Virtuelle Gerichtsverhandlungen sind nicht erst seit Corona möglich. Trotzdem gibt es in Richter- und Anwaltschaft immer noch Vorbehalte. Um diese abzubauen, bietet das LG Hannover nun Informationsveranstaltungen an.
Das Landgericht (LG) Hannover bietet in Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalts- und Notarverein Hannover eine Reihe von virtuellen Informationsveranstaltungen zur Videoverhandlung nach § 128a Zivilprozessordnung (ZPO) an. Ziel des Projekts ist es, Vorbehalte abzubauen und die Akzeptanz für virtuelle Gerichtsverhandlungen zu erhöhen, so das Gericht in einer Mitteilung.
Zu insgesamt vier Terminen lädt das LG Mitglieder des Anwaltsvereins Hannover und weitere interessierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein, sich live und wie zu einer echten Videoverhandlung in den Sitzungssaal zu schalten. Rund 120 Mitglieder des Anwaltvereins haben Gerichtsangaben zufolge bereits teilgenommen. Während der jeweils rund 90-minütigen Veranstaltungen demonstriert ein Richter die Videokonferenztechnik, beantwortet Fragen und berichtet von bisherigen Erfahrungen.
§ 128a ZPO sieht vor, dass das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen gestatten kann, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann in Bild und Ton an diesen Ort und in den Gerichtsaal übertragen. Auch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ist per Videoübertragung möglich. Aufgezeichnet wird die Videokonferenz nicht.
"Seit April haben wir über 300 Videoverhandlungen durchgeführt", sagt Dr. Dominik Thalmann, Sprecher des LG Hannover. Im Frühjahr seien die technischen Kapazitäten am Gericht ausgeweitet worden. "Mittlerweile ist jeder Saal des Gerichts mit Videokonferenztechnik ausgestattet". Die Zahl der Videoverhandlungen sei seitdem deutlich angestiegen.
Technik funktioniert, Zwischenfazit positiv
Sein Zwischenfazit fällt positiv aus. "Die Technik funktioniert zuverlässig", so der Sprecher. Die Reduzierung des Publikumsverkehrs habe einen erheblichen Beitrag zum Infektionsschutz geleistet. Aber auch weite Anreisewege und andere Unannehmlichkeiten hätten die virtuellen Verhandlungen erspart. Für Richter und Richterinnen bietet die virtuelle Verhandlung viele praktische Vorteile, findet Thalmann. So finde man Termine oft schon zeitnah in den nächsten Wochen und nicht erst Monate später. Außerdem würden weniger Termine platzen, etwa weil Sachverständige virtuell angehört werden könnten.
Thalman erhofft sich, insbesondere auch die regionale Anwaltschaft für die virtuelle Verhandlung begeistern zu können. Da diese keine weite Anreise habe, fehle es an Resonanz und Grundverständnis zur virtuellen Verhandlung. "Die Videoverhandlung ist ein gutes prozessuales Werkzeug. Um die Vor- und Nachteile einschätzen zu können, muss man sie aber auch mal in der Praxis mitgemacht haben."
Henning Schröder, Präsident des Anwalts- und Notarvereins Hannover, sieht das ähnlich. "Paragraf 128a ZPO steht schon lange im Gesetz, wurde aber bis zur Pandemie weitgehend ignoriert." Viele Anwälte hätten sich noch nicht mit der Regelung auseinandergesetzt. "Mit dem Projekt wollen wir den Anwälten die Abläufe näherbringen. Das kommt auch sehr gut an, wir haben bereits viel positives Feedback erhalten."
Keine Angst vor "Videoversäumnisurteilen"
Die Vorteile für die Anwaltschaft liegen für Schröder auf der Hand: "Weil ich den Termin in meinem Büro wahrnehmen kann, entfällt der Weg zu Gericht. Das kann insbesondere bei weiten Fahrten eine erhebliche Zeitersparnis bedeuten", sagt Schröder. "Die Gebühren bleiben hingegen die gleichen".
Und was, wenn die Technik streikt? Schröder teilt die Bedenken zu befürchteten "Videoversäumnisurteilen" nicht. "Wenn sie im Stau stehen und ihren Gerichtstermin verpassen, reicht ein Anruf bei Gericht. So ist es auch, wenn die Technik ausfällt. Die bestehenden Regelungen werden einfach ins Digitale übersetzt."
Ein Allheilmittel ist § 128a ZPO aber nicht, da sind sich Thalmann und Schröder einig. "Bei der Vernehmung von Zeugen, bei der es auch um den persönlichen Eindruck und Dinge wie Mimik und Gestik geht, ist eine Videoverhandlung nicht sinnvoll", findet Schröder. Vorteile liegen laut Thalmann besonders darin, wenn es etwa um gleichgelagerte bzw. wiederkehrende Sachverhalte geht. "Beispiele sind Streitigkeiten zum Diesel-Abgasskandal, der Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen oder Kapitalanlagesachen", so der Gerichtssprecher.
Letztlich bleibt es den Beteiligten überlassen, ob sie virtuell oder vor Ort verhandeln wollen. Eine vom Gericht ausgesprochene Gestattung kann laut Thalmann per Mausklick angenommen werden. Es stehe Anwältinnen und Anwälten jederzeit frei, das Angebot abzulehnen und stattdessen persönlich im Sitzungssaal zu erscheinen, betont er.
Virtuelle Gerichtsverhandlungen: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43484 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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