Das Geschäftsmodell der Plattform wenigermiete.de ist von ihrer Inkassolizenz gedeckt. Wertungswidersprüche zu den Anwälten, die solche Legal-Tech-Angebote nicht machen dürfen, sieht der BGH nicht. Die zeigen sich nicht gerade begeistert.
Die Abtretung von Ansprüchen aus einem Mietverhältnis an den Inkassodienstleister Lexfox, der die Plattform wenigermiete.de betreibt, ist wirksam. Die Tätigkeiten des Legal-Tech-Unernehmens sind von der ihm erteilten Inkassolizenz gedeckt, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch (Urt. v. 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18).
Es ist das erste höchstrichterliche Urteil in Sachen Legal Tech, also Dienstleistungen im Zusammenhang mit juristischer Beratung, die über Internetplattformen erbracht werden.
Wenigermiete.de bietet, das steht nun fest, mit seinem Geschäftsmodell eine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) an. Diese ist aber von der Inkassolizenz gedeckt, über die Betreiberin Lexfox, wie auch viele andere Legal-Tech-Unternehmen, ihre Geschäfte abwickelt.
Das ist eine gute Nachricht für Verbraucher, denn das heißt, dass diese Geschäfte zulässig sind und die Abtretung von Forderungen an solche Unternehmen wirksam ist.
Die Gegenspieler solcher Angebote, etwa VW oder bekannte Fluglinien, die von den Legal-Tech-Plattformen im großen Stil aus abgetretenem Recht verklagt werden, dürften weniger begeistert sein. Für den deutschen Anwaltsmarkt heißt das, dass die Legal-Tech-Unternehmen zulässigerweise ein Geschäftsmodell betreiben dürfen, mit dem sie in Konkurrenz zu Deutschlands Anwälten treten können. Und das, wie der BGH deutlich klarstellt, obwohl die Anwälte selbst dieses Geschäftsmodell nicht anbieten dürfen, weil sie durch ihr Berufsrecht strengen Reglementierungen unterliegen.
Ein neuer Markt oder der Markt der Anwälte?
Was die Legal-Tech-Unternehmen als Zugang zum Recht feiern, ist für die Anwälte ein Verstoß gegen das RDG. Dieses statuiert ein Verbot, Rechtsdienstleistungen zu erbringen, es sei denn, man verfügt über eine Erlaubnis dazu. Eine solche haben natürlich Anwälte. Viele der Betreiber von Legal-Tech-Unternehmen, wie auch Dr. Daniel Halmer von Lexfox, sind selbst Anwälte. Doch sie agieren, wie auch Lexfox, nicht als solche, sondern auf der Grundlage einer Inkassolizenz.
Aus Sicht der Anwaltschaft wollen sie damit faktisch Anwaltsleistungen erbringen, aber die Restriktionen des anwaltlichen Berufsrechts umgehen. Das verbietet vor allem Erfolgshonorare sowie die Übernahme von Prozesskosten – beides Faktoren, die für die Geschäftsmodelle der Legal-Tech-Unternehmen unerlässlich sind. Aus Sicht der Verbraucher sind die vor allem deshalb so attraktiv, weil die Kunden nur im Erfolgsfall zahlen müssen.
So sehen sich die Anwälte neuen Konkurrenten ausgesetzt, denen sie schon aus rechtlichen Gründen nichts entgegensetzen können. Die Legal-Tech-Unternehmen dagegen wollen nach eigenen Angaben gar nicht in Konkurrenz zu den Anwälten treten, sondern argumentieren, nur einen niederschwelligen Zugang zum Recht in Bereichen zu schaffen, in denen die Verbraucher ohne sie ihre Rechte gar nicht wahrnehmen würden, weil die Kosten und der Aufwand den Ertrag gar nicht rechtfertigen würden (sogenanntes rationales Desinteresse).
Tätigkeit von Inkassolizenz gedeckt
Vor dem BGH ging es um eine Rückforderung von 23,49 Euro mutmaßlich zu viel gezahlter Miete plus 166,90 Euro vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten. Es klagte keine Anwaltsorganisation, obgleich unter anderem auch die Rechtsanwaltskammer Berlin mittlerweile in der Berufungsinstanz gegen Lexfox, ehemals Mietright, vorgeht. Lexfox selbst klagt vielmehr gegen einen Vermieter, den sie aus abgetretenem Recht auf Rückzahlung angeblich zu viel gezahlter Miete in Anspruch nimmt.
