Widerspruchsverfahren gewonnen, aber auf den Kosten sitzen geblieben: Rechtsanwälten, die Hartz-IV-Empfänger vertreten, konnte das bisher leicht passieren. Das BSG beendet eine umstrittene Praxis der Jobcenter.
Die Jobcenter hatten eine klare Anweisung der Bundesagentur für Arbeit: Bevor die Behörden die Kosten für das Widerspruchsverfahren übernehmen, sollten sie prüfen, ob eine Aufrechnung in Betracht kommt – und zwar auch dann, wenn einerseits der Rechtsanwalt Erstattung seiner Kosten verlangt und andererseits der Hartz-IV-Empfänger dem Jobcenter noch Geld schuldet.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat dieser Praxis nun ein Ende gemacht. Vier ähnliche Fälle hatte das Gericht am Donnerstag zu verhandeln, ein Fall endete mit einem Vergleich, in den übrigen drei Verfahren entschied das BSG: Es gilt ein Aufrechnungsverbot (Urt. v. 20.2.2020, B 14 AS 17/19 R, B 14 AS 4/19 R, B 14 AS 3/19 R).
"Wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II im Widerspruchsverfahren gewinnt, muss das Jobcenter die ihm entstandenen Rechtsanwaltskosten übernehmen. Dieser Anspruch darf nicht dadurch entwertet werden, dass das Jobcenter mit Gegenansprüchen aufrechnet", erklärte ein Sprecher des Gerichts gegenüber LTO. "Anderenfalls würde der Anwalt in vielen Fällen leer ausgehen und sich beim nächsten Mal gut überlegen, ob er noch einmal einen Leistungsberechtigten im Widerspruchsverfahren gegenüber dem Jobcenter vertritt."
Ein schriftliches Urteil liegt noch nicht vor, aber der 14. Senat stellte in seinem Terminbericht klar, dass er grundsätzliche Bedenken gegen die Aufrechnungspraxis der Jobcenter hat. Die Aufrechnung betreffe auch "die Rechtsschutzgleichheit von Unbemittelten und Bemittelten insbesondere im Bereich des SGB II, in dem Widerspruchsführer typischerweise unbemittelt sind", so der Senat. Rechtsanwälte müssten ansonsten befürchten, ihre Vergütung nicht über den Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X zu erhalten. Daraus entstehe die Gefahr, dass sie die Übernahme entsprechender Mandate ablehnen und Leistungsempfänger Probleme bekämen, Anwälte zu finden.
Dass die Befürchtung nicht unbegründet sei, zeige sich schon an der großen Anzahl von Erstattungsbescheiden bei der Grundsicherung für Arbeitslose (Hartz IV), so der Senat. Er verwies auf Angaben der Bundesregierung: 2019 wurden nach deren Zahlen rund 1,5 Millionen Erstattungsbescheide erstellt.
Bundesagentur muss Dienstanweisung ändern
§ 63 SGB X sieht vor, dass die Behörde nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren die Kosten übernimmt. Wenn es erforderlich war, einen Anwalt einzuschalten, gilt das auch für die Anwaltskosten. Die Jobcenter sollten in diesen Fällen allerdings prüfen, ob eine Aufrechnung in Betracht kommt, das geht aus einem Papier der Bundesagentur für Arbeit vor, das den Jobcentern als Arbeitshilfe zur Verfügung gestellt wird und LTO vorliegt. Ausdrücklich genannt wird auch der Fall, dass der Rechtsanwalt einen Kostenerstattungsanspruch geltend macht, das Jobcenter aber aus ganz anderen Gründen von dem jeweiligen Leistungsberechtigten noch Geld bekommt. Ob die Forderung des Jobcenters in direktem Zusammenhang mit dem Widerspruchs- oder Klageverfahren steht, sei unerheblich.
Die Bundesagentur erklärte auf Anfrage von LTO, die Regelung habe für die Jobcenter seit 2012 gegolten. Das Verfahren sei in der Praxis aber nur selten angewendet worden. Martin Schafhausen, Fachanwalt für Sozialrecht und Vizepräsident des DAV, geht davon aus, dass die Aufrechnung nicht nur in Einzelfällen zum Tragen kam: "Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine ganz wichtige, von der Praxis dringend erwartete Klarstellung des Bundessozialgerichts."
Theoretisch blieb einem Rechtsanwalt, der so einen Fall übernimmt, zwar der Anspruch auf seine Vergütung - dann aber eben gegenüber dem Leistungsberechtigten. In der Praxis hilft das aber wenig, wenn der Leistungsberechtigte nicht zahlen kann: "Die Rechtsanwälte gehen leer aus, wenn die Jobcenter mit eigenen Erstattungsansprüchen aufrechnen", so Schafhausen. So war es auch in den vier Verfahren, die vor dem BSG landeten. Die Klagen richteten sich gegen die Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, Jobcenter Saalfeld-Rudolstadt, Jobcenter Dithmarschen und das Kommunale Jobcenter Hochtaunuskreis.
Die Jobcenter hatten Kostenerstattungsansprüche in Höhe von 595 Euro, 243,95 Euro, 380,80 Euro und 52,60 Euro anerkannt, aber die Zahlung wegen anderweitiger Ansprüche gegen den Leistungsberechtigten ganz oder teilweise verweigert.
Die Bundesagentur erklärte, man werde die Arbeitshilfe in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales anpassen, sobald das Urteil schriftlich vorliege.
BSG zur Kostenerstattung nach erfolgreichem Widerspruch: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40441 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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