Auf dem diesjährigen DAT geht es sowohl um fremde als auch ein wenig um eigene Fehler. Die Teilnehmer und Verbände aus Anwalt- und Richterschaft reiben sich aneinander und stellen gemeinsame Forderungen. Auch Jörg Kachelmann war vor Ort.
In Mannheim geht es gerade noch um nichts weniger als um das Vertrauen in den Rechtsstaat. Doch auf dem 69. Deutschen Anwaltstag (DAT), der sich über drei Tage der Fehlerkultur in der Rechtspflege widmet, musste sich der ausrichtende Deutsche Anwaltverein (DAV) zunächst einmal zu eigenen Fehlern bekennen. So etwa, für eine Podiumsdiskussion zu Fehlern im Strafprozess mit Ex-Wettermoderator Jörg Kachelmann ausgerechnet einen der kleinsten Tagungsräume vorzusehen. Viele Anwälte wollten den von den Fernsehanstalten trotz Freispruch bekanntlich kalt gestellten Meteorologen, dem Justiz und Medien – und sicher auch Alice Schwarzer - vor einigen Jahren in einem Vergewaltigungsprozess ausgerechnet in Mannheim hart zugesetzt hatten, wieder einmal live sehen.
Kurzerhand korrigierte die DAT-Orga ihren Raum-Fehler, wechselte die Örtlichkeit und so musste kein Teilnehmer das verpassen, was er insgeheim wohl vom Wetter-Vorherseher erhofft hatte: Ein Hagelsturm mit Starkregen, der auf Justiz und Medien hernieder prasselte. Insbesondere die Staatsanwaltschaft (StA) Mannheim bekam ihr Fett ab: Kachelmann schilderte sein 132-tägiges U-Haft -"Martyrium", die "Lügen" der Ermittlungsbehörde im Laufe des Verfahrens und in seiner Schelte durfte auch die Presse nicht fehlen: Einige Medien hätten sich in "stetiger Bereitschaft zur Lüge" befunden. Die StA Mannheim sei insofern "nicht allein", teilte Kachelmann aus.
Kachelmann lässt es (nicht nur) hageln
Mit Wertschätzung würdigte Kachelmann allerdings seinen ebenfalls anwesenden Verteidiger, den Hamburger Anwalt Johann Schwenn. Dieser habe ihn "mit Feuer und Schwert" verteidigt – und das sei richtig so gewesen. Schwenn, als besonders streitbarer Verteidiger bekannt, hatte auf dem DAT zuvor eine Absage an einen "Kuschelkurs" von Strafverteidigern im Gerichtssaal erteilt. Konfrontation mit dem Gericht liege in der "Natur der Sache", schließlich habe das Gericht mit dem Eröffnungsbeschluss sich bereits zu Lasten des Mandanten festgelegt. Wer mit dieser Rolle gegenüber dem Gericht nicht klarkomme, solle sich als Anwalt lieber im Bereich Mediation engagieren.
Doch auf dem DAT ging es natürlich um mehr als um einen von der Strafjustiz enttäuschten Wetterexperten, der letztlich erst von einer Zivilkammer des OLG Frankfurt juristisch exkulpiert wurde. Die Anwälte sehen generell die Zeit dafür gekommen, das Thema Fehlerkultur offensiv anzugehen. "Wir Anwälte kennen uns mit Fehlern aus – aber meist mit denen anderer", so DAV-Präsident Ulrich Schellenberg. Er rief die eigene Zunft dazu auf, den Fokus auch einmal auf die eigenen Fehler zu richten: "Das ist ein unbequemes Thema, das uns zwingt, unsere Komfortzone zu verlassen", so der Rechtsanwalt.
DRB-Vorsitzender räumt Fehler ein
Ebenfalls ein wenig unwohl dürfte sich auf dem DAT zeitweise auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes (DRB), Jens Gnisa, gefühlt haben. Der musste sich vom DAV-Präsidenten Kritik für seine effektheischende Buchpräsentation gefallen lassen. Der Richter aus Bielefeld hatte im letzten Jahr sein Werk über den Zustand des Rechtsstaats mit den Worten betitelt: "Das Ende der Gerechtigkeit – ein Richter schlägt Alarm." Darin hatte Gnisa auch angemerkt, er selbst könne sich an kein Urteil von ihm erinnern, das er im Nachhinein als ungerecht empfinde. Auf der Fehler-Konferenz in Mannheim räumte Gnisa aber nun ein: "Diese missverständliche Äußerung würde ich heute so nicht mehr machen – sie war ein Fehler im Umgangston." Eigentlich sei es ihm nur um ein Plädoyer für mehr Vertrauen in die Justiz gegangen. Und auch darum, die Menschen mit ihren Emotionen abzuholen.
Einig waren sich alle Diskutanten, dass auch Äußerungen des BGH-Richters Ralf Eschelbach nicht geeignet waren, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken. Eschelbach hatte seinerzeit behauptet, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil sei. Eine These, die BGH-Präsidentin Bettina Limperg immer noch auf die Palme bringt: "Diese Zahl ist weder belegt noch belegbar", so Limperg verärgert.
Coram publico kritisierte die BGH-Richterin ihren BGH-Kollegen für eine "unverantwortliche" Äußerung. Und an den DRB-Vorsitzenden wandte sie sich mit der Empfehlung, dass es zwar richtig sei, Menschen bei ihren Emotionen abzuholen, aber man dürfe sie nicht bedienen, so Limperg. Und da man in Mannheim gerade so schön beim Benennen von Fehlern war, musste DAV-Präsident Schellenberg sogleich auch einen einräumen: "Ja, es war ein Fehler im Vorwort für das DAT-Programm die Zahl des Herrn Eschelbach unreflektiert zu übernehmen".
Strafrechtler: Hauptverhandlungen aufzeichnen
Bei allen gegenseitigen Fehlerzuweisungen und Eingeständnissen übten Anwaltverein und Richterbund am Ende aber doch den Schulterschluss. Beide Organisationen forderten das BMJV dazu auf, etwa im geplanten "Pakt für den Rechtsstaat" Mittel für die Justiz- und Fehlerforschung zur Verfügung zu stellen. Andere risikobehaftete Branchen, etwa die Luftfahrt, seien beim Thema Fehlermanagement wesentlich weiter. Bundesministerin Katarina Barley hatte den Anwälten zuvor in ihrem Grußwort auf dem Weg zu einer "echten Fehlerkultur" viel Erfolg gewünscht.
Nachholbedarf sehen die Anwälte aber nicht nur im Bereich der Forschung, sondern auch ganz konkret in der Strafprozessordnung: Um Fehler in Strafverfahren zu vermeiden, fordern sie die audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung. Dies könne einen Gewinn zur Wahrheitsfindung bedeuten, von Zeugen könne man sich im Nachhinein ein besseres Bild machen, bestätigte auch der Bundesanwalt Ralf Wehowsky.
Die Berliner Strafrechtlerin Margarete von Galen erläuterte, dass Deutschland bei diesem Thema Schlusslicht in Europa sei: "Nur noch in Belgien wird wie in Deutschland der Verlauf der Hauptverhandlung bislang nicht aufgenommen", so die Anwältin. Von Galen forderte im Gespräch mit LTO das BMJV dazu auf, noch in dieser Wahlperiode hier aktiv zu werden. Ihrer Kenntnis nach existiere im Ministerium bereits die entsprechende Bereitschaft.
Hasso Suliak, 69. Deutscher Anwaltstag: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29049 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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