Wie darf die Polizei auf Twitter über ihre Einsätze informieren – und was muss sie bei Falschmeldungen tun? In Berlin wirft eine Klage zum "Türknauf des Todes" diese Frage nun wieder auf. Derweil hat das VG Düsseldorf entschieden.
Als Polizisten am 29. Juni 2017 unter Protest einen Stadtteilladen im Berliner Bezirk Neukölln räumen sollen und das verbarrikadierte Haus über den Innenhof betreten, wollen sie eine Stromfalle am Kellerabgang entdeckt haben. Sie funken um 10.40 Uhr an die Zentrale: "Und zwar haben Kräfte festgestellt, dass am Handlauf bzw. Treppengeländer in dem Eingangsbereich Friedelstr. oder im Objekt Friedelstr. auf dem Weg zum Keller Strom anliegt." Der genaue Funkverkehr geht aus der Antwort der Innensenatsverwaltung Berlin auf eine Anfrage von Abgeordneten der Linken hervor.
Nur 14 Minuten später, um 10.54 Uhr veröffentlichte die Polizei unter ihrem offiziellen Twitter-Account "Polizei Berlin Einsatz" (@PolizeiBerlin_E) die Meldung: "Lebensgefahr für unsere Kolleg. Dieser Handknauf in der #Friedel54 wurde unter !Strom! gesetzt. Zum Glück haben wir das vorher geprüft." Der Meldung war ein Foto des Treppenabgangs beigefügt, darauf zu sehen: Eine Kellertür und im unteren Bildteil eine Art Stecker eines Kabels.
Bereits um 12.04 Uhr funkte ein Polizist aber: "Es lag kein Strom auf einer Klinke bzw. auf einem Geländer im Objekt, kein Strom." Also Entwarnung - aber da war es schon zu spät: Zahlreiche Medien hatten die erste Twittermeldung der Polizei aufgegriffen und verbreitet. Die Meldungen reichen bis zu "Lebensgefährlicher Anschlagsversuch" beim Berliner Rundfunk RBB, ein Chefreporter der Bild sprach von einem "Mordversuch".
Polizei erkennt Falschmeldung nicht als rechtswidrig an
Gegen diesen Tweet, der unter dem Schlagwort "Türknauf des Todes" bundesweit bekannt wurde, wehren sich nun zwei Kläger aus dem Verein Friedel54. Der Fall wirft sehr grundsätzliche Fragen zum Informationshandeln der Polizei auf, die dabei immer stärker auch auf Facebook, Twitter & Co. setzt – und die von der Rechtsprechung noch so gut wie gar nicht geklärt und in der Wissenschaft kaum bearbeitet sind.
In der Praxis kommt hinzu, dass viele Journalisten Mitteilungen der Polizei immer noch als privilegierte Quelle ansehen – und zwar nicht nur die ausformulierte Pressemitteilung, sondern auch schnell abgesetzte Tweets und Posts, die ungeprüft übernommen werden.
Mit ihrer Klage aus März 2019 verlangen die Kläger beim Berliner Verwaltungsgericht Löschung sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Tweets. Die Polizei hat den Tweet mittlerweile gelöscht, gegenüber den Klägern dessen Rechtswidrigkeit aber nicht anerkannt, wie die Anwältin der Kläger, Anna Gilsbach, gegenüber LTO mitteilte.
Ein Nadelöhr für den Erfolg der Klage dürfte bereits in der Zulässigkeit das Feststellungsinteresse bzw. die Klagebefugnis werden. Gilsbach argumentiert, dass der Tweet sich auf die Kläger beziehe, die dadurch in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG sowie in ihrer Versammlungs- und Meinungsfreiheit verletzt sein könnten. Der Tweet habe einen "Abschreckungseffekt" gehabt. Er habe durch seine Formulierung suggeriert, dass jemand aus dem Friedel54-Kollektiv den Türknauf aktiv unter Strom gesetzt und damit zumindest in Kauf genommen habe, dass Menschen zu Schaden kommen. Dadurch hätten sich Teilnehmer einer Versammlung vor dem Haus abgeschreckt gefühlt. Außerdem habe der Tweet die öffentliche Diskussion empfindlich umgelenkt.
Große Öffentlichkeitswirkung, aber nur eingeschränkte Überprüfbarkeit
Einer der Kläger, der damals Vereinsvorstand war und sich am Tag der Räumung im verbarrikadierten Haus aufhielt, sagte gegenüber LTO, der Tweet sei zu einem günstigen Zeitpunkt für die Polizei gekommen. "Ab dann ging es in der öffentlichen Diskussion nur noch um diesen Türknauf, nicht um die Räumung und den Anlass selbst." Gilsbach fragt sich zudem, zu welchem Zweck die Polizei überhaupt diesen Tweet abgesetzt hat. Um ihre Kollegen zu warnen, habe es andere Kanäle als die öffentliche Kurznachrichtenplattform gegeben.
Am Tag nach der Räumung veröffentlichte die Polizei dann noch eine Meldung zu dem Vorfall: "Was die Community interessiert, interessiert auch uns. Wir haben noch einmal genau bei unseren eingesetzten Kolleg. nachgefragt." Darunter findet sich eine knappe Stellungnahme, die sehr vorsichtig formuliert mit der Aussage endet, dass am Kabel keine Stromquelle festgestellt werden konnte.
