Ob Filme, Serien oder Bundesliga: Wer bisher den Inhalt seines Bezahlabos im Ausland streamen wollte, bekam auf seinem Bildschirm zumeist die Absage: "Dieser Inhalt ist in Ihrem Land nicht verfügbar". Am 1. April ändert sich die Rechtslage.
Abo-Kunden von Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime Video oder Sky Go können ihrem Urlaub im europäischen Ausland noch freudiger entgegensehen. Grund dafür ist das Inkrafttreten der EU-Portabilitätsverordnung zum 1.April. Die Regelung, die in Deutschland unmittelbar gilt, ermöglicht es, dass Abonnenten fortan auch im europäischen Ausland nicht auf ihr Programm verzichten müssen.
Durch die Verordnung werden die Anbieter verpflichtet, ihren Abonnenten bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat den uneingeschränkten Zugriff auf den im Wohnsitzland abonnierten Dienst zu ermöglichen. Wer also die Spiele seines Lieblingsvereins auf dem Tablet entspannt im Liegestuhl am Strand gucken möchte, hat dazu nun die Gelegenheit. Und das auch ohne Abo-Mehrkosten: Denn die Verordnung stellt ausdrücklich klar, dass Anbieter dafür keine Zusatzentgelte erheben dürfen.
Bisher war das Problem, dass Anbieter Inhalte nicht im Ausland zeigen durften, weil ihnen dafür die Rechte fehlten. "Produktionen werden nämlich immer nur für ein Land verkauft", sagt der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD). Durch sogenanntes Geoblocking verhinderten Anbieter deshalb bislang den Zugriff. So konnten Abo-Kunden von Videodiensten ihre zu Hause bezahlten Inhalte im Urlaub oder während eines Auslandaufenthalts in vielen Fällen nicht nutzen.
Nur für "vorübergehende" Auslandsaufenthalte
Auch die neue Verordnung schafft das Geoblocking nicht ab, schränkt es aber ein. Urheberrechtsexperte Dr. Philipp Roos von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erläutert: "Die Verordnung bedient sich einer Rechtsfiktion. Sobald der Abonnent seinen Onlinedienst im Raum der Europäischen Union nutzt, gilt die Nutzung als ob sie ausschließlich im Wohnsitzland stattfindet."
Aufgrund des Territorialitätsprinzips, das im Urheberrecht und für verwandte Schutzrechte gilt, galten bisher Einschränkungen. Anbieter von Streamingdiensten benötigten für jedes Land, in dem sie ein geschütztes Werk anbieten wollten, eine Gebietslizenz. Die Vergabe entsprechender Lizenzen erfolgte innerhalb der Europäischen Union regelmäßig an verschiedene Verwerter, die jeweils zur Kasse gebeten wurden.
Die neue Verordnung, die Teil der "Strategie für den digitalen Binnenmarkt in Europa" ist, bringt Nutzern von Streamingdiensten in der EU ab April zwar Vorteile, allerdings erlaubt die Neuregelung ihnen kein dauerhaftes Vergnügen. Denn die EU hat einer zeitlich unbefristeten Nutzung im Ausland einen Riegel vorgeschrieben. Die neuen Regeln gelten nur für "vorübergehende" Auslandsaufenthalte. Wie lange das ist, hat der Verordnungsgeber offengelassen.
Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert
Netzpolitiker und Juristen kritisieren gegenüber LTO diese Unbestimmtheit: "Aus Rechtsanwendersicht ist es ärgerlich, dass auf europäischer Ebene versäumt wurde, den Begriff des 'vorübergehenden Aufenthalts' näher zu beschreiben und zumindest Richtwerte oder Höchstgrenzen vorzugeben. Die in der Verordnung hierzu enthaltenen Beispiele lassen großen Auslegungsspielraum zu und sorgen somit für Rechtsunsicherheit", beklagt etwa Urheberrechtsexperte Roos.
Nach seiner Ansicht könnte die von der EU in Kauf genommene Unklarheit für Rechtsstreitigkeiten sorgen: "Anbieter könnten zum Adressaten einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung werden. Die europäischen Gerichte dürften sich wohl in absehbarer Zeit mit der Thematik auseinandersetzen", prognostiziert Roos.
