Derzeit streiken alle – alle außer den Beamten, sollte man meinen, denn die dürfen ja nicht. Doch, urteilte einigermaßen überraschend das VG Düsseldorf und hob eine Disziplinarmaßnahme gegen eine streikende Pädagogin auf. Dem Düsseldorfer Argument, nach der Menschenrechtskonvention gebe es verschiedene Arten von Beamten, folgte das OVG Münster allerdings am Mittwoch nicht. Zum Glück, findet Karl Schmitt.
Eine beamtete Lehrerin klagte gegen eine Geldbuße von 1.500 Euro, die ihr Dienstherr als Disziplinarmaßnahme gegen sie verhängt hatte. Der Grund: Sie hatte an einem gewerkschaftlich organisierten Warnstreik teilgenommen. Die Beamtin berief sich dabei auf das in der Europäischen Menschenrechtskonvention normierte Streikrecht (Art. 11 EMRK).
Im Ergebnis erfolglos, wie nun das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschied (OVG NRW, Urt. v. 07.03.2012, Az. 3d A 317/11.O). Beamte haben in der Bundesrepublik kein Streikrecht, so das einfache und zunächst wenig überraschende Fazit der Münsteraner Richter.
Das OVG hat eine zwar formale, aber im Ergebnis unmissverständliche Aussage getroffen. Der Senatsvorsitzende führte aus, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) lasse sich ein Streikrecht für deutsche Beamte nicht ableiten. Der Konvention komme im deutschen Recht auch keine über den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hinausgehende Wirkung zu, so dass sich deren Regelungen am höherrangigen Grundgesetz (GG) messen lassen müssen.
Das VG Düsseldorf sehr europäisch: Disziplinarmaßnahme nicht automatisch
Münster hob damit eine Entscheidung des erstinstanzlich erkennenden Verwaltungsgerichts (VG) Düsseldorf auf, das die bis dahin geltende Rechtslogik außer Kraft gesetzt hatte. Nach jahrzehntelanger Rechtspraxis handelt ein streikender Beamter rechtswidrig und muss grundsätzlich disziplinarrechtlich belangt werden. Die Düsseldorfer Richter dagegen stellten auf die Umstände des Einzelfalles ab, wobei sie sich auf die Rechtsprechung des EGMR beriefen. Das Ergebnis ihrer Überlegungen: Nehme eine beamtete Lehrerin an einem im übrigen rechtmäßigen Warnstreik teil, dürfe der Dienstherr keineswegs "automatisch" wegen des mit dem Beamtenstatus verbundenen Streikverbots eine Disziplinarmaßnahme aussprechen.
Selbstverständlich erkannte das VG die verfassungsrechtliche Dimension seiner Auffassung. Die Kammer verwies ausdrücklich auf das aus der Verfassung abgeleitete Streikverbot für Beamte. Dieses leitet sich als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums unmittelbar aus Art.33 Abs. 5 GG ab.
Das Verbot müsse jedoch im Lichte der Menschenrechtskonvention und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR für Disziplinarmaßnahmen abweichend von der bisherigen Rechtspraxis modifiziert werden, meinten die Verwaltungsrichter. Zwar sei die Teilnahme eines Beamten an einem Streik im Kontext des nationalen Rechts nach wie vor als ein Dienstvergehen zu werten. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme sei damit aber noch nicht beantwortet.
Nach Auffassung des VG kommt eine solche vielmehr nur dann in Frage, wenn der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Europarechts die Bereiche hoheitlichen Handelns klar festlege, die darauf gerichtet sind, hoheitliche Befugnisse in einem engeren Sinne auszuüben. Nur in einem solchen eng umgrenzten Bereich seien dann allein aus dem Beamtenstatus abgeleitete Disziplinarmaßnahmen zulässig. Da für die klagende Lehrerin eine gesetzliche Regelung, die diesen Kriterien Rechnung entsprechen würde, nicht bestehe, hoben die Düsseldorfer Verwaltungsrichter die Geldbuße auf.
Ein Verwaltungsgericht betritt Neuland
Besonders mit dieser Begründung überraschte das VG, weil es offensichtlich davon ausging, dass es zwei "Sorten" von Beamten gibt. Die Kammer unterschied zwischen einerseits solchen, die in einem engen hoheitlichen Bereich für den Staat Aufgaben wahrnehmen, welche nicht durch Streiks beeinträchtigt werden dürfen und andererseits anderen Beamten, die außerhalb dieses engen hoheitlichen Bereichs "schlicht" hoheitlich tätig werden. Ihnen stehe mangels Sanktionen im Ergebnis ein Streikrecht zu.
Der in diesem Zusammenhang zu sehende Hinweis des VG, dass auch ein Lehrerstreik nach wie vor als Dienstvergehen Konsequenzen wie den Verlust der Dienstbezüge für die Ausfallzeiten und im Fall eines unverhältnismäßigen Streiks ausnahmsweise auch Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen könne, erscheint zumindest diskussionswürdig.
Der Verlust der Bezüge für streikbedingt nicht erbrachte Dienste ist selbstverständlich und entspricht den für Arbeitnehmer geltenden arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Sollten Disziplinarmaßnahmen von der Rechtmäßigkeit eines Streiks abhängig gemacht werden, dürften die damit zusammenhängenden Fragen die Verwaltungsgerichte in den nächsten Jahren im Sinne einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigen.
OVG Münster: Das GG geht vor
Das Grundgesetz gibt für die vom VG getroffene Differenzierung nichts her. Es gibt keine Hinweise auf eine solche Unterscheidung - weder aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums abgeleitete Streikverbot für Beamte noch aus der grundsätzlichen Regelung in Art. 33 Abs. 4 GG, derzufolge die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes (also Beamten) zu übertragen ist. Daher erscheint der von den Düsseldorfer Richtern bemühte Weg einer europarechtsfreundlichen Auslegung zumindest mutig, weil sie dem Europarecht und seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Ergebnis eine höhere Bedeutung als dem Grundgesetz beimaßen.
So hat auch das OVG Münster den Spieß umgedreht, indem es dem Grundgesetz Vorrang vor dem Europarecht einräumt. Nach Ansicht des Senats wird die in Art. 11 EMRK und in Art. 9 Abs. 3 GG geregelte Koalitionsfreiheit durch die in Art. 33 Abs. 5 verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt. Beamten in der Bundesrepublik Deutschland stehe mit Blick auf deren Treuepflicht gegenüber ihren Dienstherren und vor dem Hintergrund der Erhaltung der Funktionsfähigkeit staatlichen Handelns ein Streikrecht nicht zu.
Dieses Streikverbot gilt nach Ansicht der Oberverwaltungsrichter unabhängig davon, welche konkrete Funktion der einzelne Beamte ausübt, denn allein der Status der Beamten ist entscheidend. Mit diesen erfreulich klaren Aussagen erteilt das OVG allen Tendenzen, die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Bezug auf das Streikverbot der Beamten aufzuweichen, eine klare Absage. Eine Revision hat Münster nicht zugelassen*.
Der Autor Ministerialrat a.D. Karl Schmitt war viele Jahre im nordrhein-westfälischen Innenministerium als Referatsleiter für Dienstrecht zuständig.
Anm. d. Red. v. 26.02.2014: Hier stand zunächst irrtümlich, die Entscheidung sei rechtskräftig.
OVG Münster zu Beamten: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5733 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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