Von der Ausbildung an sind Juristen auf eine recht eigenbrötlerische Arbeitsweise getrimmt. Verschiedene Online-Projekte könnten dies ändern und die Einzelkämpfer-Mentalität aufweichen, meinen Simon Ahammer und Nico Kuhlmann.
Juristen sind von Haus aus erfolgreich domestizierte Einzelkämpfer. Mit Beginn des ersten Semesters bestehen die universitären Leistungsnachweise ausschließlich aus Klausuren und Hausarbeiten, die allein und ohne fremde Hilfe erstellt werden müssen. Einige Hochschulen verlangen sogar eine eidesstattliche Versicherung, dass die Arbeit selbstständig verfasst wurde und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt wurden. Kommilitonen um Rat zu fragen ist teilweise offiziell verboten.
Die Prüfungen des Ersten und des Zweiten Staatsexamens werden natürlich auch allein bestritten. Selbst bei den mündlichen Prüfungen, die abhängig vom Bundesland mit mehreren Kandidaten gleichzeitig stattfinden, herrscht nur selten ein miteinander, sondern meist ein gegeneinander. Jeder ist sich selbst der Nächste und wer eine Schwäche zeigt, büßt Punkte ein.
Kein Wunder also, dass in deutschen Kanzleien und Rechtsabteilungen die meisten Juristen den Großteil des Tages allein im Büro sitzen, um über rechtliche Fragen zu brüten. Die Fähigkeit zur Teamarbeit wird zwar in fast jeder Stellenausschreibung gefordert, aber die Realität sieht oft anders aus. Die über Jahre und Jahrzehnte antrainierte Scheu andere zu Fragen sitzt tief. Ein Austausch mit Kollegen findet oft nur statt, wenn es unbedingt sein muss.
Das kollegiale Nebenzimmer
Doch es geht auch anders. Einen informellen Austausch über die Grenzen der eigenen Kanzlei hinweg ermöglicht beispielsweise seit 2015 die mit über 1.500 Mitgliedern ziemlich populäre Facebook-Gruppe "Rechtsanwälte - das kollegiale Nebenzimmer". Wer dieser Gruppe beitreten will, muss eine Zulassung als Rechtsanwalt vorweisen - man ist also unter sich. Zudem gilt: Was in der Gruppe passiert, bleibt auch in der Gruppe.
Dort werden täglich neue Fragen gestellt, die dann regelmäßig ausführlich und engagiert von der Anwalts-Community diskutiert werden. Die Sachverhalte werden dabei anonymisiert vorgetragen, um das Mandantengeheimnis zu wahren. Die Anwälte nutzen diese Gruppe unter anderem dazu, sich auszutauschen, um Einzelprobleme zu besprechen oder auch einmal neue Gedankengänge kennenzulernen. Die eigentliche Arbeit erledigen die Anwälte danach natürlich selbst.
Eine eigene Plattform für den Austausch
Einen strukturierteren Ansatz für einen konstruktiven Austausch im Internet verfolgt nun ein Team, das sich beim Berlin Legal Tech Hackathon 2018 gefunden hat. Die Juristen und Entwickler haben sich von Stack Overflow inspirieren lassen und versuchen eine ähnliche Online-Plattform zur Selbsthilfe für Juristen zu bauen.
Bei Stack Overflow handelt es sich um eine 2008 gegründete und äußerst erfolgreiche Plattform, auf der Benutzer unterschiedlichste Fragen zum Thema Softwareentwicklung stellen können. Andere Nutzer können dann nicht nur auf diese Fragen antworten, sondern die Antworten können durch die Nutzer auch bewertet und ihrer Bewertung nach angezeigt werden. Dadurch erhöht sich die Transparenz und die Sichtbarkeit der hilfreichen Beiträge. Stack Overflow hat mittlerweile acht Millionen registrierte Nutzer weltweit, über 15 Millionen gestellte Fragen und insgesamt 23 Millionen Antworten.
Dieses Konzept soll nun auf die Rechtsbranche in Deutschland übertragen werden. Auf JurKnow, welches sich gegenwärtig in einer frühen Alpha-Phase befindet, sollen Anwälte ihre Fragen stellen können, wenn diese eine erste Einschätzung benötigen, bei einem Problem einmal nicht weiter wissen oder eine zweite Meinung hilfreich sein könnte. Um den Besonderheiten der Rechtsbranche und den gegebenenfalls bestehenden Berührungsängsten Rechnung zu tragen, werden Fragen immer anonym veröffentlicht, die Verfasser von Antworten und Kommentaren sind hingegen namentlich identifizierbar. Die gesamte Diskussion mit allen Antworten ist dann für alle angemeldeten Nutzer sichtbar. Allerdings gilt auch bei dieser Plattform: Nur zugelassene Berufsträger haben Zugang.
Hilfsbereitschaft erhöht die Reputation
Kernstück der Plattform ist das Reputationssystem. Für das Stellen einer Frage, die Abgabe eines Kommentars oder das Lösen des Problems werden dem Beitragenden für alle Nutzer sichtbar Punkte auf einem Konto gutgeschrieben. Wird die Antwort zudem vom Fragesteller als die Beste bewertet, gibt es sogar Sonderpunkte.
Demgegenüber werden aber auch Punkte abgezogen, wenn der Beitrag von den anderen Nutzern als unkonstruktiv bewertet wird. Dadurch sollen unqualifizierte Bemerkungen verhindert werden. Schließlich soll es für die Nutzer noch ein Siegel als Wissensexperte geben, wenn eine bestimmte Anzahl von Reputationspunkten in einem Rechtsgebiet gesammelt wurden.
Ein solches Reputationssystem führt regelmäßig zu einem spielerischen Wettlauf zwischen den engagierten Nutzern einer Plattform darum, wer die meisten Punkte einsammeln kann. Diese Dynamik funktioniert bei Juristen, die den Wettkampf-Gedanken wie kaum eine andere Berufsgruppe verinnerlicht haben, vermutlich sogar besonders gut.
Reputationspunkte als Differenzierungsmerkmal
Die gesammelten Punkte dienen aber nicht nur zur internen Differenzierung. Vielmehr werden die bestbewerteten Nutzer auch auf der öffentlichen Landingpage der Plattform, nach Rechtsgebieten sortiert, für jeden im Internet angezeigt.
Rechtssuchende haben dadurch die Möglichkeit, einen ersten Einblick darin zu bekommen, wer zu den Wissensexperten im jeweiligen Rechtsgebiet gehört. Der Unterschied und damit der Vorteil zu sonstigen Plattformen besteht darin, dass die Anwälte nicht von Mandanten, sondern von anderen Berufsträgern bewertet werden.
Mehr kollegialer Austausch
Niemand weiß alles. Aber falscher Stolz und die Angst vor einem Ansehensverlust stehen oft einem offenen Austausch unter Kollegen entgegen. Dabei kann eine erste Einschätzung oder ein neuer Blickwinkel auf ein unlösbar erscheinendes Problem eine immense Hilfe sein.
Ein wenig mehr kollegialer Austausch - egal auf welche Art und Weise - würde den Juristen nicht schaden. Im Gegenteil, es würde die Beratungsqualität insgesamt weiter verbessern.
Der Autor Simon Ahammer (@simmuc) ist Leiter Legaltech beim Verlag C.H.BECK in München und war Mitglied der Gruppe JurKnow beim Legal Tech Hackathon 2018 in Berlin.
Der Autor Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Blogger für den legal-tech-blog.de und Rechtsreferendar bei Hogan Lovells US LLP im Silicon Valley.
Nico Kuhlmann, Fachlicher Austausch online: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28355 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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