Experten sind sich einig: Facebook & Co. sind "wahre Fundgruben" für "allgemeine Ermittlungs- und Fahndungszwecke". Auch nach der Tat von Oslo werden Rufe nach Internetdurchsuchungen lauter. Aber dürfen Behörden einfach auf Informationen der sozialen Netzwerke zugreifen? Wolfgang Bär bejaht dies - ohne Spezialgesetz, aber nach den Vorgaben des BVerfG.
Soziale Netzwerke wie Facebook, MySpace, Twitter oder StudiVZ mit ihren Millionen von Nutzern sind als moderne Kommunikationsmittel aus der digitalen Welt kaum mehr wegzudenken. Nach eigenen Angaben hat Facebook weltweit über 700 Millionen Nutzer, allein in Deutschland sind es knapp 20 Millionen. All diese Nutzer veröffentlichen in oft recht freigiebiger Art eine Unmenge von persönlichen Informationen, die – je nach persönlichem Gusto des Nutzers – allen oder nur einem geschlossenen Kreis von Personen zugänglich sind.
Der Reiz dieser Informationspools für die Sicherheitsbehörden liegt auf der Hand: Hier könnten zahlreiche Informationen schlummern, die für Zwecke der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung bzw. auch für die Nachrichtendienste von Interesse sind. Dies vor allem, wenn Nutzer irgendwann den Überblick verlieren, was sie wann und wo gepostet haben. Nach Einschätzung von Axel Henrichs und Jörg Wilhelm von der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz sind die Daten von "hohem taktischen Nutzen".
Die Anfrage der "Linken" und die Antwort der Bundesregierung
Diese Erkenntnis hat inzwischen auch die Berliner Politikbühne erreicht. So wandte sich vor kurzem die Fraktion "Die Linke" mit einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung. Die Opposition wollte vor allem wissen, ob überhaupt, in welchem Umfang und auf welcher Rechtsgrundlage soziale Netzwerke für Ermittlungsmaßnahmen von den Sicherheitsbehörden verwendet werden.
Die Antwort der Bundesregierung stellt zunächst klar, dass von den Sicherheitsbehörden bisher keine systematischen, anlassunabhängigen Recherchen in sozialen Netzwerken durchgeführt worden seien. Nur bei konkreten Anlässen hätten Ermittlungen stattgefunden und zwar sowohl zu Zwecken der präventiven Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung.
Die Bundesregierung hält im Übrigen das Handeln der Ermittler in sozialen Netzwerken grundsätzlich für rechtmäßig und verweist auf die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung gezogen hat (Urt. v. 27. 02. 2008, Az. 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07).
Offenes oder geschlossenes Netzwerk: Die Umstände entscheiden
In Anlehnung an das BVerfG kommt es bei Ermittlungen in sozialen Netzwerken nämlich dann nicht zu einem Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Nutzer, wenn die staatlichen Ermittlungsbehörden nur auf offen zugängliche Quellen zurückgreifen. Es werden schließlich nur personenbezogene Daten erhoben, die jedem anderen Dritten ebenfalls zugänglich sind.
Das Gleiche gilt für die Beteiligung an einem offenen Chat, beim Abonnement einer Mailingliste sowie bei anonymer und pseudonymer Kommunikation, wenn von Seiten des jeweiligen Anbieters keine vorausgegangene Identitäts-Prüfung erfolgt. Eine solche findet bei Facebook & Co. nicht statt, vielmehr stehen die Netzwerke jedem offen. Jeder Nutzer kann sich unter einem Pseudonym anmelden, die wahre Identität sowie die Wahrhaftigkeit der Angaben wird nicht überprüft. Hieraus folgt, dass eigentlich jeder Nutzer damit rechnen muss, dass sein Kommunikationspartner unter Umständen ein Ermittlungsbeamter ist, der unter einer so genannten Legende agiert.
Für die rechtliche Einordnung dieses Vorgehens sind jeweils die äußeren Umstände des Kommunikationsangebots maßgeblich. Im Hinblick auf die bekannten sozialen Netzwerke bedeutet dies: Solange keine Identitätsüberprüfung erfolgt und die Plattform jedem zugänglich ist, brauchen die Ermittler keine spezielle Ermächtigungsgrundlage. Für ein Handeln der Sicherheitsbehörden genügt in diesen Fällen bereits die Eröffnung des polizeilichen Aufgabenbereichs der Gefahrenabwehr oder im Strafverfahren der Rückgriff auf die Ermittlungsgeneralklauseln der Strafprozessordnung (StPO).
