Die Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen galt als Formsache. Nun plant der deutsche Gesetzgeber ein Regelwerk, das ohne Grund über die Vorgaben hinausgeht, meint Tom Stiebert.
Nur wenn Arbeitnehmer:innen ihre Rechte und Ansprüche kennen, können sie diese von ihrem Arbeitgeber einfordern. Gerade bei Vertragsanpassungen aber auch bei vollständig neuen Arbeitsverträgen kommt es jedoch vor, dass essenzielle Vertragsinhalte nur unzureichend oder nur mündlich vereinbart sind. Gibt es dann Streit hierüber, können Mitarbeiter ohne physischen oder digitalen Nachweis ihrer notwendigen Beweislast kaum nachkommen. Insofern ist es richtig, dass das deutsche Nachweisgesetz (NachwG) seit 1995 aufbauend auf eine EU-Richtlinie formelle Mindestanforderungen an den Nachweis von Arbeitsbedingungen stellt.
Dieses Gesetz soll nun bis zum Ende Juli an die Vorgaben der neuen EU-Richtlinie 2019/1152 zu transparenten und verlässlichen Arbeitsbedingungen angepasst werden. Insbesondere sollen nunmehr verpflichtend u.a. die Dauer der Probezeit, die Dauer einer möglichen Befristung, die Verpflichtung zu Überstunden oder detaillierte Angaben zur Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten sein. All dies ist richtig und hilft Arbeitnehmern.
Entwurf bringt mehr neue Pflichten als nötig
Leider belässt es der Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 20/1636), der im Mai erstmals im Deutschen Bundestag beraten und an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wurde, nicht bei einer bloßen richtlinienkonformen Umsetzung. Vielmehr enthält er – ohne Arbeitgebenden Hinweise für eine praktische Umsetzung in Arbeitsvertragsmustern zu geben - zusätzliche von der Richtlinie nicht vorgeschriebene Informationspflichten, bspw. wie gegen eine Kündigung des Arbeitgebers gerichtlich vorzugehen ist.
Noch problematischer ist die Beschränkung auf eine schriftliche Ausübung der Informationspflichten unter ausdrücklichem Ausschluss der elektronischen Form. Dies mag im NachwG von 1995, als die Informationstechnologie noch in den Kinderschuhen steckte, eine Berechtigung gehabt haben. Seit 2001 kennt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) allerdings in § 126a die elektronische Form, die bei Verwendung einer qualifizierten Signatur gleichberechtigt zur Schriftform ist. Im Jahr 2022 in den Zeiten von Digitalisierung und Arbeit 4.0 ist es insofern ein Anachronismus, wenn im Arbeitsrecht diese Form für Arbeitsverträge durch die Auferlegung von Nachweispflichten faktisch ausgeschlossen wird.
Praktisch denkbar – und im Sinne von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen – wäre auch ein Mittelweg: Die Zulassung der elektronischen Form für den Abschluss des Arbeitsvertrags, sofern hiervon den Beschäftigten eine physische Kopie überlassen wird. Auch dies ist vom Gesetzgeber aber offenkundig nicht gewollt.
Schwerwiegende Unterschiede für Arbeitgebende
Die aktuelle Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ausdrücklich die Schaffung eines "modernen Arbeitsrechts" angekündigt, zudem spricht sie an mehreren Stellen von einem "digitalen Aufbruch".
Wie das praktisch funktionieren kann, zeigen die Beispiele in zahlreichen anderen Ländern. Auch die EU-Richtlinie zu transparenten Arbeitsbedingungen betont in Erwägungsgrund 24 ausdrücklich, dass "die Informationen, die [dem Arbeitnehmer] schriftlich zur Verfügung zu stellen sind, [auch] auf elektronischem Wege übermittelt werden" können. Noch deutlicher wird die EU-Richtlinie, wenn sie darauf verweist, dass die notwendigen Informationen entweder "in Papierform oder […] in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln" sind. Das Europarecht erkennt mithin die Chancen der Digitalisierung und fordert nicht mehr ausschließlich einen schriftlichen Arbeitsvertrag.
Auch für Arbeitnehmer:innnen, deren Schutz die Regelung dienen soll, macht es keinen Unterschied, ob ein Arbeitsvertrag händisch oder mit einer qualifizierten Signatur unterzeichnet wurde, sofern dieser den Beschäftigten ausgehändigt wird. In beiden Fällen kann im Streitfall unmittelbar durch Vorlage des Vertrags der Anspruchsinhalt bewiesen werden.
Die Unterschiede für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin sind hingegen schwerwiegend: Oftmals ist die unterzeichnungsberechtige Person nicht vor Ort oder sitzt gar im Ausland. Hier könnte die Nutzung einer qualifizierten Signatur und damit die Unterzeichnung in elektronischer Form den praktischen Aufwand deutlich minimieren. Auch im deutschen Arbeitsrecht wäre die Digitalisierung damit angekommen.
