Anwälte, die ihre beA-Software nicht aktualisieren, können sich nicht auf eine technische Unmöglichkeit berufen, wenn deshalb der Schriftsatz zu spät bei Gericht eingeht. Eine Wiedereinsetzung lehnt der BGH in solchen Fällen ab.
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzt im elektronischen Rechtsverkehr weiter auf gehobene Sorgfalt sowie auf ein Mindestmaß an technischen Fertigkeiten bei Anwältinnen und Anwälten im Umgang mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA).
In einer am Montag veröffentlichten Entscheidung stellte der BGH klar, dass bei der verspäteten Einreichung von Schriftsätzen auf anderen Wegen als per beA dann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Unmöglichkeit der beA-Nutzung "auf Gründen beruht, die in der Person des Beteiligten liegen" (Beschl. v. 17.01.2024, Az. XII ZB 88/23).
Wer z.B. mit der Installation des beA nicht klarkommt, dreimal die falsche PIN eingibt oder die Übermittlung deshalb nicht klappt, weil ein wichtiges Software-Update versäumt wurde, hat Pech gehabt – und muss u.U. gegenüber seinem Mandanten haften. Eine Ersatzeinreichung, etwa per Fax, ist dann jedenfalls nicht statthaft. Diese ist nur dann nach § 130d Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zulässig, wenn eine elektronische Übermittlung tatsächlich aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist und dies auch glaubhaft gemacht wurde. "Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur stellen keinen vorübergehenden technischen Grund", betonte der BGH.
"Abgelaufener Fehlbedienungszähler"
Im konkreten Fall war eine Rechtsanwältin, die sich in einer Familiensache selbst vertrat, beim Versuch der elektronischen Einreichung einer fristgebundenen Beschwerdebegründung im Mai 2022 auf ziemlich chaotische Weise gescheitert. Nachdem eine beA-Versendung des Schriftsatzes nicht geklappt hatte, rechtfertigte sie gegenüber dem Gericht den verspätet eingereichten Schriftsatz mit einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit, das beA zu nutzen. So sei bei ihr der "Fehlbedienungszähler" des beA abgelaufen gewesen. Dieser reagiert dann, wenn die PIN für die beA-Karte drei Mal falsch eingegeben wurde.
Um ihr beA zu nutzen, ließ die Anwältin zumindest aus ihrer Sicht nichts unversucht. Zunächst wandte sie sich an die für das beA zuständige Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer (BNotK). Per Mail vom 24. Mai 2022 sei ihr von dieser bestätigt worden, dass der Fehlbedienungszähler abgelaufen sei. Um diesen sodann zurückzusetzen, sei vergeblich versucht worden, das "Secure Framework" zu starten, weil dies gemeldet habe, dass es "ein Update will was aber auch nicht geht". Die Zertifizierungsstelle schickte der Anwältin einen Tag darauf eine weitere Installationsanleitung sowie ergänzend Erläuterungen, wie der Fehlbedienungszähler zurückzusetzen sei: Außerdem bekam die Frau den Hinweis: "Sollten Sie Ihre PIN dreimal falsch eingegeben haben, wird die PIN-Eingabe gesperrt. Um die PIN-Eingabe wieder freizuschalten, wird die PUK aus dem PIN-Brief benötigt."
Mit einer Sachbearbeiterin bei der BNotK buchte die verzweifelte Anwältin außerdem noch am selben Tag einen Termin mit einem IT-Fachmann der Zertifizierungsstelle. In dem für sie eingestellten zweistündigen Slot habe sich aber niemand bei ihr gemeldet. Auf Anraten der Zertifizierungsstelle habe sie der BNotK daraufhin einen Sperrauftrag mit der Begründung "falscher Zugangscode" erteilt und (kostenpflichtig) eine neue beA-Karte beantragt, deren Erstellung und Zusendung aber ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könnten. Erst mit Schriftsatz vom 4. Juli 2022 vermeldete die Anwältin grünes Licht: Die "vorübergehende technische Störung" sei behoben und das beA wieder vollumfänglich funktionstüchtig.
BGH: Technische Panne unwahrscheinlich
Mit dieser Version vermochte die Anwältin den 12. Zivilsenat des BGH indes ebenso wenig wie zuvor den Familiensenat des Rheinland-Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken zu überzeugen. Die fünf Richterinnen und Richter lehnten ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründung: Eine vorübergehende technische Störung im Sinne von § 130d ZPO sei nicht "glaubhaft" gemacht geworden. Diese könne zwar grundsätzlich bei einer Störung des beA oder des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) sowie bei einem temporären Ausfall der Netzwerkkarte vorliegen. Im Falle der Anwältin sei aber eine solche technische Panne nicht überwiegend wahrscheinlich. Die von ihr geltend gemachte Unmöglichkeit liege wohl eher "auf in der Person der Antragstellerin beruhenden Gründen".
In seinen Ausführungen unterstellt der BGH der Anwältin gewissermaßen, bei der Installation des beA geschludert oder es nicht up-to-date gehalten zu haben: "Professionelle Einreicher werden durch § 130 d ZPO nicht von der Notwendigkeit entbunden, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten. Dazu gehöre nur eine entsprechende (Hardware), sondern auch die für den Betrieb des Endgeräts und die Einreichung elektronischer Dokumente jeweils erforderliche Software in der jeweils aktuellen Version."
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Ob sie die so verstandenen technischen Einrichtungen vorgehalten habe, dazu habe sich die Anwältin nicht geäußert, bemängelte das Gericht weiter. "Sie ist auch nicht darauf eingegangen, ob sie – wie von der Zertifizierungsstelle vorgeschlagen - überhaupt versucht hat, mittels der ihr übersandten PUK die PIN-Eingabe zu entsperren, um anschließend entsprechend der Anleitung der Zertifizierungsstelle den Fehlbedienungszähler zurückzusetzen, ggf. auch unter Aktualisierung der Betriebssoftware des Endgeräts und der Betriebssoftware für die Einreichung von elektronischen Dokumenten."
Da insoweit als Ursache für die Fristversäumung nicht ausgeschlossen werden können, dass die Rechtsanwältin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten habe, könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, so der BGH.
In einem Punkt darf sich die Anwältin dennoch glücklich schätzen: Weil sie das beA-Chaos in einem persönliichen Verfahren ereilte, muss sie immerhin keinem Mandanten gegenüber haften.
BGH zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53968 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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