Nach dem OLG Frankfurt dürfen Ermittler nicht nur "wissen, wo Dein Auto steht", sondern durch Navigations-Auswertung auch, wo der Fahrer überall herumgefahren ist. Für Felix Ruppert fehlt es für diesen Eingriff schon an der Rechtsgrundlage.
"Freie Fahrt für freie Bürger". Das war einmal. Horrende Benzinpreise, hohe Parkgebühren oder Initiativen wie Innenstadt Autofrei schränken die frühere Vorstellung des Autos als Freiheitsmobil seit längerem ein. Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt, kann das eigene Auto seinen Fahrer sogar ins Gefängnis bringen.
Der Entscheidung liegt eine Anklage gegen einen Flüchtigen zugrunde, der für die Ermittlungsbehörden nicht zu lokalisieren war. Da kam für die Staatsanwaltschaft passend, dass ein Dritter dem flüchtigen Angeklagten mit seinem PKW der Marke Mercedes Benz auf der Flucht behilflich gewesen sein könnte. Doch wohin hat er ihn gefahren? Gestützt auf die neu eingeführte Norm des § 100k Strafprozessordnung (StPO) beantragte die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsrichter die Mercedes Benz AG zu verpflichten, über die in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten dieses Fahrzeuges Auskunft zu erteilen. Der Ermittlungsrichter gab diesem Antrag statt. Die dagegen von Mercedes eingelegte Beschwerde vor dem OLG Frankfurt blieb erfolglos (Beschl. v. 20.07.2021 - 3 Ws 369/21).
Nach dem Beschluss des OLG sollen die auf den Servern gespeicherten GPS-Daten herauszugeben sein und zwar auch für Zeitpunkte, in denen das Navigationssystem nicht genutzt wird. Das bedeutet: Jede Fahrt mit dem Fahrzeug soll nicht nur aufgezeichnet, sondern auch von den Ermittlungsbehörden einsehbar sein. Das eigene Fahrzeug wird so zum wichtigsten Belastungszeugen. Es weiß nicht nur, wo man sich gerade befindet – sondern auch rückblickend, wann man damit wo war.
Bewegungsprotokoll durch GPS-Standortdaten
Konkret handelte es sich um Daten, die durch Nutzung des sog. „Mercedes-me-connect-Dienstes“ angefallen sind. Im Rahmen dieses Dienstes übermittelt das Fahrzeug über eine fest verbaute SIM-Karte fortwährend Daten an die Server des Unternehmens, damit Nutzer:innen die aus den Daten generierten Informationen auf ihren Smartphones abrufen können. So lässt sich etwa der Reifendruck oder Kilometerstand, insbesondere aber auch der Fahrzeug-Standort bequem per App anzeigen. Damit die Navigations- und Ortungsdienste reibungslos funktionieren, werden permanent Standortdaten an die Server übertragen und dort gespeichert. Aus den generierten GPS-Standortdaten lässt sich somit mühelos ein minutiöses Bewegungsprotokoll des Fahrzeugs erstellen. Liegen die weiteren Eingriffsvoraussetzungen des § 100k StPO vor, können Ermittler nach Auffassung des OLG Frankfurt hierauf zugreifen.
§ 100k StPO – Rechtsgrundlage für die Auswertung von Autodaten?
Doch ist ein solcher Eingriff wirklich rechtmäßig? Die Vorschrift des § 100k StPO erlaubt den Ermittlungsbehörden seit Dezember 2021 den Zugriff auf bestimmte Nutzungsdaten. Was solche Nutzungsdaten sind, definiert § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG) (zuvor noch der im Wesentlichen gleichlautende § 15 Abs. 1 Telemediengesetz (TMG)).
Nutzungsdaten sind demnach "personenbezogene Daten eines Nutzers von Telemedien, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen“. Dazu gehören Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien.
Für das OLG Frankfurt erfüllen die vom Auto gesammelten Standortdaten diese Definition. Der "Mercedes-me-connect-Dienst" sei ein Telemediendienst im Sinne der Vorschrift. Zudem seien die Standortdaten für die Inanspruchnahme des Navigationsdienstes und der Standortbestimmung des “Mercedes-me-connect-Systems" auch erforderlich. Auch in der Literatur finden sich entsprechende Stimmen, die die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung bejahen, denn wie soll ein Navigationssystem auch ohne Standortdaten genutzt werden.
Nicht alle für die Nutzung erforderlichen Daten sind rechtlich Nutzungsdaten
Doch bei näherer Betrachtung ist die Subsumtion unter die Legaldefinition der Nutzungsdaten nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG zu kurz gegriffen. Zwar ist die Nutzung eines Navigationssystems ohne Standortdaten natürlich sinnlos. Diese sind damit auch für eine sinnvolle Nutzung des Navigationssystems erforderlich. Denn: Wenn das Navi nicht weiß, wo ich bin, wie soll es mir dann sagen, wie ich an den Zielort gelange?
Allerdings kommt es nach der Legaldefinition von Nutzungsdaten nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG nicht auf die Frage der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung für die sinnvolle Nutzung eines Dienstens an, sondern ausdrücklich auf eine Erforderlichkeit "um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen".
Die Vorschrift knüpft die Legaldefinition gerade nicht an die inhaltliche Nutzung und formalisiert daher die Betrachtung. Entsprechend führt § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG als Beispiele von Nutzungsdaten auch Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung sowie Angaben über die in Anspruch genommenen Telemedien auf. Dies sind allesamt formelle Umstände, welche die Verfügbarkeit und Abrechenbarkeit des Dienstes sicherstellen, sich aber nicht zu dessen inhaltlicher Nutzung verhalten.