Das Portal wenigermiete.de ermöglicht einen algorithmusgesteuerten Direktvergleich der eigenen Miete mit dem jeweiligen Mietspiegel. Wer demnach zu viel zahlt, tritt die vermutete Forderung gegenüber seinem Vermieter an die Plattformbetreiber ab. Die Lexfox GmbH schreibt dann den Vermieter an und versucht, eine Einigung zu erzielen. Gelingt das nicht, macht das Unternehmen, dann vertreten durch Anwälte, die Ansprüche klageweise geltend. Zahlen muss der Verbraucher nur im Erfolgsfall.
Die Rechtsfrage lautete nun: Ist die Abtretung der Forderung gegen den beklagten Vermieter an Lexfox unwirksam, weil sie gegen § 134 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. § 3 RDG verstößt, der die Erbringung außergerichtlicher Dienstleistungen von einer Erlaubnis abhängig macht?
Nein, urteilte der Senat nun eindeutig: All diese Tätigkeiten der als Inkassodienstleisterin geprüften und eingetragenen Lexfox GmbH seien von der Befugnis gedeckt, Inkassodienstleistungen zu erbringen, nämlich Forderungen einzuziehen.
RDG: neue Berufsbilder erlauben, den Rechtsmarkt zukunftsfest machen
Der Senat erklärt "eine eher großzügige Betrachtung" bei der Auslegung des Begriffs der Inkassodienstleistung für geboten - und subsumiert darunter das gesamte Angebot von wenigermiete.de, das mit der Einziehung der Forderung wegen zu viel gezahlter Miete eng zusammenhänge, die Gegenstand des Inkassoauftrags ist.
Der BGH begründet das mit dem Schutzzweck des RDG, das die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schützen soll. Bei der Neufassung des Gesetzes im Jahr 2008 sei es um Deregulierung und Liberalisierung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen gegangen, so der Senat. Bisher liegt nur die Pressemitteilung zur Entscheidung vor, in der es wörtlich heißt:
"Dabei stand dem Gesetzgeber auch vor Augen, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz die Entwicklung neuer Berufsbilder erlauben und damit, insbesondere mit Blick auf die nach der Einschätzung des Gesetzgebers zu erwartenden weiteren Entwicklungen des Rechtsberatungsmarktes, zukunftsfest ausgestaltet sein solle."
Das Bundesverfassungsgericht entschied zudem schon im Jahr 2002, dass mit der Rechtsberatung durch ein Inkassounternehmen grundsätzlich die umfassende und vollwertige substanzielle Beratung der Rechtsuchenden gemeint sei, wenn auch nur in einem bestimmten, im Gesetz genannten Sachbereich wie eben der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen (Beschl. v. 20.2.2002, Az. 1 BvR 423/99).
Keine Wertungswidersprüche zum anwaltlichen Berufsrecht
In seiner Pressemitteilung macht der BGH sehr deutlich, dass sich eine Überschreitung der Inkassobefugnis auch nicht aus möglichen Wertungswidersprüche zum anwaltlichen Berufsrecht herleiten lasse. Diese Ansicht wird von renommierten Berufsrechtlern vertreten.
Der BGH aber sieht, obwohl ein Anwalt kein Erfolgshonorar vereinbaren oder Gerichtskosten für seinen Mandanten übernehmen darf, schon gar keinen Wertungswiderspruch. Inkassodienstleister seien eben keine Organe der Rechtspflege, sondern unterhalb dieser angesiedelt; der Gesetzgeber habe ihnen auch gerade nicht verboten, Erfolgshonorare zu nehmen, so der Senat.
Auch eine – in der Fachliteratur ebenfalls angenommene – Interessenkollision i.S.v. § 4 RDG, welche die Inkassodienstleistung unzulässig machen würde, sieht der Senat in der Vereinbarung eines Erfolgshonorars und einer Kostenübernahme nicht. Es liege schon keine potenziell kollidierende "andere Leistungspflicht" vor und Lexfox habe eben wegen des Erfolgshonorars ein beträchtliches eigenes Interesse an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche des Mieters.
Ein "Meilenstein für den Verbraucherschutz"?
Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer, Gründer von Lexfox, freute sich nach dem Urteil am Mittwoch, sein Geschäftsmodell vom BGH bestätigt zu sehen. "Bevor wir unser Angebot für Mieter starteten, haben wir genau recherchiert, was geht und was nicht". Er bezeichnete das Urteil als "Meilenstein für den Verbraucherschutz".
Prof. Dr. Christian Wolf von der Universität Hannover sieht das völlig anders. "Der BGH hat dem sozialen Mietrecht keinen Gefallen getan, sondern dieses geschwächt", sagte der Berufsrechtler vom Institut für Prozess- und Anwaltsrecht gegenüber LTO. Im Mietrecht gehe es, anders als bei Flugverspätungen, nicht um eine kleine Forderung, die sonst vielleicht nicht geltend gemacht würde, sondern "um ein Recht, welches von der Sozialbindung des Eigentums und dem Grundrechtschutz der Mieter bestimmt ist. Geht es um die Grundlagen eines sozialen Lebens, muss die Tätigkeit Rechtsanwälten vorbehalten bleiben."
Darauf legt auch die Bundesrechtsanwaltskammer Wert. Deren Präsident Dr. Ulrich Wessels betonte, dass laut BGH in dem konkreten Einzelfall "noch" eine Inkassodienstleistung vorgelegen habe. "Es ist oftmals ein schmaler Grat, ob eine Tätigkeit noch mit dem RDG vereinbar ist oder nicht. Die Ausführungen des BGH zeigen, dass der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege eine besondere Funktion zukommt. Das Urteil stellt einmal mehr klar, dass Rechtsdienstleistung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erbracht werden muss. Das entspricht unserem Verständnis anwaltlicher Tätigkeit."
Diese besondere Funktion der Anwaltschaft sieht auch der Deutsche Anwaltverein nicht ausreichend berücksichtigt. Aus Sicht ihres Geschäftsführers, Rechtsanwalt Philipp Wendt, ist mit dem Urteil zwar für den außergerichtlichen Forderungseinzug klar, dass dies auch durch Legal-Tech-Anbieter in Form des Inkassodienstleisters zulässig ist. Laut DAV müssten dann aber auch Legal-Tech-Anbieter verpflichtet werden, Beratungshilfe zu leisten. Andernfalls könne der Anwaltschaft, die besonderen Pflichten unterliege, "dieses Sonderopfer nicht länger zugemutet werden."
Auch Berufsrechtler Prof. Dr. Reinhard Singer hält das Urteil für nur im Ergebnis richtig, weil das Vertrauen der Rechtsuchenden auf die Legalität der neuen Geschäftsmodelle Schutz verdiene. "Wenn es möglich wäre, dass Legal-Tech-Unternehmen genuin anwaltliche Aufgaben übernehmen, könnten die berufsrechtlichen Sicherungen zum Schutz der Verbraucher leicht umgangen werden. Der kaum zu leugnende Wertungswiderspruch kann – entgegen der Auffassung des Senats - nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, für Inkassodienstleister strengere berufsrechtliche Regelungen aufzustellen. Auch dem Gesetzgeber sind Wertungswidersprüche verwehrt", so der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Anwaltsrecht an der HU Berlin gegenüber LTO.
Alles geklärt?
Und nun? Roman Müller-Böhm, der sich für die FDP-Fraktion im Bundestag mit Legal Tech beschäftigt, sprach sich am Mittwoch ebenso wie die Vertreter mehrerer Legal-Tech-Unternehmen erneut dafür aus, die Befugnisse der jungen Unternehmen positiv über einen Erlaubnistatbestand im RDG zu regeln. Die FDP hat dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Aus dem Bundesministerium der Justiz gab es zuletzt hingegen eher die Überlegung, auch den Inkassodienstleistern die Erfolgshonorare zu untersagen.
Aus Sicht des DAV ist hingegen mit dem Urteil "klar, dass eine Öffnung des Rechtsdienstleistungsgesetzes für den außergerichtlichen Forderungseinzug nicht erforderlich ist", weil Legal-Tech-Unternehmen das auch dürften.
Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, der die Legal-Tech-Modelle seit jeher für zulässig hielt, versucht das Urteil dagegen abzugrenzen, was kaum abgrenzbar ist. "Soll ein Zahlungsantrag zulässige Inkassohandlung sein, auch wenn 100 Seiten Begründung notwendig sind? Soll der Auskunftsantrag unzulässig sein, weil kein Inkasso, auch wenn seine Begründung so simpel ist, dass sie sich auf einen Halbsatz beschränken kann? Wer will solche Abgrenzungen mit Blick auf die Artikel drei und zwölf Grundgesetz verfassungsrechtlich rechtfertigen?" Die Legal-Tech-Branche dürfe zwar erst einmal aufatmen, so der Anwalt aus Hannover. Das Thema, was auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt zulässig ist und was nicht, bleibe indes auf der Agenda.
Wieviel Rechtssicherheit braucht es also noch nach diesem Urteil aus Karlsruhe?
Was das für andere Legal-Tech-Modelle heißt
Bemerkenswert ist zwar die Feststellung des Senats, dass ein Verstoß gegen § 3 RDG auch dann zur Nichtigkeit der Inkassovereinbarung und damit der Forderungsabtretung führt, wenn ein registrierter Inkassodienstleister seine Dienstleistungsbefugnis "eindeutig und nicht nur geringfügig" überschreitet. Diese Rechtsfolge einer Nichtigkeit, wenn die Inkassolizenz überschritten wird, war in der Fachliteratur zuletzt häufiger bestritten oder umgangen worden.
Aber eine Nichtigkeit käme eben nur in Betracht, wenn die Inkassolizenz überschritten würde. Und auch wenn der Senat in seiner Mitteilung zweimal darauf hinweist, dass das Angebot von wenigermiete.de "noch" von der Lizenz gedeckt sei, dürften damit zumindest viele der aktuell vorhandenen Legal-Tech-Angebote wie myright.de (Ansprüche gegen VW nach dem Abgasskandal) und flightright.de (Fluggastentschädigungen) nun erst recht als zulässig gelten.
Davon geht auch Dr. Christian Deckenbrock vom Kölner Institut für Anwaltsrecht aus; mit Ausnahme womöglich von myright, die Ansprüche aus dem Dieselskandal gegen VW geltend machen. Beim Vorgehen gegen nur einen Schuldner könnte aus seiner Sicht die Umgehung anwaltlichen Berufsrecht noch mehr im Vordergrund stehen. Im übrigen arbeiten viele Legal Techs wie auch flightright.de strukturell ähnlich wie Lexfox und das Angebot von wenigermiete.de ist recht weitreichend. In seiner Gesamtwürdigung hat der BGH schließlich auch den von dem Portal angebotenen Mietpreisrechner ebenso für zulässig erklärt wie die Rüge, die gemäß § 556g Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch einen Rückzahlungsanspruch aus der sogenannten Mietpreisbremse erst möglich macht, und das Feststellungsbegehren bezüglich der höchstzulässigen Miete. All das diene der Verwirklichung dieser Forderungen und sei deshalb insgesamt (noch) als Inkassodienstleistung anzusehen, so der Senat.
Deckenbrock verspricht sich aus den noch nicht vorliegenden Urteilsgründen noch mehr Informationen für ein anderes Modell: Vertragsgeneratoren, anhand derer Verbraucher mit einem Frage-Antwort-Modell auf softwarebasierter Grundlage Verträge erstellen können. Vor kurzem hat das Landgericht Köln dem Verlag Wolters Kluwer Deutschland, zu dem auch LTO gehört, verboten, die Software Smartlaw ohne Anwaltszulassung anzubieten.
Berufsrechtler Deckenbrock hält die Smartlaw-Entscheidung übrigens für falsch. Er hofft, dass der BGH in den Entscheidungsgründen noch Ausführungen dazu machen wird, ob er den Mietpreisrechner von wenigermiete.de auch isoliert als Rechtsdienstleistung betrachtet hätte: "Das könnte ein Fingerzeig dafür sein, dass auch ein Vertragsgenerator schon gar keine Rechtsdienstleistung im Sinne des RDG ist", so Deckenbrock gegenüber LTO.
Darum billigt der BGH wenigermiete.de: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38935 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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