Das OVG Berlin hat einen Normenkontrollantrag gegen die Regelung, dass Berliner nur beim "dringend erforderlichen" Termin zum Anwalt dürfen, als unzulässig verworfen. Eben darauf stützt der klagende Anwalt schon einen weiteren Antrag beim VG.
Der Berliner Migrationsrechtler Dr. Matthias Lehnert* ist mit seinem Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg fürs Erste gescheitert. Er wollte die Corona-Beschränkung in der Hauptstadt vorläufig außer Kraft setzen lassen, nach der Berliner ihre Wohnung für den Gang zum Anwalt nur dann verlassen dürfen, wenn sie einen "dringend erforderlichen Termin" bei diesem nachweisen (seit dem 22. März 2020 geregelt in § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 n) der Berliner Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuaritgen Coronavirus SARS-CoV-2 (SARS-CoV-2-EindmaßnV)).
Das OVG hat seinen Antrag als unzulässig abgewiesen (Beschl. v. 30.03.2020, Az. 11 S 13/20), der Beschluss ist unanfechtbar. Der Senat könne die Rechtsvorschrift nicht überprüfen, weil der Berliner Verordnungsgeber eine solche Überprüfung nicht vorgesehen habe, so das auf § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gestützte Argument des Gerichts. Nach der Vorschrift können im Rahmen einer Normenkontrolle Rechtsvorschriften unterhalb eines Landesgesetzes nur überprüft werden, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Das sei eben mit der Berliner Verordnung nicht geschehen.
Überrascht hat das den Berliner Migrationsrechtler offenbar nicht. Lehnert, der von Wilhelm Achelpöhler aus der Münsteraner Sozietät Meisterernst Düsing Manstetten vertreten wird, hat seine Vorbehalte gegen die Vorschrift zwischenzeitlich bereits auf anderem Wege gerichtlich geltend gemacht. Bei der 14. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin läuft unter dem Aktenzeichen VG 14 L 31/20 sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Regelung. Diesen Antrag stützt er prozessual auf eben das Argument, mit dem das OVG seinen Antrag abgelehnt hat.
Effektiver Rechtsschutz: Verordnung im Vorverfahren klären?
Verwaltungsrechtler Achelpöhler argumentiert so: Wenn eine Normenkontrolle nicht möglich ist, müsse ein effektiver Rechtsschutz über andere Klagemöglichkeiten gewährt werden. In solchen Fällen könne, so u.a. das OVG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 10.06.2016, Az. 4 B/16), im Rahmen eines Feststellungsbegehrens als Vorfrage die Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung geklärt werden.
Lehnerts Antrag ans VG Berlin ist nun gerichtet auf die vorläufige Feststellung, dass die Regelung in der Berliner Verordnung unwirksam ist, verbunden mit dem Antrag, der Stadt Berlin aufzugeben, einen entsprechenden Beschluss öffentlich bekannt zu machen. Da die Regelung den Zugang zu Rechtsanwälten beschränke und eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Maßnahmen des Verwaltungsvollzugs nicht vorsehe, sei eine solche Klagemöglichkeit bei nicht eröffneter Normenkontrolle im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unerlässlich, der vorläufige Rechtsschutz über eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu gewähren.
In der Sache ist Lehnerts Argumentation unverändert: Er sieht durch die Vorschrift, die er für zu unbestimmt und zudem unverhältnismäßig hält, sowohl den Zugang zum Recht für seine Mandanten gefährdet als auch einen Eingriff in seine Berufsfreiheit ohne ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Er werde durch die Berliner Bestimmung an der Wahrnehmung seiner Funktion als Organ der Rechtspflege gehindert, argumentiert sein Vertreter Achelpöhler. Auch sei es mit rechtsstaatlichen Geboten unvereinbar, dass jemand gegenüber der Polizei offenlegen müsse, weshalb er zum Anwalt wolle.
Brandenburg streicht Nachweispflicht
Ein Sprecher des Berliner Justizsenators wollte das laufende Verfahren auf LTO-Anfrage nicht kommentieren. Zuspruch für sein Anliegen bekommt Lehnert von der Berliner Rechtsanwaltskammer (RAK). Ein Sprecher betonte allerdings gegenüber LTO, bisher weder Einzelheiten des Verfahrens zu kennen noch Informationen darüber zu haben, dass die Berliner Polizei oder sonstige staatliche Stellen von Rechtsuchenden eine Offenbarung oder Glaubhaftmachung im o.g. Sinn erwarteten oder verlangten.
Einen Nachweis, dass der Termin beim Anwalt erforderlich ist, forderte bis zum 31. März auch die Corona-Eindämmungs-Verordnung im Nachbarland Brandenburg. Diese Nachweispflicht wurde aber am 31. März gestrichen. Grammatikalisch nicht mehr korrekt fordert die Verordnung jetzt die Wahrnehmung "dringend und erforderlicher Termine".
Der Sprecher der Berliner Anwaltskammer sagte auf Anfrage zu dem Berliner Verfahren gegenüber LTO, die RAK stehe auf dem Standpunkt, "dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates weiterhin gelten, gerade in diesen Zeiten!" Mit diesen Grundsätzen sei es nicht vereinbar, wenn ein Rechtsuchender der Polizei, den Ordnungsbehörden oder sonstigen staatlichen Stellen offenbaren müsste, dass er einen Rechtsanwalt aufsuchen wolle. Erst recht sei es unvereinbar, wenn er den Grund seines Besuches offenbaren oder gar glaubhaft machen müsste.
Informationen zum Fortgang der nun laufenden Eilsache beim VG Berlin sind noch nicht bekannt.
*Matthias Lehnert steht zu einem Mitglied der Redaktion in einer persönlichen Beziehung. Das Redaktionsmitglied war weder an der Themenidee noch an der Erstellung des Artikels beteiligt.
Klage gegen Berliner Corona-Maßnahme unzulässig: . In: Legal Tribune Online, 03.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41208 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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