Sachverständige und Abgeordnete diskutierten im Rechtsausschuss über eine mögliche Neuregelung des assistierten Suizids. Josua Zimmermann hat die Debatte verfolgt und befürchtet eine erneut verfassungswidrige Regelung.
Seit das Bundesverfassungsgericht (BVerG) die im Jahr 2015 geschaffene Norm zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB a.F.) für verfassungswidrig erklärt hat (Urt. v. 26.02.2020), ringt der Gesetzgeber um eine Nachfolgeregelung. Am vergangenen Montag hat sich der Rechtsausschuss in einer öffentlichen Anhörung mit einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe befasst. Gegenständlich waren insbesondere die drei aktuell im Bundestag diskutierten Gesetzesentwürfe.
Vor weit überdurchschnittlich gefüllten Zuschauerrängen wurde besonders der Entwurf der interfraktionellen Gruppe Abgeordneter um den Sozialdemokraten Lars Castellucci (SPD) diskutiert. Während einige Sachverständige proklamierten, dass nur dieser aufgrund seiner strengen Verfahrensvoraussetzungen dem Autonomieschutz genüge, stellten die juristischen Sachverständigen in Frage, ob der Entwurf sich (noch) innerhalb des vom BVerfG aufgestellten gesetzgeberischen Handlungsrahmen bewege. Auch bezüglich seiner dogmatischen Stimmigkeit und hinreichenden Bestimmtheit wurden Zweifel laut.
Spannungsfeld Freiheitsrechte und staatliche Schutzpflichten
Denn die vom BVerfG aufgestellten Hürden für eine gesetzliche Regelung der Materie sind hoch, sie muss sich an dem von den Karlsruher Richterinnen und Richtern aus dem Selbstbestimmungsrecht abgeleiteten "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" messen lassen. Dieses Recht umfasst nicht nur die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, sondern beinhaltet nach den Urteilsgründen der Bundesverfassungsrichter:innen ausdrücklich auch die Möglichkeit, hierfür die Unterstützung Dritter in Anspruch zu nehmen. Ein ausnahmsloses Verbot der Suizidhilfe wäre somit verfassungsrechtlich unzulässig.
Der § 217 StGB a.F. konnte diesen Anforderungen nicht genügen, da er die Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Suizidassistenz so stark einschränkte, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum für die Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verblieb.
Demgegenüber obliegen dem Gesetzgeber aber auch besondere Schutzpflichten für die Autonomie und das Leben sterbegewillter Personen. Insbesondere die Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit einer Suizidentscheidung, die typischerweise von Ambivalenz und Volatilität geprägt ist, müsse durch geeignete gesetzliche Regelungen sichergestellt werden, forderte das BVerfG.
Wiederbelebung des § 217 mit wenigen Änderungen
Politisch spricht manches dafür, dass sich der Entwurf von Castellucci et al. gegenüber seinen beiden Konkurrenten behauptet und die erforderliche Mehrheit zu gewinnt. Er wagt nicht zu viel Neues, sondern greift auf Altbekanntes zurück: Er ist ähnlich konzipiert wie die Regelung, die sich 2015 durchgesetzt hat. Außerdem konnte er bereits die größte Gruppe Abgeordneter hinter sich vereinen und wird von Teilen der Bundesregierung unterstützt.
Anders als die beiden anderen Gesetzesentwürfe strebt er eine Neuregelung der Suizidhilfe im Strafrecht an. Im Wesentlichen soll auf den als verfassungswidrig erklärten § 217 Strafgesetzbuch (StGB) a.F. zurückgegriffen werden. Danach gilt grundsätzlich: Wer geschäftsmäßig die Selbsttötung eines anderen fördert, wird bestraft. Möglich ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Um den Anforderungen des BVerfG gerecht zu werden, sieht der Entwurf einen neuen Abs. 2 vor, nach dem die Rechtswidrigkeit entfällt, sofern die Suizidassistenz unter Einhaltung der dort statuierten prozeduralen Voraussetzungen erfolgt.
Erstens muss die suizidwillige Person volljährig und einsichtsfähig sein. Zweitens bedarf es zweier vorhergehender psychiatrischer Untersuchungen durch eine:n nicht an der Selbsttötung beteiligte:n Facharzt oder Fachärztin mit einem zeitlichen Abstand von mindestens drei Monaten. So soll die Freiverantwortlichkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbeverlangens sichergestellt werden. In begründeten Ausnahmefällen (z.B. bei begrenzter Lebenserwartung) kann von der zweiten Untersuchung abgesehen werden. Drittens ist ein zusätzliches Beratungsgespräch mit einem weiteren Arzt bzw. einer weiteren Ärztin oder einer Beratungsstelle vorgeschrieben, in dem die suizidwillige Person über ihre Lage und bestehende Handlungsalternativen aufgeklärt wird. Viertens muss die Selbsttötung in einem Zeitraum von mindestens zwei, aber maximal acht Wochen nach der letzten psychiatrischen Untersuchung erfolgen. Eine Erkrankung mit infauster Prognose muss gerade nicht vorliegen.
