Früher ging es bei der Vergütung von Rechtsberatung um Pauschal- oder Stundensätze, Gesetz oder Vereinbarung. Nun setzt neue Konkurrenz aufs Erfolgshonorar. Die Anwälte müssen sich, rasch umstellen, meint Volker Römermann.
Neue Anbieter erscheinen schon seit einigen Jahren auf dem Rechtsberatungsmarkt. Der ist traditionell beherrscht von Anwälten und Notaren, in Teilbereichen – zuweilen legal, sonst unter Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) – halten andere Anbieter nennenswerte Anteile, Unternehmensberater etwa, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Banken. Inkassounternehmen gibt es auch, früher fast ausschließlich im "technisierten" Forderungseinzug aktiv und ohne juristische Ambitionen.
Dieses Bild ändert sich momentan radikal. Unternehmen, oft mit Inkassolizenz, offerieren eine Kombination aus Prozessfinanzierung und erfolgsbezogener Vergütung, und das auch auf Rechtsgebieten, die herkömmlich als schwierig und daher den Anwälten vorbehalten angesehen wurden. Financialright war und ist einer der großen Vorreiter mit Flightright und MyRight. MyRight nimmt Abtretungen von Ansprüchen entgegen und fordert sie sodann ein, auf eigene Kosten, auf eigenes Risiko. Diese Leistung vergütet der Kunde mit einem Prozentsatz vom erstrittenen Betrag.
Neue Konkurrenten: Dürfen die das?
Sind derartige Modelle überhaupt zulässig? Das ist heftig umstritten. Eine nähere Betrachtung der Rahmenbedingungen aus RDG und dem Berufsrecht der Rechtsanwälte zeigt meines Erachtens: ja.
Das Gesetz enthält kein Verbot, dann muss nach Artikel 12 des Grundgesetzes, der Berufsfreiheit, auch ein neues, bis dato unbekanntes Modell erlaubt sein. Derzeit entscheiden die Landgerichte noch unterschiedlich, eine ober- und höchstgerichtliche Klärung durch den Bundesgerichtshof steht bevor.
Wer vorurteilsfrei, nüchtern und ohne die Brille eines starren Kastensystems auf die Rechtslage blickt, wird auch dort eine freiheitsfreundliche, offene Betrachtung prognostizieren.
Der Rechtsmarkt zwischen Elysium und Realität
Was folgt daraus für den Rechtsberatungsmarkt? Rechtsanwälte und ihre Organisationen betrachten die Lage oft aus der Perspektive des eigenen Berufes. Man sieht, zumindest wähnt man sich an der qualitativen Spitze und, getragen von enigmatischen Begrifflichkeiten wie dem "Organ der Rechtspflege", dem Wettbewerb ein Stück weit entrückt. Ein Elysium, der Gartenzaun drumherum heißt "Rechtsdienstleistungsgesetz".
Die harte Wahrheit ist aber, dass es auch eine andere Sichtweise gibt: die aus den Augen der (potenziellen) Mandanten, in Juristenkreisen oft "rechtsuchendes Publikum" genannt. Das sind die, die jene bukolischen Landschaften finanzieren. Ihr Geld ist knapp und die Liebe zu Rechtsanwälten nicht angeboren, sondern der Notwendigkeit guten Rechtsrats in einem verrechtlichten Zeitalter geschuldet. Dafür ist man durchaus bereit, etwas zu zahlen. Aber nicht im luftleeren Raum und der abstrakten "rechtlichen Klärung" halber, sondern zielgerichtet. Großer Erfolg zieht hohe Vergütungen nach sich, sagt diese Logik; bei Misserfolg ist die Zahlungsbereitschaft niedrig.
Deutschen Rechtsanwälten ist es im Grundsatz verboten, Erfolgshonorare zu vereinbaren. Die - vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 12. 12. 2006, Az. 1 BvR 2576/04) erzwungene - sehr eng begrenzte Ausnahmenorm des § 4a Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) spielt in der Praxis wegen ihrer kaum einzuhaltenden Anforderungen keine nennenswerte Rolle.
Viele andere Länder kennen kein Verbot des Erfolgshonorars oder haben frühere Verbote im Laufe der Zeit abgeschafft, so etwa zu Beginn der 1990-er Jahre England. Auch in Deutschland war – das ist inzwischen vollständig in Vergessenheit geraten – über lange Zeit eine erfolgsbezogene Vergütung erlaubt, geregelt in § 52 Abs. 2 der früheren Standesrichtlinien, und vor allem in der Nachkriegszeit hatte das durchaus nennenswerte praktische Relevanz. Erst im Zuge der BRAO-Reform von 1994 wurde mit § 49b Abs. 2 BRAO ein striktes Verbot eingeführt. Begründet wird dieses Verbot insbesondere mit dem Schutz der Gewissenhaftigkeit anwaltlicher Tätigkeit.
Charakterlose Anwälte?
Dem Verbot liegt demnach ein Berufsbild zugrunde, wonach Anwälte, wenn es nur mehr Geld einbringt, ihre Pflichten rasch vernachlässigen. Das ist empirisch nicht erwiesen. Im Übrigen gibt es ohnehin kein gebührenrechtliches Rezept gegen Ganoven. Wer das Recht zu brechen entschlossen ist, wird sich davon auch vom Verbot des Erfolgshonorars nicht abhalten lassen.