Verstöße kosten künftig bis zu 2.000 Euro
Leider verhindert dies nun der Gesetzgeber, indem er strenge Konsequenzen an die Nichteinhaltung der Nachweispflichten in (hand-)schriftlicher Form knüpft. Führte dies bisher lediglich zu (praktisch wenig relevanten) Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin, wird künftig für diese Ordnungswidrigkeit ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.000 Euro möglich.
Der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit qualifizierter Signatur wäre fortan nur noch möglich, wenn zusätzlich ein handschriftlich unterzeichneter Nachweis über die Arbeitsbedingungen erteilt würde. Wirklich praktikabel ist das nicht. Zudem ist noch völlig ungeklärt, wie ein möglicher Widerspruch zwischen Arbeitsvertrag und vorgelegtem Nachweis aufgelöst werden würde.
Der Arbeitgeber stünde damit vor der Wahl zwischen Skylla und Charybdis: Verzicht auf eine elektronische Signatur und handschriftliche Unterzeichnung des Arbeitsvertrags oder elektronische Signatur des Arbeitsvertrages und zusätzliche Überlassung eines handschriftlich unterzeichneten Nachweises über die Arbeitsbedingungen und damit Schaffung einer neuen Fehlerquelle.
Der Digitalisierung in einem zentralen Bereich des Arbeitsrechts wäre damit ein Riegel vorgeschoben.
Drohende Bußgelder auch für bestehende Verträge
Leider enden damit die problematischen Inhalte der Neuregelung nicht. Zusätzlich werden Arbeitgebenden weiterer Informationspflichten auferlegt, ohne deutlich zu machen, wie diese praktisch umgesetzt werden können. Neben zahlreichen Inhalten, die üblicherweise bereits in Standardarbeitsverträgen enthalten sind (wie Regelungen zur Probezeit, zu Überstunden, zu Fortbildungsmöglichkeiten oder zur betrieblichen Altersversorgung) müssen Unternehmen künftig auch über das "bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren" und über "die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage" informieren.
Auch hier geht der Gesetzgeber ohne Not teilweise über die Vorgaben der Richtlinie hinaus, die lediglich Arbeitnehmer:innen über das Kündigungsverfahren und entsprechende Kündigungsfristen informieren will. Systemfremd setzt die zusätzliche Informationspflicht an einen Zeitpunkt an, wo die Kündigung bereits ausgesprochen und damit das Verfahren abgeschlossen ist.
Bezüglich der von der Richtlinie geforderten Informationen zum Kündigungsverfahren, wäre zudem eine Spezifizierung des nationalen Gesetzgebers wünschenswert, ob dies bspw. auch eine Information über die erforderliche Betriebsratsanhörung oder über besondere Verfahren bei Mitarbeitern mit Sonderkündigungsschutz beinhalten soll.
Noch schwerwiegender wirkt sich aus, dass eine Information über die Erhebung einer Kündigungsschutzklage bisher in keinem einzigen Arbeitsvertrag enthalten sein dürfte. Arbeitgeber sollen aber – so der Gesetzgeber – auch bei bestehenden Arbeitsverträgen innerhalb von sieben Tagen "nach Aufforderung" durch die Mitarbeitenden verpflichtet sein, einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Kommen sie dem nicht nach, droht auch hier ein Bußgeld. Ein erheblicher unnötiger Mehraufwand droht damit.
Praktische Konsequenzen: Welcher Mehraufwand droht?
Noch ist die Gesetzesneufassung nicht verabschiedet und es bleibt die – geringe – Hoffnung, dass der Gesetzgeber nachsteuert und seinem selbstgesetzten Anspruch, die Digitalisierung zu fördern, gerecht wird. Er wäre gut beraten den Vorgaben der Richtlinie lediglich zu folgen – oder aber plausibel zu begründen, warum Inhalte bewusst abweichend geregelt sind.
Macht er – was zu befürchten ist – dies nicht, werden sich Arbeitgeber:innen zahlreiche neue Herausforderungen stellen. Arbeitsvertragsmuster müssten in jedem Fall überarbeitet werden. Diese dürfte vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen treffen, die hinsichtlich der geltenden Arbeitsbedingungen nicht auf Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen verweisen können. Selbst in bestehenden Arbeitsverhältnissen drohen aufgrund des Informationsanspruchs der Arbeitnehmer:innen erhebliche Belastungen.
Ob dieser bürokratische Aufwand die Arbeitnehmer:innen stärkt, darf stark bezweifelt werden. Der Mehraufwand für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen dürfte allerdings die von der Bundesregierung hierfür prognostizierten drei Minuten pro Mitarbeitenden weit übersteigen.
Der Autor Tom Stiebert ist Rechtsanwalt im Bereich Arbeitsrecht bei DWF Germany am Standort Köln sowie globaler Head of Innovation der Praxisgruppe Arbeitsrecht.
Pflicht zur Übergabe von Arbeitsbedingungen: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48772 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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