Strafausschluss für Angehörige und Nahestehende
Ein Abs. 3 – der dem § 217 Abs. 2 StGB a.F. entspricht – enthält eine persönliche Strafausschließungsregel für Angehörige und Nahestehende der zur Selbsttötung entschlossenen Person.
Ergänzt wird der Entwurf schließlich durch einen neu geschaffenen § 217a StGB, der die "Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung" unter Strafe stellt. Zudem soll das Betäubungsmittelgesetz (BTMG) geändert werden, um die ärztliche Verschreibung von Mitteln wie bspw. Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der Beendigung menschlichen Lebens zu ermöglichen.
Letzteres ist notwendig, da nach dem BTMG in seiner jetzigen Form – wie unlängst vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster klargestellt (Urt. v. 02.02.2022, Az. 9 A 148/21) - eine Erlaubnis zu versagen ist, wenn das begehrte Mittel nicht zur medizinischen Versorgung, sondern für eine Selbsttötung verwendet werden soll.
Genügt der Entwurf den Vorgaben aus Karlsruhe?
Aber würde eine solche Regelung einer sterbewilligen Person im Sinne ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben tatsächlich noch ausreichend Möglichkeiten einräumen, Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen? Bereits aktuell werden rechtliche Unsicherheiten von Ärztinnen und Ärzten als einer der Hauptgründe angegeben, keine Suizidhilfe leisten zu wollen. Diese Ängste würden reichlich Nährboden finden, sollte sich der Castellucci-Entwurf tatsächlich durchsetzen.
Daran ändert auch das vorgesehene tatbestandseinschränkende Kriterium der "Geschäftsmäßigkeit" nichts, denn diese liegt nach vorherrschender Auslegung bereits bei einer Wiederholungsabsicht vor – die bei sämtlichen im Bereich der Sterbehilfe und Palliativmedizin beruflich tätigen Personen regelmäßig erfüllt wäre.
Ferner trägt auch die Strafausschließungsregel des Abs. 3 zu Unsicherheiten bei. Es bleibt völlig offen, wer von dem Merkmal des "Nahestehenden" erfasst ist. Es handelt sich dabei weder um einen feststehenden Rechtsbegriff, noch ist er nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eindeutig. Da Normadressaten so nicht erkennen können, ob ihr Verhalten strafbar oder straflos ist, kann bezweifelt werden, ob die Norm mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) vereinbar ist.
Signal: Abschreckung statt Akzeptanz
Der Castellucci-Entwurf wird daher nicht dazu führen, dass rechtliche Risiken abgebaut und dem Bedürfnis von Sterbehelferinnen und -helfern nach Rechtssicherheit entsprochen wird. Vielmehr birgt er das Risiko, dass die Angebote an Suizidassistenz drastisch sinken werden – womöglich auf ein so niedriges Niveau, dass faktisch kein Raum mehr zur Wahrnehmung dieser Freiheit bestünde.
Vor allem aber würde die grundlegende normative Aussage des BVerfG-Urteils ad absurdum geführt werden. Diese lautete nicht etwa "grundsätzlich ist Suizidhilfe verboten, aber kann bei der Einhaltung gewisser Bedingungen gerechtfertigt bzw. jedenfalls straffrei sein". Vielmehr hieß es aus Karlsruhe in ungewohnter Deutlichkeit: Die Inanspruchnahme von Suizidhilfe ist eine verfassungsrechtlich geschützte Freiheit und jedwede Einschränkung unterliegt strikten Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Lediglich besonders gefährlichen Erscheinungsformen darf mit dem Strafrecht begegnet werden.
Der Entwurf sieht indes in jeglicher, auf Wiederholung angelegter Suizidhilfe ein straftatbestandliches Verhalten. Durch ein grundsätzliches strafrechtliches Verbot werden mithin Regel und Ausnahme verkehrt und die Wertung des BVerfG ignoriert.
Der Castellucci-Entwurf ist aus diesen Gründen nur schwerlich mit dem Verständnis des BVerfG von einem Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Einklang zu bringen. Es bleibt daher abzuwarten, ob die mahnenden Stimmen der Fachleute bei den Abgeordneten Gehör finden werden, oder ob sich das BVerfG womöglich bald ein weiteres Mal mit einem § 217 StGB auseinandersetzen muss.
Der Autor Josua Zimmermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Dr. Jochen Rozek an der Universität Leipzig und promoviert bei Professor Dr. Henning Rosenau (Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht) an der Universität Halle.
Diskussion im Rechtsausschuss: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50331 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag