"Oury Jalloh – Das war Mord" sprühten Unbekannte am Mittwoch bei einem Brandanschlag auf die Polizeiwache in Dessau, wo der Afrikaner 2005 ums Leben kam. Schon am 7. Januar beschlagnahmte die Polizei bei einer Demonstration Plakate mit diesem Slogan. Zu Unrecht, meint Alfred Scheidler, der darin einen Verstoß gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sieht.
Oury Jalloh war ein in Deutschland geduldeter Sierra Leoner, der am 7. Januar 2005 durch einen Brand in einer Zelle des Polizeireviers Dessau ums Leben kam. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Fest zu stehen scheint, dass der Afrikaner, der in stark angetrunkenem Zustand Frauen belästigt hatte, an seinem Todestag in Gewahrsam genommen wurde und in seiner Zelle mit einem Einwegfeuerzeug seine Matratze anzündete.
Der daraufhin wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte verantwortliche Dienstgruppenleiter der Polizeiinspektion Dessau wurde zunächst vom Landgericht (LG) Dessau freigesprochen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob den Freispruch am 7. Januar 2010 jedoch auf (Az. 4 StR 413/09); seit Anfang 2011 wird das Revisionsverfahren vor dem Landgericht Magdeburg neu verhandelt. Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt.
Der Todestag des Sierra Leoners jährte sich am 7. Januar 2012 zum siebten Mal. Anlass für die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.", mit einer angemeldeten Demonstration an sein Schicksal zu erinnern und zum wiederholten Male umfassende Aufklärung zu fordern. Etwa 200 bis 250 Personen nahmen an der Kundgebung in Dessau teil.
Wie schon in den vergangenen Jahren wurde auf der Veranstaltung der Demonstrationsslogan "Oury Jalloh – das war Mord" skandiert, sowohl verbal als auch durch mitgeführte Plakate. Während die Polizei diese Losung in den letzten sechs Jahren toleriert hatte, teilte sie im Vorfeld der Demo vom 7. Januar 2012 mit, dass sie diese Aussage nicht mehr dulden werde.
Plakate sind versammlungstypische Ausdrucksform
Viele Demonstrationsteilnehmer ließen sich davon nicht beeindrucken und es kam, wie es kommen musste: Polizisten versuchten, dieser Transparente und ihrer Träger habhaft zu werden, woraufhin die bis dahin friedlich verlaufende Demonstration eskalierte. Neben dem Hauptinitiator Mouctar Bah wurde mindestens eine weitere Person so schwer verletzt, dass beide ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Ob der Polizeieinsatz wegen zu massiver Gewaltanwendung unverhältnismäßig war, kann von dieser Stelle aus nicht beurteilt werden. Aus versammlungsrechtlicher Sicht interessant ist aber die Frage, ob die Beschlagnahme der Transparente rechtens war.
Das in Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verankerte Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat, ebenso wie das der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), einen hohen Stellenwert: Beide gehören zu den unentbehrlichen Elementen für die Funktionsfähigkeit der Demokratie.
Die Veranstalter einer Demo haben daher das Recht auf Darstellung ihres Anliegens in der Öffentlichkeit und dürfen Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung frei wählen. Das gemeinsame laute Rufen von Parolen ist dabei ebenso wie das Tragen von Transparenten eine versammlungstypische Ausdrucksform und durch die Versammlungsfreiheit geschützt.
Zwar findet dieses Recht seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, so dass etwa Aussagen mit verleumderischem Inhalt unzulässig sind. Und es kann auch eine üble Nachrede oder Verleumdung darstellen, jemanden als "Mörder" zu bezeichnen, der nicht rechtskräftig wegen Mordes nach § 211 StGB (Strafgesetzbuch) verurteilt wurde.
Wer "Mord" sagt, meint nicht zwingend § 211 StGB
Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, dürfen aber nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden, wie das Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg in Bezug auf eine frühere Gedenkversammlung für Oury Jalloh entschieden hat (Beschl. v. 31.03.2006, Az. 2 M 156/06).
Alltagssprachlich kann "Mord" nämlich durchaus etwas anderes meinen, als das, was der Jurist darunter versteht. So kann man "Mord" auch in Abgrenzung zu einem Unfall verstehen oder als ein zum Tode eines Menschen führendes Ereignis, für das – in welcher Form auch immer – ein anderer Mensch zumindest mitverantwortlich ist.
Gerade in einer Demonstration muss es erlaubt sein, mit prägnanten, wachrüttelnden, ja sogar provokativen Aussagen auf das Versammlungsanliegen aufmerksam zu machen. "Die Versammlungsfreiheit darf auch zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen werden", so das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 10.12.2010, Az. 1 BvR 1402/06).
So wie es bei der Demo skandiert wurde, ist das Motto "Oury Jalloh – das war Mord" daher nicht als Verleumdung oder üble Nachrede zu werten. Es ist als berechtigtes Anliegen der Demonstranten zu verstehen, eine öffentliche Diskussion über die Umstände des Todes von Oury Jalloh zu entfachen. Die Beschlagnahme der Plakate durch die Polizei war somit nicht rechtens. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, scheint dies inzwischen genauso zu sehen: Er hat zwischenzeitlich den Leiter des Dezernats "Recht" der Polizeidirektion Ost abgesetzt, da er den Polizeipräsidenten nicht professionell beraten habe.
Dr. Alfred Scheidler ist Oberregierungsrat in Neustadt an der Waldnaab und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.
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Alfred Scheidler, "Oury Jalloh – Das war Mord": . In: Legal Tribune Online, 19.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5342 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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