Vor dem Privathaus einer sächsischen Politikerin demonstrierten Querdenker gegen die Coronapolitik. Doch sind derartige Proteste noch vom Versammlungsrecht gedeckt? Karoline Linzbach hat sich die Rechtslage angesehen.
Mit Fackeln, Trommeln und Plakaten fordern am Freitagabend etwa 30 Menschen lautstark das Ende der "Corona-Diktatur", teilweise sollen Vergleiche zum Auftreten der SA im Nationalsozialismus gezogen worden sein. Dies geschah nicht vor dem Landtag in Dresden, sondern vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Angemeldet hatten diese Personen ihre Zusammenkunft nicht. Die Polizei erstattete Anzeige wegen möglichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüft weitere gegen die aktuelle Corona-Notfallverordnung des Freistaates. Diese erlaubt nur stationäre Versammlungen mit bis zu zehn Teilnehmern.
Unter anderem Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat den Fackelaufmarsch scharf verurteilt und für eine wehrhafte Demokratie plädiert. "Wir müssen (...) alle Möglichkeiten des Rechtsstaates nutzen, um unsere Demokratie zu schützen". Doch sind nicht gerade auch Versammlungen selbst ein Stück des Ausdrucks unseres Demokratieverständnisses?
Wie friedlich muss es zugehen?
Eine Versammlung steht in der Tat unter dem Schutz des Grundgesetzes (GG), Art. 8 GG. Und zwar auch dann, wenn sie zwar – wie in diesem Fall gem. § 14 Abs. 1 Sächsisches Versammlungsgesetz - anmeldepflichtig gewesen wäre, die Veranstalter dieser Pflicht aber nicht nachgekommen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urt. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81). Selbst wenn man mit einer engen Definition als Versammlungen nur solche Zusammenkünfte ansieht, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, würde dies auf Demonstrationen gegen Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie fraglos zutreffen.
Art. 8 GG gibt dieses Recht allerdings nur unter der Prämisse, dass sich die Personen friedlich und ohne Waffen versammeln. Ob diese Attribute bei Fackeln und Trommeln vor einem Privathaus noch gewahrt werden, ist durchaus zweifelhaft, vor allem, wenn die Zusammenkunft zur Einschüchterung dienen soll. Zudem stellt sich die Frage, ob die Versammlungsfreiheit auch solche politischen Zusammenkünfte schützt, deren Teilnehmer gar keinen Kommunikationsbeitrag zur politischen Meinungsbildung leisten wollen, weil sie eine Diskussion ihrer Ansichten kategorisch ablehnen.
Nicht jede Drohung ist unfriedlich
Das BVerfG hat die Grenzen längst gezogen: Eine Versammlung verliert den Schutz des Art.8 GG bei kollektiver Unfriedlichkeit (BVerfG, Urt. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81). Der Begriff hat eine gemeinsame Schnittmenge mit der Tathandlung einer Nötigung gem. § 240 Strafgesetzbuch (StGB), ist mit dieser aber nicht gleichzusetzen (BVerfG, Urteil Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83 u.a.). Daher führt nicht jedes Verhalten, das den Tatbestand der Bedrohung bei Versammlungen (§ 241 Abs. 4 StGB) oder der Nötigung erfüllt, schon zwingend zur Unfriedlichkeit einer Versammlung im verfassungsrechtlichen Sinne.
Rein psychischer Druck etwa ist in der Regel nicht unfriedlich in diesem Sinne. Vorausgesetzt werden vielmehr Handlungen von einiger Gefährlichkeit, wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten (BVerfG, Urt. v. 11.11.1986, 1 BvR 713/83 u.a.). Diese Dimension lässt sich aus der Nähe des Unfriedens mit den in Art. 8 GG erwähnten Waffen nachvollziehen.
Dementsprechend ging die Rechtsprechung bisher davon aus, dass etwa die Corona-Proteste nicht allein dadurch "unfriedlich" i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG sind, weil von ihnen Infektionsgefahren ausgehen, die Dritte in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit betreffen können (BVerfG, Beschl. v. 21.11.2020, Az. 1 BvQ 135/20 und Bayerischer Verfassungsgerichtshof (BayVGH), Beschl. v. 20.07.2021, Az. 25 NE 21.1814).
Man muss nicht zuhören wollen
Die sog. Querdenker-Bewegung hat sich zwar im Laufe der Pandemie immer weiter radikalisiert, sodass Protest gegen Maßnahmen des Infektionsschutzes häufig verbunden wird mit der Absicht, den Staat, seine Einrichtungen und die freiheitliche demokratische Grundordnung verächtlich zu machen oder sonst zu delegitimieren.