Entgegen der auf den ersten Blick weit zu verstehenden Begrifflichkeit "Nutzungsdaten" erfasst der Begriff nach der Gesetzesdefinition also nicht sämtliche Daten die für die sinnvolle Nutzung erforderlich sind, sondern nur solche die für die Inanspruchnahme und Abrechenbarkeit der Nutzung erforderlich sind.
Standortdaten sind weder für Inanspruchnahme des Dienstes noch für Abrechnung erforderlich
Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des "Mercedes-me-connect-Systems" wird jedoch bereits durch die fest verbaute SIM-Karte geschaffen, welche die notwendige Zuordnung sicherstellt und so die Nutzungsmöglichkeit eröffnet. Dass darüber hinaus ein Navigationsdienst erst sinnvoll genutzt werden kann, wenn der Dienstleister den Standort kennt, ist damit gerade kein formeller Akt der Verschaffung der Möglichkeit der Inanspruchnahme, sondern einzig der (nicht von der Legaldefinition erfasste) Inhalt der Nutzung. Standortdaten sind also für die Inanspruchnahme des Dienstes nicht erforderlich.
Auch die zweite Variante, nämlich die Erforderlichkeit für die Abrechnung, liegt nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn für jeden Navigationsvorgang Kosten für den Nutzer anfielen, die zum Zwecke der Abrechnung datenmäßig verarbeitet werden müssen. Bekanntlich gibt es eine solche Abrechnung jedoch nicht.
Soweit das Gericht für seine Auffassung den Wortlaut des § 100k Abs. 1 S. 2, 3 StPO anführt, der auch die Begrifflichkeit "Standortdaten" enthält, trägt auch diese Begründung nicht. Denn die Nutzungsdaten werden gerade nicht in § 100k StPO (der dazu nur auf § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG verweist), sondern in § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG legaldefiniert. Somit kann aus § 100k StPO kein Rückschluss auf die Reichweite der Legaldefinition des TTDSG gezogen werden – die aber entscheidend für die Frage ist, was dem Begriff der Nutzungsdaten unterfällt.
Es liegt auch kein Wertungswiderspruch vor, wenn § 100k "Standortdaten" erwähnt. Denn diese können im Einzelfall durchaus "Nutzungsdaten" sein, wenn sie etwa zur Abrechenbarkeit oder zur Bestimmung der Rechtslage eines Dienstes erforderlich wären. Weitere Rückschlüsse auf die Definition sind davon ausgehend jedoch gerade nicht möglich.
Ginge es nach OLG, wäre Totalüberwachung möglich
Für das Ergebnis, dass "Nutzungsdaten" nicht gleich Inhaltsdaten sind, spricht auch die Überlegung, dass es anderenfalls der Automobilhersteller in der Hand hätte, nicht nur den Begriff der Nutzungsdaten, sondern zugleich auch den Zugriff der Ermittlungsbehörden einseitig und nahezu unermesslich zu kontrollieren, etwa wenn er über die angebotene App zahlreiche weitere Informationen wie etwa den Puls des Fahrers, Einschätzungen zur Müdigkeit, zur Fahrtüchtigkeit oder auch nur Sitzeinstellungen anfordert.
Nähme man mit dem Gericht an, dass die für die inhaltliche Nutzung erforderlichen Standortdaten auch Nutzungsdaten im Sinne des § 100k StPO seien, hätte dies weitreichende Konsequenzen. So müssten auf dieser Grundlage auch die für eine Nutzung erforderlichen Suchbegriffe einer Online-Suchmaschine Nutzungsdaten sein und etwa von Google herausgegeben werden.
Im Falle einer Freisprechanlage im Kfz wären auf dieser Linie auch die Kommunikationsinhalte als Nutzungsdaten zu begreifen. Aus § 100k StPO würde so eine voraussetzungsarme Generalbefugnis für Ermittlungen im Internet. Der durch die §§ 100a, 100b StPO gewährleistete Schutz für die Telekommunikationsüberwachung, aber auch die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme würde unterlaufen.
Offene Zukunft des § 100k StPO
Damit überzeugt die weite Interpretation des Gerichts jedenfalls für das Strafprozessrecht nicht. Mit der ersten obergerichtlichen Entscheidung steht aber zu befürchten, dass in der Praxis zuhauf der Zugriff auf Fahrzeug-GPS-Daten zugelassen und der bedeutendste Belastungszeuge das eigene Fahrzeug wird.
Darin liegt aber ein erheblicher Eingriff in das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Der staatlich gebilligte uneingeschränkte Zugriff der Behörden auf Bewegungsdaten der Nutzer:innen des Systems "Mercedes-me-connect" erlaubt letztlich die permanente Standortüberwachung, ohne den etwa in § 100b StPO niedergelegten hohen Anforderungen für entsprechende Eingriffe auch nur im Ansatz gerecht zu werden.
Angesichts der sonst hohen (auch verfassungsgerichtlich abgesicherten) Hürden für derart tiefe Grundrechtseingriffe ist eine solche Entwicklung entschieden abzulehnen, wenn nicht der Maßnahmenkatalog der StPO durch die Hintertür aufgebrochen werden soll.
Dr. Felix Ruppert ist als Rechtsanwalt bei Trüg Habetha Rechtsanwälte in Freiburg auf das Wirtschafts-, Medizin-, IT- und Steuerstrafrecht spezialisiert und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinstrafrecht an der Universität Bayreuth.
Beim Aufsatz handelt es sich um eine Zusammenfassung des wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen aus der Zeitschrift "StV Strafverteidiger Spezial", Heft 2, Juni 2022. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist u.a. hier erhältlich.
OLG Frankfurt erlaubt PKW als Belastungszeugen: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49122 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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