Wenn der Gedanke der Steuerung anwaltlichen Handelns zuträfe, wäre es um die Interessen der Mandanten auch schlecht bestellt: Der Gesetzgeber hat schließlich mit der früheren Vergleichs- und heutigen Einigungsgebühr einen Anreiz geschaffen, damit Anwälte sich für vergleichsweise Beilegungen von Rechtsstreitigkeiten einsetzen. Böse Zungen könnten daraus ableiten, dass seit Jahrzehnten Vergleiche geschlossen werden, die Mandanteninteressen – bei Forderungsangelegenheiten doch ausgerichtet auf vollständige Durchsetzung – auf dem vom Gesetzgeber errichteten Altar der Ersparnis kostbarer Richterstunden opfern, damit Anwälte selbst mehr verdienen. Erstaunlicherweise wird aber gegen das Erfolgs-Einigungshonorar nichts vorgebracht, sondern nur das Erfolgs-Durchsetzungshonorar unter Hinweis auf angebliche anwaltliche Charaktermängel wütend bekämpft.
Die Argumente für und gegen eine Liberalisierung der Preisregeln im anwaltlichen Berufsrecht sind seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert. Der Gesetzgeber ruht, die Anwaltsorganisationen kämpfen für Tariferhöhungen, gelegentlich mit Erfolg – ohne dass seit 1878 jemals eine Angleichung an den Anstieg der Lebenshaltungskosten hätte erwirkt werden können -, möchten das lieb gewonnene System aber nicht missen. Wer in einer Festung des gesetzlichen Gebührensystems sitzt, bemerkt vielleicht zu spät, wie sich die Welt vor den Mauern entwickelt.
Für das rechtsuchende Publikum (das Publikum, das mir in langjähriger Berufstätigkeit begegnete, suchte zwar eigentlich nie "das Recht", sondern vielmehr eine kraftvolle anwaltliche Interessenvertretung, aber der Begriff hat sich wie so viele, obwohl eigentlich falsch, eingebürgert und so lassen wir es als traditionsverliebte Anwaltschaft auch hier einfach mal dabei) ist ein Angebot, das ihm jegliches Risiko von den Schultern nimmt, zugleich aber den überwiegenden Teil des erstrittenen Betrages belässt, vielleicht sogar – so einige der neuen Modelle – eine Sofortauszahlung anbietet, hoch attraktiv. Die Anwaltschaft hat dem nur Unsicherheiten, lang andauernde Prozesse und die Aussicht auf Kosten entgegenzusetzen. In diesem Dilemma sind viele internationale Großkanzleien – etwa bei M&A-Deals – längst dazu übergegangen, auch in Deutschland contra legem Erfolgsvergütungen zu vereinbaren, zuweilen offen als Gentlemen´s agreement gekennzeichnet, zum anderen Teil mit dem Anstrich ernsthafter Verpflichtung. Mandanten sind offenbar bereit, zu bezahlen, von Streitigkeiten hört man nur selten.
Berufsrechtliche Verbote abbauen
Die Legal-Tech-Szene wird den Verbraucher-Rechtsmarkt zu weiten Teilen übernehmen, wenn das anwaltliche Berufsrecht nicht endlich nachvollzieht, was in der Praxis großer Kanzleien und der neuen Anbieter auf dem Beratungssektor längst Alltag ist.
Damit träte ein, was Legal-Tech-Gegner fürchten. Einige setzen sich deshalb für stärkere Reglementierung des Legal Tech ein, ohne aber schlagkräftige Argumente des Gemeinwohls vorweisen zu können. Derartige Rückzugsgefechte werden einer kritischen Betrachtung im Lichte des Verfassungsrechts nicht standhalten können, dürfen sich doch auch Nichtanwälte auf die Freiheiten des Artikel 12 GG berufen. Nicht durch hilfloses Rufen nach gesetzlichen Hürden wird die Anwaltschaft zu retten sein, sondern durch die Stärkung ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit.
Dazu gehört nach dem Abbau der Werberestriktionen nun auch die Liberalisierung der Preisvorschriften. Auch die Werbung war bei Inkrafttreten der Berufsordnung im Jahre 1997 noch engen Grenzen unterworfen. Auch dort wurde mit dem Risiko argumentiert, eine Erweiterung von Werbemöglichkeiten würde die Sitten verderben und den Ruf des Anwaltsberufes, der Justiz gar in toto, beschädigen. Noch unter der Ägide einer mutigen Verfassungsrichterin, Renate Jaeger, wurde dagegen die Berufsfreiheit der Anwaltschaft gestellt, die Restriktionen wurden weitestgehend beseitigt – nur noch gelegentlich versteigt sich der BGH zu Versuchen, schlechten Geschmack als unsachliche Werbung zu untersagen.
Und heute, da im Wesentlichen die allgemeinen Vorschriften des Gesetzes gegen den Unlauteren Wettbewerb anstelle spezifischer Verbote Platz gegriffen haben, ist zu konstatieren: Die Rechtspflege lebt! Die Unkenrufe sind verstimmt, lang postulierte Gefahren sind nie zur Realität geworden, ein vernünftiger Umgang der Anwälte mit ihren neuen Freiheiten herrscht und hat zur Information des rechtsuchenden Publikums, zu einer größeren Transparenz erquickend beigetragen. Über Jahre, oft Jahrzehnte gewachsene Verbote, deren Sinn vielleicht noch nie bestand oder zumindest entfallen ist, gehören nüchtern hinterfragt und, wenn sich ein Gemeinwohlbelang nicht erhärten lässt, konsequent abgeschafft. Das gilt für Werbung, für Gesellschaftsformen, auch für den Preis. Das Verbot des Erfolgshonorars muss fallen!
Der Autor Prof. Dr. Volker Römermann ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Hamburg/Hannover, und unterrichtet als Honorarprofessor und Direktor des Instituts für Anwaltsrecht unter anderem Anwaltliches Berufsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Transparenzhinweis: Er hat im Auftrag von Financialright ein Gutachten zur Frage der Zulässigkeit des Geschäftsmodells der Online-Plattform Myright erstellt.
Anwaltliche Erfolgshonorare: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34343 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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