Das Angebot der mietright GmbH, die über eine Plattform Verbrauchern Rechtsschutz in Mietsachen anbietet, widerspricht nicht dem Rechtsdienstleistungsgesetz. Missverständlich findet das LG Berlin nur eine Bezeichnung. Obwohl die im Gesetz steht.
Das Legal-Tech-Unternehmen Mietright GmbH kann sein Geschäftsmodell bis auf Weiteres fortsetzen. Das Landgericht (LG) Berlin hat Unterlassungsansprüche der Rechtsanwaltskammer (RAK) Berlin gegen die Anbieter der Plattform "wenigermiete.de" am Dienstag weit überwiegend für unbegründet erachtet. Das Unternehmen handele nicht unlauter i.S.v. §§ 3, 3a des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG), so die Richter in Berlin. Denn keine der angebotenen Dienstleistungen verstoße gegen § 3 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) oder wäre sonst unlauter (LG Berlin, Az. 15 O 60/18).
Das Unternehmen, eine GmbH mit Sitz in der Hauptstadt, bietet an, die Rechte von Wohnraummietern aus den Vorschriften der sog. Mietpreisbremse, bei Mieterhöhungsverlangen und im Zusammenhang mit Schönheitsreparaturen geltend zu machen und durchzusetzen. Die Plattform wirbt damit, das softwarebasiert und ohne Kostenrisiko zu tun.
Die Gemüter vor allem in der Anwaltschaft erhitzten sich nicht zuletzt daran, dass das Startup auch Ansprüche aus der sog. Mietpreisbremse geltend macht: Wer im Vergleich mit der ortsüblichen Miete zu viel zahlt, tritt die vermutete Forderung gegenüber seinem Vermieter an die Plattformbetreiber ab. Die schreibt den Vermieter an und versucht, eine Einigung zu erzielen. Gelingt das nicht, macht das Unternehmen, dann vertreten durch Anwälte, die Ansprüche klageweise geltend. Die rechtliche Grundlage des gesamten Geschäftsmodells ist eine Inkassotätigkeit – und das kann sie nun auch erst einmal bleiben.
Anwaltschaft vs. Legal-Tech-Unternehmen
"Das Gericht hat unser Geschäftsmodell damit eindeutig bestätigt", freute sich Geschäftsführer Dr. Daniel Halmer gegenüber LTO. Aber das Urteil sei "vor allem ein Sieg für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland", so der Rechtsanwalt und Mitgründer von wenigermiete.de.
So sieht sich die Legal-Tech-Branche: Mit Hilfe von Software verhelfe man Verbrauchern, die sonst das Kostenrisiko gescheut hätten, zu ihrem Recht. Die noch junge Branche wird die Entscheidung aus Berlin als großen Erfolg für sich werten. Schließlich werden die Unternehmen, die sich auf die Fahnen schreiben, den Zugang zum Recht zu verbessern, zunehmend von der Anwaltschaft attackiert.
Die wittert Konkurrenz nicht nur am unteren Rand ihres Geschäftsfelds und beklagt zu wenig Regulierung für solche Unternehmen, die ohne Anwaltszulassung agieren und damit auch nicht anwaltlichen Berufspflichten unterliegen. Für die Advokaten, konkret die RAK Berlin, ist die Berliner Entscheidung eine empfindliche Niederlage. Man darf damit rechnen, dass die Kammer es nicht bei der ersten Instanz belassen wird. Eine Stellungnahme aus Berlin dazu war bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags allerdings nicht zu erhalten. Man prüfe das erst seit Dienstag vorliegende Urteil, hieß es aus der Anwaltskammer auf Nachfrage von LTO. Die Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten. Die RAK, die auch 85 Prozent der Verfahrenskosten tragen soll, hat nur in marginalen und zudem eher formalen, nicht auf andere Legal-Tech-Unternehmen übertragbaren Fragen Recht bekommen.
LG: Dienstleistungen nutzen auch den Anwälten
Und die 15. Kammer des LG Berlin lässt wenig Zweifel daran, wessen Wahrnehmung der neuen Branche sie eher teilt - selbst an Stellen ihrer Entscheidung, an der das rechtlich gesehen gar nicht nötig war.
Unmittelbar am Anfang der Urteilsgründe, die LTO vorliegen, zweifeln die Berliner Richter schon daran, dass das Geschäftsmodell der Mietright GmbH überhaupt Wettbewerber beeinträchtigen würde (§ 3 Abs. 1 UWG): "Ihre Dienstleistungen nutzen den Verbrauchern und dem Rechtsverkehr – auch den Rechtsanwaltsgesellschaften – eher, als dass sie ihnen schaden", heißt es dort wörtlich. Insbesondere generiere die Mietright GmbH neue Mandate von Mietern, "die sonst wohl den Weg in eine Anwaltskanzlei nicht gefunden hätten", so das LG unter Berufung auf den Berufsrechtler Prof. Dr. Mathias Kilian.
Dabei kommt es dem Gericht darauf gar nicht an. Denn jedenfalls handeln die beiden Gründer der Mietright GmbH, von denen einer das Unternehmen Ende 2018 verlassen hat, aus Sicht der 15. Zivilkammer nicht unlauter, sondern rechtskonform innerhalb des Systems des RDG.
Das Gesetz verbietet in Form eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalts grundsätzlich die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen, wenn diese nicht ausdrücklich erlaubt wurden (§ 3 RDG). Die wohl häufigste Erlaubnis ist die für Inkassodienstleistungen, also den Einzug von Forderungen für Dritte. Über eine solche Inkassoerlaubnis verfügt auch die Mietright GmbH für den Betrieb der Plattform Wenigermiete.de. Im Rahmen der Inkassotätigkeit ist es auch erlaubt, rechtsberatend tätig zu werden, also auch umfassend rechtlich Forderungen zu prüfen inklusive der rechtlichen Beratung, ob es überhaupt eine Forderung gibt, so das LG Berlin unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
LG: Dienstleistungen widersprechen nicht dem RDG
Auch sämtliche über wenigermiete.de angebotenen Dienstleistungen fielen unter diese Erlaubnis oder es brauche sie dafür gar nicht, weil schon gar keine Rechtsdienstleistung vorliege, so die Kammer, die den gesamten Bearbeitungsvorgang der Plattform unter die Lupe nimmt.
Speziell die umstrittene Geltendmachung von Ansprüchen aus der sog. Mietpreisbremse beurteilt die Wettbewerbskammer so: Die rein schematische Rechenoperation zum Vergleich der Mieten sei gar keine Rechtsdienstleistung, die darauf folgende Auswertung diene der Vorbereitung zum Abschluss des Inkassovertrags. Die nach § 556g Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch zur Entstehung des Zahlungsanspruchs gegenüber dem Vermieter nötige sog. qualifizierte Rüge ändere nichts an der Wirksamkeit der Abtretung, da schließlich auch eine künftige Forderung abgetreten werden könne. Und die Erklärung, die Miete herabzusetzen, sei zulässiger Teil der Inkassotätigkeit.
Bei der angebotenen Abwehr von Mieterhöhungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Überprüfung von Schönheitsreparaturen werde die GmbH gar nicht rechtsberatend, sondern zulässigerweise als Prozessfinanziererin tätig, so das LG. So müsse sie die Zulässigkeit der Mieterhöhung auch prüfen können, um das Prozessrisiko einschätzen zu können.
Braucht Legal Tech mehr Regulierung?
Aus Sicht von Prof. Dr. Volker Römermann macht das Urteil den Weg für neue Geschäftsmodelle auf dem Rechtsberatungssektor frei. "Das ist zu begrüßen und sicherlich kein Anlass, nun hektisch nach Verboten zu rufen, zumal ernsthafte Gefahren für niemanden zu erkennen sind und die Berufsfreiheit aus Artikel 12 GG gerade in solchen Fällen ihre Wirkung entfaltet", so der Anwalt und Berufsrechtler aus Hannover.
Der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Universität Hannover und Chef des dortigen Instituts- für Anwalts- und Prozessrecht sieht das anders: "Die Rechtsprechung ist bei der Problemlösung an ihre Grenzen gelangt", meint Prof. Dr. Christian Wolf im Gespräch mit LTO. Die Fragestellungen seien so komplex und neuartig, dass der Gesetzgeber zur Regelung aufgerufen sei.
Für den Berufsrechtler ist das B2C-Geschäft der Legal-Tech-Unternehmen durchaus eine "moderne Art des, wenn auch quasi umgedrehten, Inkassos". Aber das Regelungsinstrumentarium des RDG für die Inkassounternehmen hält er nicht für ausreichend. Er schlägt eine Ansiedlung der Kontrolle beim Bundesamt für Justiz vor, dem gegenüber "die Algorithmen auch offen gelegt werden müssten". Aus Sicht von Wolf müsste der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Legal-Tech-Unternehmen nicht in Interessenkollisionen geraten, also ausgeschlossen sei, dass zum Beispiel eine Plattform, die für Verbraucher Fluggastentschädigungen eintreibt, mit einem Luftfahrtunternehmen kooperiert.
LG: "Rechtsdienstleistungsgesellschaft" könnte als "Rechtsanwaltsgesellschaft" verstanden werden
Es bleibt übrigens ein Teil des Urteils, in dem Mietright unterlegen ist, weshalb das Unternehmen auch 15 Prozent der Kosten tragen soll: Das LG Berlin hat der GmbH untersagt, sich "Rechtsdienstleistungsgesllschaft" zu nennen. Jedenfalls in Kombination mit der Bezeichnung der beiden Geschäftsführer als Anwälte könnte sonst der Eindruck entstehen, dass die GmbH eine Rechtsanwaltsgesellschaft sei. Auch dürfe die GmbH künftig nichts mehr "anwaltlich versichern", so das LG Berlin.
Aus Sicht von Berufsrechtler Römermann liegt dem ein veraltetes Verbraucherbild zugrunde: "Wenn die Bezeichnung der Gesellschaft lautet 'Rechtsdienstleistungsgesellschaft' - was korrekt ist -, soll der Verbraucher darunter eine 'Rechtsanwaltsgesellschaft' verstehen. Dieses Fehlverständnis soll daraus resultieren, dass ein Rechtsanwalt sich als "Rechtsanwalt" bezeichnet - was wiederum korrekt ist - und Geschäftsführer/Gesellschafter der Gesellschaft ist. Außerdem soll - und nun wird es wirklich abenteuerlich - die Rechtsform der GmbH als solche, weil sie auch für Rechtsanwälte zulässig ist, darauf hindeuten, dass es sich tatsächlich um eine Rechtsanwaltsgesellschaft handele".
Mietright-Geschäftsführer Daniel Halmer will noch mit seinen Anwälten klären, ob das Unternehmen hinsichtlich der einzelnen Formulierungen, die ihm die Kammer untersagen will, in Berufung gehen wird. "Wir sind ein eingetragener Rechtsdienstleister und dürfen uns nach dem Urteil selbstverständlich auch weiterhin so bezeichnen", kommentierte er gegenüber LTO. Im Konflikt der Anwaltschaft mit den Legal-Tech-Unternehmen dürfte das das kleinste Problem sein.
LG Berlin zu Legal-Tech-Geschäftsmodell: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33271 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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