Es zeichnete sich schon ab und scheint doch undenkbar: Die USA stehen vor der Pleite. Den Griechen musste die Union schon beispringen und auch andere EU-Staaten wanken. Wieso Staaten überhaupt pleite gehen können, weshalb Ratingagenturen nur halb so schlecht sind wie ihr Ruf und warum die Griechen sich auf den Hilfen nicht ausruhen können, erklärt Joachim Wieland.
Wenn der Kongress sich nicht darauf einigt, bis zum 2. August 2011 die gesetzlich festgelegte Verschuldungsgrenze von 14,3 Billionen Dollar anzuheben, sind die Vereinigten Staaten von Amerika zahlungsunfähig. Den Griechen und mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU droht die Staatspleite, wenn sie ihre Staatsanleihen wegen ihrer hohen Verschuldung nicht mehr am Markt platzieren können. Rechtlich gesehen ist eine Zahlungsunfähigkeit zwar möglich, kann aber durch entschlossenes Handeln verhindert werden. Wirtschaftlich gesehen gibt es keine andere Möglichkeit, als alle denkbaren Schritte zu ergreifen, um die Pleite zu verhindern.
Die Staaten können sich gegenüber den Finanzmärkten nicht auf ihre Souveränität berufen, sondern werden wie andere Marktteilnehmer behandelt. Damit gelten auch die Gesetze des Marktes: Verliert er das Vertrauen, dass Staatskredite zurückgezahlt werden, stellt er kein Geld mehr zur Verfügung.
Die Einschätzung der Märkte manifestiert sich in den Bewertungen der viel gescholtenen Ratingagenturen. Diese sind als Prognosen fehleranfällig, aber grundsätzlich ein sinnvolles Mittel, die Kreditwürdigkeit von Staaten transparent zu machen. Die Ratings senden Warnsignale bei einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit von Schuldnern und erlauben so Gegenmaßnahmen.
Übernehmen die Staaten nicht rechtzeitig überzeugende Anstrengungen zur Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit, sind sie wie andere Schuldner auch nicht mehr zahlungsfähig. Sie müssen Umschuldungsverhandlungen führen, die regelmäßig mit harten Auflagen für die Haushaltspolitik verbunden sind. Zudem erschweren sie den künftigen Zugang zu den Kapitalmärkten oder können ihn sogar verhindern.
Gegenmaßnahmen: Wetten regulieren, politische Opfer bringen
Ziel jedes Staates muss es also sein, seine Kreditwürdigkeit zu erhalten. Das setzt vor allem finanzwirtschaftliche Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung voraus, kann aber auch durch rechtliche Maßnahmen begleitet werden.
So sollten zum Beispiel Wetten auf die Zahlungsunfähigkeit einzelner Staaten mit Hilfe von eigentlich sinnvollen Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps – CDS) reguliert werden. Solche Wetten verschärfen Finanzkrisen zumindest, so dass ihr Verbot Spekulationsgeschäfte erschwert.
Entscheidend sind aber andere kurz- und mittelfristige Maßnahmen. Kurzfristig können die USA die Märkte relativ einfach dadurch beruhigen, dass sie erst ihr gesetzliches Schuldenlimit erhöhen. Die Amerikaner sollten dann diese Form der Schuldenbremse abschaffen, die sich als unwirksam zur Eindämmung der Verschuldung erwiesen hat.
Entscheidend für eine Sanierung des Haushalts sind dann Einnahmeverbesserungen durch Steuererhöhungen. Auch wenn das Demokraten und Republikanern politische Opfer abverlangt, haben sie kaum eine andere Wahl, als im Interesse des Landes Steuervergünstigungen und Ausgabensenkungen abzuschaffen. Beide Parteien werden aber ihre Wahlchancen schmälern, wenn sie die notwendigen Gesetze weiter verhindern und so die Kreditwürdigkeit des Landes untergraben.
Die Transferunion: Näheverhältnis und Schicksalsgemeinschaft
Auch die Europäer können rechtliche Mittel einsetzen, um die Zahlungsunfähigkeit von Mitgliedstaaten zu verhindern. Dazu müssen sie präventiv vor allem ihren eigenen Stabilitätspakt ernst nehmen, um übermäßige Defizite zu vermeiden und die Haushaltsdisziplin zu wahren. Vor allem aber muss die Union den Pakt auch tatsächlich gegenüber Haushaltssündern durchsetzen. Deutschland darf nicht noch einmal wie 2003 aus kurzfristigen Eigeninteressen die Regeln aufweichen.
Ist das Kind aber in den Brunnen gefallen und droht ein Land in eine Haushaltsnotlage zu geraten, muss schnell und entschieden gehandelt werden. Die Möglichkeit, in einer Notlage finanziellen Beistand zu gewähren (Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV), liefert die Rechtsgrundlage für die erforderliche Hilfe, an der gerade auch ein wirtschaftsstarkes Exportland wie Deutschland ein großes Interesse hat.
Mit der Einführung des Euro ist eine Transferunion geschaffen worden. Der gern zitierte Haftungsausschluss des Art. 125 AEUV steht dem nicht entgegen. Dass weder die Union noch ein Mitgliedstaat für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats haften, hat mit freiwilligen Hilfeleistungen nichts zu tun. Die Vorschrift normiert nur, dass dazu keine Verpflichtung besteht, verbietet aber freiwillige Hilfen nicht. Die Währungsunion hat insoweit ein Näheverhältnis und eine Schicksalsgemeinschaft in Währungsfragen zwischen den Euroländern geschaffen.
Ausruhen ist nicht: der hohe Preis der Solidarität
Es ist keine Frage von Überzeugung, dass die Politik sich schnell und ausdrücklich zur Solidarität im Euroraum bekennen muss. Die Finanzmärkte gehen dann vielmehr angesichts der großen Wirtschaftskraft dieser Staatengemeinschaft von der Kreditwürdigkeit aller Mitgliedstaaten aus. Das zeigt das Beispiel Deutschland: Weil der Bund nach der Verfassungsrechtsprechung am Ende für die Schulden von Ländern in einer extremen Haushaltslage aufkommen muss, bleibt die Kreditwürdigkeit aller Länder erhalten. Auch Notlagenländer zahlen also niedrige Zinsen.
Es steht auch kaum zu befürchten, dass hoch verschuldete Länder in Deutschland oder auch Staaten der Eurogruppe sich auf der Solidarität der nächsten Instanz ausruhen könnten. Der Preis, den sie für die Unterstützung in der Schicksalsgemeinschaft zahlen müssen, ist hoch: Die Mitglieder verlieren in erheblichem Umfang ihre Haushaltsautonomie. Zwar werden sie nicht formell einem Insolvenzverwalter unterstellt, müssen aber materiell Fremdbestimmung in Haushaltsfragen erdulden.
Vor allem die deutsche Politik muss sich klar und entschieden zu Verantwortung für die Stabilisierung des Euro bekennen, auch wenn das kurzfristig viel Geld kostet. Ein Scheitern des Euro hätte gerade für Deutschland viel schlimmere Folgen. Märkte für deutsche Exporte würden zusammenbrechen, deutsche Banken müssten mit viel Geld gestützt werden und im schlimmsten Fall gingen Sparguthaben und andere Anlagen durch einen Bank Run gefährdet, weil die Anleger den Banken nicht mehr vertrauten und ihnen ihr Kapital entzögen. Nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die Wähler werden deshalb verantwortungsvolles Handeln der Politik honorieren.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.
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Joachim Wieland, Staaten vor der Pleite: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3894 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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