Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat am 10. November den Referentenentwurf der 8. GWB-Novelle veröffentlicht. Wie erwartet sieht er keine grundlegend neue Konzeption vor. Einige wichtige Änderungen von Fusionskontrolle bis Missbrauchsaufsicht werden aber die praktische Handhabung erleichtern, meinen Marc Besen und Dimitri Slobodenjuk.
Mit dem Entwurf will das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die wettbewerblichen Rahmenbedingungen modernisieren und optimieren, um so das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) effizienter durchzusetzen.
Einen weitgehenden Gleichlauf mit der europäischen Fusionskontrolle will die Novelle erreichen und dazu die bestehenden Unterschiede zwischen den deutschen und europäischen Regelungen weiter verringern. An den auf nationaler und europäischer Ebene teilweise divergierenden Missbrauchsvorschriften hält das BMWi dagegen im Grundsatz fest.
Der Entwurf bessert an vielen Stellen nach. Vor allem aber will das Ministerium die Schwelle der Einzelmarktbeherrschungsvermutung erhöhen und insbesondere im Rahmen der Missbrauchsaufsicht bei kartellrechtswidrigem Verhalten Entflechtungsmaßnahmen einführen.
Die Novelle sieht ferner Ergänzungen bei der privaten Kartellrechtsdurchsetzung beziehungsweise dem Kartellverfahrensrecht vor. Einsicht in "Kronzeugenakten" soll es nicht geben.
Die neue Fusionskontrolle: SIEC-Test und 40 Prozent als Vermutungswert
Nach geltendem deutschen Recht muss das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss untersagen, wenn zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt und diese nicht durch überwiegende Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen ausgeglichen wird (so genannter Marktbeherrschungstest).
Die europäische Fusionskontrolle stellt hingegen mit dem so genannten SIEC-Test auf eine mögliche erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs ab. In Rahmen von deren Prüfung ist der Marktbeherrschungstest nur ein Beispiel.
Das GWB soll nun nach dem Willen des BMWi um den SIEC-Test ergänzt werden. Der Marktbeherrschungstest soll dabei als wichtigstes Anwendungsbeispiel für eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs erhalten bleiben. Ergänzend hebt der Entwurf die Einzelmarktbeherrschungsvermutung an: Sie soll nun nicht mehr schon bei einem Drittel, sondern erst beim "europäischen Maß" von 40 Prozent greifen.
Die Einführung des SIEC-Tests dürfte, so sinnvoll sie sein mag, für den Anfang allerdings mit einiger Rechtsunsicherheit verbunden sein, da es an einer entsprechenden Entscheidungspraxis in Deutschland fehlt. Die Entscheidungsgrundsätze der Europäischen Kommission bieten zwar eine gewisse Orientierungshilfe, sind jedoch auf deutscher Ebene nicht verbindlich.
Verstoß gegen Vollzugsverbote: Schwebend unwirksam und nachträglich heilbar
Unter der geltenden GWB-Fassung ist streitig, ob Verstöße gegen das Vollzugsverbot zu einer schwebenden oder endgültigen Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte führen. Diesen Streit will der Entwurf zugunsten einer schwebenden Unwirksamkeit lösen, die durch eine Verfügung des Bundeskartellamts nach erfolgter "Nachmeldung" des Zusammenschlusses geheilt werden kann.
Mit der Novelle will das BMWi außerdem öffentliche Übernahmen erleichtern. Zusammenschlüsse sollen aufgrund der mitunter sehr kurzen Fristen zukünftig unter engen Voraussetzungen schon vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt vollziehbar sein. Auch damit gleicht der Entwurf das deutsche dem europäischen Recht an..
Schließlich will die Novelle faktisch die Schwellenwerte erhöhen, ab denen ein Zusammenschluss im Pressebereich der formellen Fusionskontrolle unterfällt. Erreicht wird das dadurch, dass der Entwurf den Multiplikationsfaktor für die Berechnung der fusionskontrollrechtlich relevanten Umsätze von 20 auf 8 senkt.
Damoklesschwert Missbrauchsaufsicht
Eine wichtige Änderung stellt im Rahmen der Missbrauchsaufsicht die Einführung von Entflechtungsmaßnahmen im Falle von kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen dar.
Damit hat sich das Ministerium gegen von einem Kartellrechtsverstoß unabhängige Entflechtungsmaßnahmen entschieden, die Gegenstand heftiger rechtspolitischer Diskussionen waren.
Die Anknüpfung an ein kartellrechtswidriges Verhalten dürfte zwar bei den betroffenen Unternehmen für etwas mehr Rechtssicherheit sorgen. Andererseits aber ist sie eine ständige Bedrohung, da solche Entflechtungsmaßnahmen in der Regel mit schwerwiegenden Eingriffen in die Unternehmensstruktur verbunden sind.
Keine Einsicht in die Kronzeugen-Akte
Durch die 8. GWB-Novelle soll auch das Kartellordnungswidrigkeiten- und Bußgeldrecht effektiver werden. Dabei bleibt das Kronzeugenprogramm aus Sicht des BMWi ein wichtiges Instrument.
Die Diskussion um die Frage, ob es rechtspolitisch opportun erscheint, Akteneinsicht in Kronzeugen- oder Bonusanträge samt der übermittelten Beweismittel zu gewähren, will das Ministerium beenden. Ein solches Akteneinsichtsrecht wird es nach dem Entwurf nicht geben.
Anderenfalls bestünde aus Sicht des BMWi die Gefahr, dass der Anreiz zur Kooperation von vornherein stark reduziert und damit die Aufdeckungswahrscheinlichkeit von Kartellen deutlich gesenkt würde. Einen Widerspruch zu dem kürzlich ergangenen Pfleiderer-Urteil des Gerichthofs (Urteil vom 14. Juni 2011, Az. C-360/09) sieht das BMWi insoweit nicht. Mit Blick auf das im EU-Recht geltende Effektivitätsprinzip ist diese Sichtweise nur konsequent. Auch der Gerichtshof hat die Entscheidung über die Akteneinsicht explizit dem nationalen Gesetzgeber überlassen.
Viele Schadensersatzklagen wurden überhaupt erst durch einen Kronzeugenantrag möglich. Daher wäre es letztlich auch im Interesse der Geschädigten, wenn Kartellanten weiterhin nicht von einer Selbstbelastung abgehalten würden. Umfassende Akteneinsichtsrechte und hieraus möglicherweise resultierende Schadensersatzansprüche aber würden dazu beitragen, die Ängste möglicher Kronzeugen zu schüren. Die heftig diskutierte Frage, ob die Bußgeldregelung des § 81 GWB nicht zuletzt mangels Bestimmtheit nicht verfassungskonform ist, hat das BMWi hingegen nicht aufgegriffen.
Die 8. GWB-Novelle soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Bis dahin ist mit weiteren Korrekturen des Entwurfs zu rechnen.
Der Autor Marc Besen ist Partner, Dimitri Slobodenjuk ist Associate in der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance in Düsseldorf. Die Verfasser beraten zu allen Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts.
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Marc Besen und Dimitri Slobodenjuk, LL.M., Referentenentwurf der 8. GWB-Novelle: . In: Legal Tribune Online, , https://www.lto.de/persistent/a_id/4833 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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