Dennoch reichen die aus der generellen Beobachtung von Bewegungen gezogenen Erkenntnisse oder reine Vermutungen über die Gefährlichkeit der Versammlung allein als Tatsachengrundlage für ein Verbot einer konkreten Versammlung regelmäßig nicht aus (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81). Die Demonstranten müssen gar nicht bereit sein, die Meinungen anderer zu respektieren und sich auf einen Diskurs einlassen, um sich auf ihr Grundrecht zur Versammlung berufen zu können (BVerfG, Beschl. v. 24.03.2001, Az. 1 BvQ 13/01). Es genügt, dass die Personen ihren eigenen Standpunkt verdeutlichen wollen (BVerfG, Beschl. v. 10.12.2010, Az. 1 BvR 1402/06, BVerfG). Selbst eine verfassungsfeindliche Einstellung der Teilnehmer kann ohne die darüberhinausgehende Verletzung eines gesetzlichen Verbots im Einzelfall kein Versammlungsverbot rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2004, Az. 1 BvQ 19/04).
Demonstranten dürfen viel, aber nicht alles
Dürfen die Menschen sich also derartig vor dem Privathaus einer Politikerin positionieren? Und dies unter der Maßgabe, dass Aufrufe in Kurznachrichtendiensten kursieren, weitere Privatadressen von Volksvertretern zu posten, um derartiges auch an anderen Orten durchzuführen? Nein. Denn auch das Versammlungsrecht findet seine Grenze im Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, § 15 Abs. 1 VersammlG. Solche Gefahren können etwa Gewaltanwendungen, Fotoaufnahmen, Eindringen auf das Privatgrundstück, anhaltende Beleidigungen und konkrete Bedrohungen sein.
Auch Mindermeinungen sind erlaubt
Das Recht auf Versammlung ist wegen seiner demokratiekonstituierenden Bedeutung der Möglichkeit einer Äußerung von Mindermeinungen, gerade in zugespitzter und aufsehenerregender Form, hoch anzusetzen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1985, Az. 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81). Daher ist auch Kritik an Politiker:innen, die sich freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben, in Form und Inhalt weitergehender zulässig als bei (sonstigen) Amtsträger:innen.
Eine Person ist umso weniger schutzwürdig, desto exponierter ihre Position in der Öffentlichkeit ist. Die geäußerte Kritik hingegen verliert an Schutzwürdigkeit, je weiter sie sich von den den öffentlichen Meinungskampf berührenden Fragen wegbewegt. Ein gezielter Angriff auf die betreffende Person darf nicht in den Vordergrund treten und erst recht darf es nicht nur um eine emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen gehen (in Bezug auf Äußerungsdelikte bei der sog. Machtkritik: BVerfG, Beschl. v. 19.05.2020, Az. 1 BvR 2397/19).
Provokative oder sonst wie aggressive Vorgehensweisen, die bei Politiker:innen und Bürger:innen einen Einschüchterungseffekt sowie ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugen, können eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen (BVerfG, Beschl. v. 23.06.2004, Az. 1 BvQ 19/04). Denn die freie Ausübung von Ämtern und Mandaten und damit in letzter Konsequenz sogar die Funktionsfähigkeit des demokratischen Systems wird gefährdet, wenn Verantwortungsträger:innen damit rechnen müssen, dass eine "nicht genehme" Entscheidung eine bedrohliche Versammlung vor ihrem privaten Wohnbereich zur Folge hat.
Aufzüge wie der vor Petra Köppings Wohnhaus signalisieren den politisch Verantwortlichen, dass man sie auch privat unter Beobachtung habe und sie dort stellen werde, nach dem Motto: "Ich weiß, wo Du wohnst!". Die Fackeln erinnern - wenn nicht zwingend an die SA/SS (so zumindest bei einer klar rechtsextremistischen Versammlung das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen, Urt. v. 04.06.2009, Az. 3 B 59/06) - im konkreten Zusammenhang wenigstens an den nicht umsonst sprichwörtlichen "wütenden Mob", der mit Fackeln und Mistgabeln loszieht, um das "Recht" selber in die Hand zu nehmen.
Das Versammlungsrecht dient zwar gerade der Artikulation von (Minder)meinungen jenseits von Wahlen und Abstimmungen, aber findet seine Grenze jedenfalls in der selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener Forderungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, Az. 1 BvR 1190/90, 2173/93, 433/96). Der Staat könnte bei akuter Bedrohung einer Person durch eine Versammlung sogar zum Einschreiten verpflichtet sein – zum Schutz der Betroffenen vor Einschüchterung und zum Schutz des demokratischen Rechtsstaates vor einer solchen Form des "Protests".
Mit Material von dpa
Die Autorin Karoline Maria Linzbach ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht am Lehrstuhl Prof. Dr. Gärditz an der Universität Bonn.
Proteste vor Privathäusern von Politikern: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46864 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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