Die Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Tabea Rößner, freut sich zwar, dass Verbraucher "jetzt auf Reisen in der EU ihre bezahlten Dienste nutzen können". Sie kritisiert aber die zeitliche Begrenzung: "Angesichts eines europäischen Binnenmarktes wäre hier eine weitergehende Lösung denkbar", so Rößner zur LTO.
Anbieter legen Nutzungszeiten selbst fest
Wieviel Nutzungszeit die Streamingdienste ihren Abo-Kunden in Zukunft zubilligen werden, ist teilweise noch unklar. Lediglich der Sender Sky gibt auf LTO-Anfrage präzise Auskunft: "Unsere Abonnenten dürfen Ihr Sky Go-Abo 37 Tage pro EU-Auslandsaufenthalt nutzen. Danach müssen Sie Ihren Streamingdienst einmal in Deutschland respektive Österreich nutzen, um den Wohnsitz zu bestätigen", so Unternehmenssprecher Andreas Stumptner.
Damit dürfte fast schon der erste Rechtsstreit vorprogrammiert sein. Denn in den Erwägungsgründen wird explizit angeführt, dass es auch Abonnenten, die sich zu Zwecken der "Lernmobilität" in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, die Nutzung möglich bleiben soll – damit ist insbesondere ein ERASMUS-Semester an einer europäischen Hochschule gemeint, wie die Diskussionen im Europäischen Parlament gezeigt haben. Ein solches dauert üblicherweise länger als 37 Tage.
Amazon Prime Video hält sich dagegen bedeckt: "Um Missbrauch zu vermeiden, kann Amazon hierzu keine detaillierten Informationen geben", sagte ein Sprecher des Unternehmens zur LTO. Amazon verwende Informationen, "die in der neuen Verordnung genannt und erlaubt sind, um Aufenthaltsort und Wohnort betreffender Mitglieder zu ermitteln".
Geblockte Inhalte von ARD und ZDF weiter nicht zu empfangen
Der Streamingdienst Netflix äußerte sich gegenüber LTO ebenfalls nicht zur Dauer des Zeitraums, in dem deutsche Netflix-Kunden das speziell für Deutschland konzipierte Angebot nutzen können. Das Unternehmen verwies allerdings darauf, dass Netflix-Mitglieder bereits vor dem 1.April "weltweit" Zugriff auf den angebotenen Katalog des Landes gehabt hätten, in dem sie sich befinden. "Mit der Portabilitätsverordnung können Netflix-Mitglieder aus der EU, die zwischen den EU-Mitgliedsstaaten reisen, ab dem 1.4. für einen begrenzten Zeitraum ihren eigenen Katalog mitnehmen", so ein Unternehmenssprecher.
Enttäuscht sein dürften unterdessen Zuschauer von ARD und ZDF, die darauf gehofft hatten, dass künftig auch die bisher im EU-Ausland geblockten Inhalte für sie sichtbar sein könnten. Aus lizenzrechtlichen Gründen dürfen Sportevents wie Fußballspiele oder die Wettkämpfe der Olympischen Spiele, aber auch regelmäßig Filme oder Dokumentationen, nur in Deutschland gestreamt werden, erläutert ARD-Sprecher Wolfgang Utz gegenüber LTO.
Utz verwies darauf, dass für geblockte Inhalte von unentgeltlichen Anbietern wie der ARD die Portabilitätsverordnung eine sog. Opt-in-Möglichkeit vor sehe. Anbieter wie die ARD könnten zwar "unter der Voraussetzung, dass sie den Wohnsitzmitgliedstaat ihrer Nutzer nach den Vorgaben der Verordnung verifizieren", ihre Angebote portabel machen. Die ARD mache von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch, so Utz. "Die Herstellung von Portabilität für die geblockten Inhalte würde für die ARD die Errichtung einer technischen Infrastruktur erfordern, die mit ganz erheblichen Kosten verbunden wäre, und vor allem die Art und Weise, wie die ARD-Inhalte angeboten werden, ganz maßgeblich verändern würde."
Mit Materialien von dpa
Hasso Suliak, EU-Portabilitätsverordnung tritt in Kraft: . In: Legal Tribune Online, 31.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27771 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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