Aus Sicht von Gilsbach reicht diese Reaktion als Korrektur nicht aus, die zweite Meldung sei zu spät gekommen und nicht mit dem Ursprungstweet verknüpft gewesen. Wie die Polizei aber auf eine Falschmeldung über ihren Account reagieren muss, scheint bislang rechtlich ungeklärt. Klar scheint nur: So unterschiedlich der Inhalt der Twitter-Nachrichten der Polizei, so unterschiedlich dürften auch die polizeirechtlichen Anforderungen ausfallen. Insbesondere Tweets mit Bezug zu über Art. 8 GG geschützten Versammlungen und solche, die einzelne Grundrechtsträger identifizierbar betreffen, unterliegen strengeren Anforderungen. Das ist die Einschätzung eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag aus 2015 zu diesem Thema.
Dass es kaum Rechtsprechung zum Polizeieinsatz auf Twitter dazu gibt, liegt laut Gilsbach auch daran, dass es kaum Klagen gegen solche Twitter-Meldungen gebe. Letztere müssten sich nämlich gegen konkrete Personen richten, die dann auch aktiv werden. Hier scheint ein grundsätzliches Dilemma zu liegen: Social-Media-Posts der Polizei können breite Wirkung auf eine Diskussion entfalten. Die Möglichkeiten, sie rechtlich überprüfen zu lassen, sind aber eingeschränkt.
VG Düsseldorf betont Richtigkeit als Mindestvoraussetzung
Eine der wenigen Entscheidungen überhaupt stammt nun ganz aktuell vom Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, das sich mit einem Twittereinsatz der Polizei bei einem Drittliga-Fußballspiel in Duisburg beschäftigen musste (Urt. v. 06.06.2019, 18 K 16606/17).
Die Kammer hält zwar die Klage mangels Feststellungsinteresses schon für unzulässig, sie nutzt die Gelegenheit aber und trifft darüber hinaus einige interessante Aussagen zur Begründetheit – und damit auch zu den Grenzen der Twitter-Arbeit der Polizei.
Der Tweet, um dem es vor dem VG ging, stammte von der Polizei Duisburg, die vor dem Stadion präsent war. Er lautet: "#MSVFCM Stau am Gästeeingang, einige Fans haben sich Regencapes angezogen, um die Durchsuchung zu verhindern." Beigefügt war ein um 17.36 Uhr aufgenommenes Foto, das zum Großteil mit Regencapes bekleidete Fans an den Eingangsschleusen des Gästebereichs zeigte. Die Klägerin in diesem Fall argumentierte, dass sie auf dem Foto erkennbar sei und durch den Tweet als eine Person dargestellt worden sei, die berechtigte polizeiliche Maßnahmen verhindere.
Das VG stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass es für das Informationshandeln der Polizei über Twitter zunächst keiner gesonderten Rechtsgrundlage bedürfe, es reiche grundsätzlich bereits die Aufgabenzuweisung, wie sie in § 1 Abs. 1 S. 1 Polizeigesetz NRW erfolge.
Von der Gefahrenabwehr erfasst sei dabei auch die Gefahrenvorsorge im Vorfeld. "Erst wenn sich die Maßnahme nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechteingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist, verlangt der Vorbehalt des Gesetzes eine besondere Ermächtigungsgrundlage", so die Kammer. Umso näher der Tweet seiner Wirkung nach also einer analogen Eingriffsmaßnahme der Polizei kommt, umso strenger werden die Anforderungen. Zunächst dürften dann die polizeilichen Generalklauseln in den Polizeigesetzen der Länder als Rechtsgrundlage greifen.
Mehr Sorgfalt vor Veröffentlichung statt nachträglicher Berichtigung?
Für alle Social-Media-Posts, die nicht die Schwelle eines Grundrechtseingriffs überschreiten, soll aber gelten: Amtliche Äußerungen sind an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten zu messen. Aus dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz leiteten sich die Gebote der Richtigkeit und Sachlichkeit ab. Das hatte das BVerfG bereits 2002 entschieden. Auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag aus 2015 beschreibt die Gefahr, dass Falschmeldungen der Polizei über Twitter Konsequenzen für die Wahrnehmung insbesondere von Demonstrationen haben können. Deren gerichtliche Überprüfbarkeit wird aber wiederum davon abhängen, ob sie sich hinreichend individualisieren lassen.
In dem Duisburger Fall hatte das VG keine Zweifel an der Richtigkeit des Polizei-Tweets. Damit blieb auch die Frage weiter unbeantwortet: Was muss die Polizei unternehmen, um eine Falschmeldung wieder aus der Welt zu schaffen?
"So sind die Korrekturmöglichkeiten angesichts der bereits ausgelösten öffentlichen Rezeption – insbesondere durch Kommentare sowie die Replikation in den herkömmlichen Medien – in ihren Wirkungen eingeschränkt, da die Richtigstellung regelmäßig keine vergleichbare Verbreitung erfahren wird", schreibt der Professor für Kommunikationsrecht an der Uni Mainz, Albert Ingold, in einem neuen Band zur Medienarbeit von Behörden. Umso wichtiger sei deshalb, so Ingold, die Ermittlungssorgfalt vor der Veröffentlichung.
Die Klage beim VG Berlin könnte der Rechtsprechung nun eine neue Gelegenheit bieten, die Regeln für die Polizei auf Twitter klarer zu fassen.
Falschmeldung der Polizei auf Twitter: . In: Legal Tribune Online, 01.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36845 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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