Die Negativschlagzeilen rund um das amerikanische Überwachungsprogramm PRISM und seine europäischen Entsprechungen wollen kein Ende nehmen. Andrew Hammel beleuchtet, wie es zu der beispiellosen Bespitzelung kommen konnte, wie viel gerichtlicher Kontrolle sie unterliegt, und ob Deutschland wirklich so weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt ist, wie wir gern glauben wollen.
Wer die Nachrichten der vergangenen Wochen liest, kann sich in einem Agentenfilm wähnen: Edward Snowden enthüllt den wohl größten Spionageskandal des digitalen Zeitalters und flieht sodann über mehrere Kontinente vor dem Zorn der Regierung, deren Missetaten er entlarvt hat. Der derzeitige Aufenthalt des umstrittenen Whistleblowers ist unbekannt, zuletzt hieß es, er wolle sich in Ecuador niederlassen. Sollten die amerikanischen Behörden ihn fassen, so droht ihm gemäß der am 14. Juni eingereichten Anklageschrift eine lebenslange Haftstrafe.
Snowden wirft dem amerikanischen Geheimdienst, der NSA, vor, Metadaten von Telefonaten in den USA gesammelt und Einrichtungen bei großen Internetprovidern wie Google oder Yahoo installiert zu haben, die direkten Zugriff auf die Daten der Benutzer ermöglichten. US-Präsident Barack Obama bestreitet dies nicht, sondern besteht darauf, dass die Überwachungsmaßnahmen gesetzlich legitimiert und einer wirksamen juristischen und parlamentarischen Kontrolle unterworfen seien.
Die Rechtsgeschichte amerikanischer Überwachung
Hintergrund der Debatte über die Zulässigkeit dieser Programme ist der 4. Zusatzartikel (Amendment) der US-amerikanischen Verfassung. Das 4. Amendment sieht vor, dass die Wohnungen und Papiere eines US-Bürgers nur dann durchsucht werden dürfen, wenn der Staat einen soliden Anfangsverdacht (probable cause) begründen kann, und Ort und Ziel der Durchsuchung detailliert im Voraus beschrieben werden.
In einer Grundsatzentscheidung von 1968, Katz v. United States, hat der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) den Schutzbereich des 4. Amendments erheblich erweitert, indem er entschied, dass es weder auf das gewählte Kommunikationsmittel noch auf den Ort der Kommunikation ankomme, sondern lediglich darauf, ob der Bürger in einer bestimmtem Lage eine begründete Erwartung auf die Wahrung seiner Privatsphäre (reasonable expectation of privacy) haben dürfe.
Trotz dieser Entscheidung folgte in den frühen 70-er Jahren eine Reihe von Skandalen, in denen die amerikanischen Ermittlungsbehörden und Nachrichtendienste die neuen technischen Möglichkeiten ausgenutzt hatten, um Bürgerrechtler, politische Aktivisten und Gegner der Nixon-Regierung illegal auszuspionieren. Um die Behörden unter Kontrolle zu bringen, verabschiedete der US-Kongress 1978 den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA). Der FISA schuf zugleich ein neues Gericht, den Foreign Intelligence Surveillance Court.
FISA und das geheime Gericht
Zur Zeit hat dieses Gericht elf Mitglieder, die hauptberuflich als Bundesrichter (Federal District Judges) tätig sind. Gemäß dem Gesetz von 1978 darf es nur solche Überwachungsmaßnahmen autorisieren, die gegen fremde Mächte (foreign powers) oder US-Bürger gerichtet sind, die für diese foreign powers arbeiten.
Das Gericht tagt und berät im Geheimen und die Anhörungen erfolgen ex parte – nur Vertreter des Staates sind anwesend. Auch die getroffenen Beschlüsse beziehungsweise Entscheidungen bleiben geheim. Es ist einer losen parlamentarischen Kontrolle unterworfen: Abgeordnete des US-Kongresses bekommen regelmäßig Auskunft über die Verfahren. Auch muss das Gericht eine grobe öffentliche Übersicht über seine Aktivitäten veröffentlichen.
Das FISA-Gericht, in den Medien oftmals als "Geheimgericht" bezeichnet, steht noch immer im Mittelpunkt der juristischen Architektur der Spionage. Theoretisch müssen alle Überwachungsmaßnahmen, die US-Bürger betreffen könnten, von diesem Gericht genehmigt werden. Die Befugnisse des Gerichts wurden jedoch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kontinuierlich und drastisch erweitert. So musste vormals jedes einzelne Überwachungsvorhaben separat geprüft werden – nun aber darf das Gericht flächendeckende Aktionen durchwinken, wonach zum Beispiel sämtliche Daten von einer Telekommunikationsfirma gespeichert werden.
Bewilligungsquote: 99,97 Prozent
Die einmal gesammelten Daten können von der NSA und ähnlichen Behörden nach verdächtigen Stichworten durchsucht werden. Edward Snowden hat jüngst offenbart, dass der Geheimdienst Richtlinien entwickelt hat (womöglich auf Veranlassung des FISA-Gerichts), die Eingriffe in die Privatsphäre von US-Bürgern minimieren sollten.
Sobald ein Agent erkennt, dass die Daten von einem US-Bürger stammen und nichts Relevantes beinhalten, soll er die betreffenden Daten löschen. Ob diese Richtlinie auch umgesetzt wird, ist jedoch unbekannt, was den Spott über die angeblich "strenge Kontrolle" der NSA-Aktivitäten beflügelt.
Noch sehr viel bedenklicher erscheint indes die Tatsache, dass das FISA-Gericht seit seiner Gründung im Jahre 1979 stolze 99,97 Prozent der über 30.000 gestellten Überwachungsgesuche bewilligt hat. Entweder also stellen die amerikanischen Behörden nahezu ausschließlich wohlüberlegte und maßvoll abgewogene Anträge, oder aber das Gericht geht bei seiner Entscheidungsfindung ausgesprochen überwachungsfreundlich zu Werke.
Spionage in den USA und Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9004 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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