Schutzwürdiges Vertrauen bedarf spezieller Ermächtigung
Sobald allerdings der jeweilige User des Netzwerks ein schutzwürdiges Vertrauen in die Identität seines Kommunikationspartners hat, verschiebt sich das staatliche Handeln von der reinen Internetaufklärung ohne Grundrechtseingriff hin zu einem Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht erlaubt dem Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Ein Eingriff in dieses Recht von staatlicher Seite ist daher nur mit einer speziellen gesetzlichen Grundlage zulässig.
Für unseren Fall bedeutet das: Die Grenze zum Eingriff in ein Grundrecht bei Ermittlungen in sozialen Netzwerken ist dort überschritten, wo gezielt personenbezogene Daten zusammengetragen werden, um diese auszuwerten oder mit sonstigen Daten abzugleichen. Dies erkennt nicht nur das BVerfG in der Entscheidung zur Online-Durchsuchung, sondern auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage der Opposition.
Erst recht gilt das, wenn sich staatliche Stellen unter einer fremden Legende an einer Kommunikation in einer geschlossenen Benutzergruppe beteiligen oder gar ohne Zustimmung des Nutzers dessen Zugangsschlüssel verwenden. Auf diese Weise wird schließlich der Zugang zu nicht frei verfügbaren Informationen geschaffen. Ein solcher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedarf einer speziellen Ermächtigungsgrundlage.
Bestehende Gesetze gelten nur bei Anfangsverdacht
Je nach Sachlage und Ermittlungszweck werden dazu in der Strafverfolgung die Normen der StPO zur Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a ff. StPO) und dem Einsatz verdeckter Ermittler (§§ 110a ff. StPO) herangezogen. Die Ermächtigungsgrundlage zur präventiven Gefahrenabwehr findet sich demgegenüber in §§ 20l, 20g BKAG bzw. den entsprechenden Regelungen in den Polizeigesetzen der Länder.
Auf diese speziellen Befugnisnormen kann aber jeweils nur für bestimmte Straftaten und zur konkreten Aufgabenerfüllung zurückgegriffen werden. Insbesondere gelten diese Vorschriften nur, wenn bereits ein Anfangsverdacht gegen eine Person besteht.
Zwar berechtigen die einschlägigen Vorschriften verdeckte Ermittler auch zu einem rein virtuellen Vorgehen, auch unter einer auf Dauer angelegten fremden Legende. Dabei darf der Ermittler allerdings weder selbst noch unter seinem alter ego rechtswidrig handeln, etwa keine milieubedingten Straftaten begehen.
Die Bundesregierung betont in ihrer Antwort auch, dass bei den Ermittlungen kein automatisierter Abgleich mit Fahndungsdatenbanken vorgenommen bzw. auch keine spezielle Software für die Onlineermittlungen eingesetzt wird. Schlussendlich muss bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen eine Benachrichtigung betroffener Personen erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme zulässig ist.
Auch wenn im Ergebnis sowohl für offene als auch verdeckte Ermittlungen in sozialen Netzwerken keine speziellen gesetzlichen Grundlagen bestehen, ist doch durch die dargestellte Rechtsprechung des BVerfG ein zumindest verfassungsgerichtlicher Rahmen vorgegeben. Innerhalb dieser Grenzen ist es den Sicherheitsbehörden erlaubt, im konkreten Einzelfall zu agieren. Gleichzeitig werden damit aber auch die Grenzen zulässiger staatlicher Handlungen aufgezeigt. Soweit bei einzelnen Maßnahmen Abgrenzungsschwierigkeiten in Detailfragen bestehen muss eine Klärung durch die Rechtsprechung zu erfolgen – mehr gesetzliche Regelungen braucht man daher nicht unbedingt.
Der Autor Dr. Wolfgang Bär ist Richter am Oberlandesgericht Bamberg.
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Verdeckte Ermittler in sozialen Netzwerken: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3884 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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