalt nicht beherzigt, kann böse auf die Nase fallen. Es drohen Fristversäumnisse und damit Haftungsfälle. Einschlägige Gerichtsentscheidungen gibt es bereits.
BVerfG, ein gallisches Dorf
Ausgenommen von dieser Pflicht ist Anwalt oder Anwältin nur, wenn es um Klagen oder Schriftsätze an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geht. Ausgerechnet Deutschlands höchstes Gericht gilt in puncto Digitalisierung und elektronischer Rechtsverkehr noch als "gallisches Dorf". Eine Verfassungsbeschwerde lässt sich dort - wie vor Jahrzehnten - weiterhin nur als "körperliches Schriftstück" (§ 23 Abs. 1. S. 1 BVerfGG) einreichen. Heißt auf gut Deutsch: in Papierform, also per Post oder Fax. 2018 bekräftigte das BVerfG zuletzt, dass die Einreichung einer Verfassungsbeschwerde per DE-Mail nicht statthaft ist.
Auf der Website des Gerichts heißt es daher: "Sie können nicht rechtswirksam auf elektronischem Weg (über das Kontaktformular, per E-Mail, per De-Mail) eingereicht werden. Das Bundesverfassungsgericht nimmt derzeit in seinen verfassungsgerichtlichen Verfahren noch nicht am elektronischen Rechtsverkehr teil."
Anwält:innnen bringt diese Old-school-Methode immer wieder zur Weißglut. Auf Twitter schimpfte z.B. der Wirtschaftsanwalt Leopold Haenel: "Und das BVerfG nimmt per Fax auch nur 100 Seiten pro Aussendung an. Wie soll das bei komplexeren Verfahren funktionieren?" Auch die Berliner Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Miriam Vollmer, kritisierte am Dienstag den Zugang zum BVerfG ausschließlich per Post oder Fax: "Angesichts der immer zu knappen Begründungsfrist hat mich das echt schon einige schlimme Momente gekostet", schrieb sie. Ihnen antwortete der Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte GFF, Ulf Buermeyer: "Ich habe schon mal eine Verfassungsbeschwerde selbst hingebracht... und wir schicken immer mal wieder Boten. In 2022."
Kritik auch vom Anwaltverein
Per Kutsche zum BVerfG?? Bei der Interessenvertretung der Anwaltschaft ist die Verärgerung jedenfalls angekommen. In einem Beitrag für LTO schimpfte der Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Martin Schafhausen, kürzlich:
"Der Gang nach Karlsruhe nur per Fax (es gibt nur eine Nummer!) oder per DHL kann im Jahr 2022 nur als anachronistisch bezeichnet werden. Nach den Änderungen diverser Verfahrensregelungen, insbesondere der Elektronischen-Rechtsverkehrs-Verordnung (ERVV), sollte die elektronische Kommunikation mit dem BVerfG heute eigentlich nicht mehr an den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern. Es muss endlich möglich sein, Anträge und Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe auch auf elektronischem Wege einzureichen."
Überzeugt hat Schafhausen mit seiner Kritik nun offenbar die Grünen im Bundestag. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer und frühere Hamburger Justizsenator Dr. Till Steffen hat sich nun mit einem Schreiben an Bundesjustizminister Marco Buschmann gewandt. Mit der "dringlichen Bitte", das BVerfG ins digitale Zeitalter zu versetzen.
Grüne: Zustand beim BVerfG nicht im Einklang mit Koalitionsvertrag
Steffen bezieht sich in seinem Brief an Buschmann, der LTO vorliegt, auf den Koalitionsvertrag der Ampel. Darin habe die Koalition die Digitalisierung der Verwaltung und Gerichte sowie die damit einhergehende Vereinfachung des Lebens der Bürgerinnen und Bürger versprochen. Deutschland soll durch eine bessere Nutzung des Potenzials der Digitalisierung handlungs- und leistungsfähiger werden.
Auch beim BVerfG, so der Jurist, müssten daher künftig die Einreichung von Verfassungsbeschwerden "per beA, E-Mail oder DE-Mail" möglich sein:
"Sie werden mir wohl zustimmen, dass die Übermittlung per Post oder Telefax mit den Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, hinsichtlich des modernen, leistungsfähigen Staates, nicht in Einklang zu bringen ist. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Kommunikation per beA für Amts-, Landes- und Bundesgerichte verpflichtend ist, wenn das Bundesverfassungsgericht, als höchstes deutsches Gericht, nicht einmal die Möglichkeit zur digitalen Übermittlung bietet", schreibt Steffen.
Ministerium: "BMJ und BVerfG befinden sich im Austausch"
Unterdessen gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich der Zustand beim BVerfG tatsächlich alsbald ändern könnte. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums (BMJ) teilte auf LTO-Anfrage mit, dass sich das Haus mit dem BVerfG "zur Einbeziehung in den elektronischen Rechtsverkehr" bereits im Austausch befinde. "Dem weiteren Prozess möchten wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgreifen. Das gebietet auch die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als eigenständigem Verfassungsorgan", so der Sprecher.
Es bleibt also abzuwarten, wann Deutschlands höchstes Gericht in puncto Digitalisierung im Jahr 2022 ankommen wird. Für etwas Erleichterung für die Anwält:innen hat es immerhin bereits gesorgt:
"Zur Verbesserung der Erreichbarkeit des Bundesverfassungsgerichts wurden weitere Faxanschlüsse eingerichtet, die Sie bei Übertragungsproblemen alternativ nutzen können", informiert das Gericht. Heißt: Es gibt jetzt nicht nur eine, sondern drei Faxnummern.
Grüne fordern digitalen Zugang zum BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49939 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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