Der rechtsliberale Bayreuther Professor Heinrich Amadeus Wolff soll Mitglied im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts werden. Die Wahl im Bundestag wird wohl Anfang Juni erfolgen. Christian Rath stellt ihn vor.
Heinrich Amadeus Wolff ist weder erzkonservativ noch erzliberal. Am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) könnte er damit zum Zünglein an der Waage werden, das bei strittigen Abstimmungen den Ausschlag gibt. Allerdings versuchen die Richter:innen in der Regel ihre Fälle ohne Kampfabstimmungen und ohne knappe Mehrheiten zu lösen.
Ein gewitzter Typ, der gerne diskutiert
In Karlsruhe wartet man schon. Die Amtszeit von Richter Andreas Paulus am Ersten Senat endete bereits Mitte März. Die Wahl eines Nachfolgers ist also schon fast zwei Monate fällig. Das Vorschlagsrecht liegt bei der FDP, wie schon bei Andreas Paulus.
Derzeit ist Wolff Professor für Öffentliches Recht an der Uni Bayreuth. Zuvor hatte er Lehrstühle in Frankfurt/Oder und München inne. 1998 bis 2000 arbeitete er in der Verfassungsabteilung des Bundesinnenministeriums.
Wolff ist kein Jurist, dem die Seriösität das Denken versteift. Er ist eher ein gewitzter, jovialer Typ, der keiner Frage aus dem Weg geht, gerne diskutiert und gerne lacht.
Sein Vater war der Strafrechtsprofessor Ernst Amadeus Wolff, der in Frankfurt und Heidelberg gelehrt hat. In der Familie scheint es eine gewisse Vorliebe für den Vornamen "Amadeus" zu geben. Heinrich Amadeus Wolff ist verheiratet und hat fünf inzwischen erwachsene Kinder.
Nach dem Vorbild von Dieter Hömig
Karlsruhe ist für Wolff kein Neuland. Er war schon Mitte der 1990er-Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des konservativen Verfassungsrichters Paul Kirchhof im Zweiten Senat.
Wolff hat auch immer wieder als Prozessvertreter an Verfahren des BVerfG teilgenommen. Zuletzt vertrat er die Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion bei der gemeinsamen Normenkontrollklage mit den Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen den Berliner Mietendeckel. Mit Erfolg. Das BVerfG stellte im April 2021 fest, dass das Land Berlin keine Kompetenz für ein Mieterschutzgesetz hat, das über das bundesrechtliche Mietrecht hinausgeht.
Der heute 56-jährige Wolff hat in den letzten Jahren (gezielt?) sein Profil als Verfassungsrechtler geschärft. 2016 stieg er als Mitkommentator und Mitherausgeber beim Grundgesetzkommentar von Dieter Hömig ein. Nachdem Hömig Ende 2016 starb, ist Wolff seit 2018 Allein-Herausgeber. Der Praktiker-Kommentar heißt aber auch heute, in der 13. Auflage von 2021, noch Hömig/Wolff.
Zu Dieter Hömig gibt es bemerkenswerte Parallelen. Auch Hömig war (1995 bis 2006) auf Vorschlag der FDP Verfassungsrichter im Ersten Senat. Und auch Hömig (der zunächst Richter am Bundesverwaltungsgericht war) hatte durch die Arbeit an diesem Grundgesetz-Kommentar Kenntnis des Verfassungsrechts signalisiert - bevor er dann nach Karlsruhe berufen wurde.
Allzweck-Experte für Sicherheitsrecht
Bisher hat sich Heinrich Amadeus Wolff aber vor allem einen Namen im Sicherheitsrecht gemacht. So evaluierte er 2011 das Terrorbekämpfungsgesetz im gemeinsamen Auftrag von Innen- und Justizministerium. Wolff hatte damals also sowohl das Vertrauen des konservativen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) als auch der sehr liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
Als 2013 die sechs Mitglieder der Regierungs-Kommission zur Bewertung der Anti-Terror-Gesetze ausgewählt wurden, war Heinrich Amadeus Wolff wieder dabei. Diesmal als einer der drei konservativen Vertreter, die Innenminister Friedrich benannte. In den Abstimmungen der Kommission schlug er sich dann aber immer wieder auf die liberale Seite und plädierte zum Beispiel dafür, die Strafbarkeit des Besuchs terroristischer Ausbildungslager zu überprüfen. Dieses Delikt komme der Kriminalisierung bloßer Gedanken und Gesinnungen nahe.
Die Beispiele zeigen: Wenn sich CDU/CSU und FDP auf einen gemeinsamen Kandidaten für das BVerfG einigen müssten, wäre dies vermutlich Heinrich Amadeus Wolff. Dass er nun von der FDP allein vorgeschlagen wird, dürfte die Rechtspolitiker:innen der CDU/CSU, denen er sich am Donnerstagmorgen (in Anwesenheit von Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz) vorstellte, sehr gefreut haben.
Vor allem aber gilt Wolff im Sicherheitsrecht als äußerst kompetent, was schon viele unterschiedliche Seiten nutzen wollten. So vertrat er 2012 in der Karlsruher Verhandlung um die Anti-Terror-Datei die Bundesregierung und hat dabei auch die Verfassungsrichter:innen beeindruckt. 2014 verteidigte Wolff die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Und 2016 schrieb er die Verfassungsbeschwerde für 20 FDP-Politiker:innen gegen die neue Vorratsdatenspeicherung. Was für eine Bandbreite.
"Ausschließlich Zustimmung" zur Kritik am BVerfG
Bei der jüngsten Staatsrechtslehrertagung 2021 in Mannheim trug Wolff als Berichterstatter zu "Prävention durch Verwaltungsrecht: Sicherheit" vor. Wie gewohnt blinkte Wolff nach beiden Seiten. Einerseits versuchte er die Formel "der Zweck heiligt die Mittel" zu rehabilitieren, sie dürfe nicht pauschal zurückgewiesen werden. Gleichzeitig warnte Wolff aber auch vor einer "Effizienzdynamik", die schnell übers Ziel hinausschieße und dann von den Gerichten wieder abgefangen werden müsse.
Ob Wolff allerdings mit der von Johannes Masing am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts geprägten und inzwischen von Gabriele Britz fortgeführten Linie der verfassungsrechtlichen Mikro-Korrekturen am Sicherheitsrecht kompatibel ist, könnte zweifelhaft sein. Darauf deutet jedenfalls ein Vorgang bei der Diskussion in Mannheim hin. Altmeister Friedrich Schoch kritisierte dort die "Überkonstitutionalisierung" des Sicherheitsrechts und warf dem Bundesverfassungsgericht "Übergriffigkeit" vor, insbesondere bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Als positives Gegenbild präsentierte Schoch ausgerechnet den Europäischen Gerichtshof, der nur selten in eine Angemessenheits-Prüfung einsteige. Wolff sagte dazu lediglich: "Ihre Stellungnahme hat überhaupt keine Erwiderung meinerseits nötig, sondern ausschließlich Zustimmung."
Das kann interessant werden. Denn die Amtszeit von Britz endet im Februar 2023. Und Masings direkte Nachfolgerin Ines Härtel hat sich sicherheitsrechtlich noch nicht profiliert. Vielleicht prägt Wolff bald die Rechtsprechung des Ersten Senats zur Inneren Sicherheit.
Wahl wohl in der übernächsten Sitzungswoche
Zuvor muss Wolff allerdings noch vom Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Wegen der Fristen dürfte eine Wahl wohl erst in der übernächsten Sitzungswoche ab 30. Mai in Frage kommen. Vor der Wahl im Plenum muss zudem der 12-köpfige "Wahlausschuss" des Bundestags noch eine Empfehlung abgeben.
Erste Zuständigkeiten von Wolff werden das Sozialrecht, die gesetzliche Krankenversicherung und die Kunstfreiheit sein. So sieht es die neue Geschäftsverteilung vor, die in Kraft tritt, sobald der Nachfolger von Andreas Paulus gewählt ist.
FDP schlägt Heinrich Amadeus Wolff als Verfassungsrichter vor: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48422 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag