Eine von Rechtsextremen bedrohte Anwältin wirft den deutschen Anwaltsvereinigungen unzureichende Unterstützung vor. Derweil befindet sich eine völkerrechtliche Konvention des Europarats zum Schutz des Berufsstands auf den letzten Metern.
Den Zuhörenden einer unter anderem von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ausgerichteten Konferenz im 14. Sock des Hochhauses der Uni Hannover stockte am vergangenen Freitag der Atem, als die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz die rechtsterroristischen Bedrohungen schilderte, denen sie aufgrund ihrer Berufsausübung seit Jahren ausgesetzt ist. Im Münchener NSU-Prozess hatte sie als Nebenklageanwältin Angehörige der Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU vertreten. Nach Ende des Prozesses vor dem Oberlandesgericht München wurde sie 2018 die erste Adressatin der "NSU 2.0"-Drohschreiben.
Basay-Yildiz bekam Morddrohungen, musste deshalb mit ihrer Familie umziehen und erhielt Polizeischutz. Nachbarn sorgten sich um die Sicherheit ihrer Kinder, wenn diese mit der kleinen Tochter der Anwältin spielen wollten. Bis heute ist unklar, wie die Adressdaten der Anwältin aus einem hessischen Polizeicomputer in die Finger der Rechtsextremen gelangten, um die Bedrohungsspirale in Gang zu setzen.
Diffamiert, nicht zuletzt aufgrund einer Kampagne der Boulevardpresse, wurde Başay-Yildiz schließlich auch noch, weil sie 2018 die anwaltliche Vertretung des mutmaßlich islamistischen Gefährders und angeblich früheren Leibwächters von Osama bin Laden, Sami A., übernommen hatte und diesen vor einer Abschiebung nach Tunesien zu bewahren versuchte.
"Wo waren die Anwaltsvereinigungen?"
Auf der von BRAK und dem Institut für Prozess- und Anwaltsrecht ausgerichteten Tagung zur "Resilienz der Anwaltschaft – angesichts erstarkender antidemokratischer Kräfte" kritisierte Yildiz jedenfalls bezogen auf ihren Fall die Untätigkeit der deutschen Anwaltsvereinigungen massiv. "Wo waren sie denn?", fragte die Anwältin gleich mehrfach in ihrer Rede in die Runde, darunter auch der Präsidenten der BRAK, Ulrich Wessels.
Der hatte zuvor noch in seinem Grußwort betont, dass die Anwaltsverbände zusammenhalten müssten, wenn Anwälte wegen ihrer Berufsausübung bedroht und ihr Tun als Unrecht dargestellt würden. Wessels kritisierte zudem die Hetze gegen Anwälte durch manche Medien und bezog sich dabei auch auf die jüngsten Anfeindungen gegenüber einer Dresdner Anwältin durch sogenannte Identitäre. In dem Fall hatte eine Asylrechtlerin den mutmaßlichen Solingen-Attentäter Issa Al H. anwaltlich vertreten. Nachdem das von Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt geleitete Medium Nius den Namen der Anwältin veröffentlicht hatte, fand vor ihrer Kanzlei nicht nur eine rechtsextreme Kundgebung statt. Vielmehr erhielt sie wie Basay-Yildiz auch zahlreiche Drohbriefe. Um den Kanzleibetrieb sicherzustellen zu können, bedurfte es ebenfalls polizeilicher Schutzmaßnahmen.
Kritik an Kammer: "Kontaktaufnahme erst spät"
Obwohl BRAK und DAV nach derartigen Vorkommnissen immer wieder öffentlich ihre Solidarität mit den betroffenen Berufsträgern betonten, geht Başay-Yildiz mit Ihnen hart ins Gericht. Im Anschluss an ihre Rede in Hannover erläuterte sie gegenüber LTO: "Es reicht nicht, eine Presseerklärung abzugeben. Die Kontaktaufnahme mit mir selbst war relativ spät. Das hätte alles früher passieren müssen. Ich erwarte, dass man sofort Kontakt mit Kollegen aufnimmt und fragt, wie man helfen und unterstützen kann."
Die zuständigen Ministerien und Behörden müssten von der Kammer angeschrieben werden und dabei unmissverständlich klar machen, dass sie hinter Betroffenen stehen. "Es hat sehr viel Gewicht, wenn die Vereinigung den Schutz von Anwälten proaktiv und öffentlich einfordert", so Başay-Yildiz.
Von den Anwaltsvereinigungen erwartet die Anwältin insgesamt mehr Courage gegen Rechts. So dürften diese auch den Konflikt mit der AfD und ihren Vertretern in der Anwaltschaft nicht scheuen. "Wir alle sind in diesen Zeiten mehr denn je gefragt, Haltung zu zeigen, und auch die Vereinigungen müssen ihren Beitrag dazu leisten."
BRAK: "Pressemitteilung nur kleiner Teil unserer Arbeit"
Die Pressesprecherin der BRAK Stephanie Beyrich stellte unterdessen klar, dass die Pressemitteilungen der BRAK in solchen Fällen nicht mit dem Ziel erfolgten, in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Sie seien nur ein kleiner Teil dessen, was seitens der BRAK veranlasst werde. "Öffentliche Erklärungen dienen in erster Linie der Sichtbarmachung von Problemen. Wenn die Presse eines unserer Themen aufgreift, freuen wir uns. Diese Erklärungen sind aber kein Selbstzweck, sondern nur ein nach außen sichtbarer kleiner Teil unserer Arbeit." Bevor man sich zu Einzelfällen äußere, stimme man dies "in aller Regel" engmaschig mit Betroffenen ab, "um sicherzustellen, dass zusätzliche mediale Aufmerksamkeit überhaupt gewünscht und nicht etwa kontraproduktiv ist".
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) verwies gegenüber LTO auf einen "dauerhaften Lernprozess", in dem man sich befinde. Ein zunehmend lauter gewordenen Extremismus bringe neue Herausforderungen mit sich. Generell sei für den DAV aber eine klare Kante gegen Rechts selbstverständlich. Und: "Wenn Anwältinnen und Anwälte wegen ihrer beruflichen Tätigkeit bedroht werden, ist das eine rote Linie."
Es habe, so räumte der DAV ein, allerdings schon Kolleg:innen gegeben, die ihre Anwaltszulassung zurückgegeben haben, weil sie sich bedroht fühlten. "Daher halten wir in unregelmäßigen Abständen Rücksprache mit Kolleg:innen aus den Bereichen Migrationsrecht und Strafrecht, die zumindest medial am ehesten zur Zielscheibe von Kritik werden, ob es eine systematische Zunahme von Bedrohungen oder gar Übergriffen gibt. Mit Frau Basay-Yildiz standen wir immer wieder in Kontakt – wenn sie das als zu spät oder zu wenig empfunden hat, bedauern wir dies natürlich sehr."
Europaratsübereinkommen auf der Zielgeraden
Unterdessen ist der Schutz der Anwaltschaft vor Behinderungen und Bedrohungen in den letzten Monaten auch international zunehmend in den Fokus gerückt. Hier gibt es nun Neues zu vermelden: So verkündete die Leiterin des Referats Berufsrecht im Bundesministerium der Justiz (BMJ), Susanne Münch, am Freitag in Hannover, dass sich eine Konvention des Europarats zum Schutz des Anwaltsberufs auf der "Zielgeraden" befinde. Es sei damit zu rechnen, dass der Text der Konvention in Kürze formell durch das Ministerkomitee finalisiert und dann den Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werde.
Inhaltlich geht es unter anderem um Vorgaben zum Schutz anwaltlicher Berufsorganisationen, Anforderungen an das Zulassungsverfahren, Standards anwaltlicher Berufsrechte (etwa Zugang zum Mandanten, Verschwiegenheitsrecht) oder auch Maßgaben für Disziplinarverfahren gegen Anwälte. Auch wenn in Deutschland diese Vorgaben im Wesentlichen längst existieren, kann laut Berufsrechtlerin Münch aus der Konvention - einem verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag - künftig eine aktive Schutzpflicht des Staates zugunsten bedrohter Anwälte hergeleitet werden. Im Fall der Fälle ließe sich der Staat also mit Verweis auf die Konvention zum Handeln zwingen.
"Anstrengendes" Berufsrecht
Was wiederum die Bedrohung und Infiltration einer demokratisch organisierten Anwaltschaft durch rechtsextreme Kollegen anbelangt, so gibt es hier nicht viel Neues zu vermelden.
Auf der BRAK-Konferenz gab Kira Ayyadi von der Amadeu Antonio Stiftung zwar einen eindrucksvollen Überblick über einschlägige "Netzwerke rechtsextremer Anwält:innen". Zugleich betonten aber auch mehrere Rednerinnen und Redner, dass das berufsrechtliche Regelwerk aus gutem Grund auch Rechtsextremen nur in besonders schwerwiegenden Fällen (beispielsweise bei strafrechtlichen Verurteilungen) den Zugang zum Anwaltsberuf verwehre bzw. ihnen die Anwaltszulassung widerrufe. "Unser Berufsrecht ist nicht politisch und es gibt zum Glück auch keine Gesinnungsprüfung", betonte BRAK-Geschäftsführerin Tanja Nitschke.
Wie schwer allerdings das Leitbild einer Freien Advokatur manchmal Dritten zu vermitteln ist, wusste auf der BRAK-Konferenz der Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamm, Hans Ulrich Otto, zu berichten: Es sei sehr anstrengend gewesen, einer jüdischen Organisation etwa zu erklären, warum seine Kammer das "freundliche Gesicht des NS", den ehemaligen AfD- und jetzt fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, seinerzeit zur Anwaltschaft zugelassen hatte.
Auf seiner Website setzt sich Helferich derzeit für eine "Rückführungsoffensive" von Migranten ein. Nach einer WDR-Recherche hatte er sich in einem Chat unter anderem als "freundliches Gesicht des ns (Nationalsozialismus)" und "demokratischer Freisler" bezeichnet.
Bedrohte Anwältin kritisiert Anwaltsverbände: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55839 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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