Der Rechtsdienstleister Financialright ist nicht aktivlegitimiert, um Forderungen gebündelt einzuklagen. Einige Ansprüche aus dem Lkw-Kartell könnten damit verjährt sein. Und der Rechtsmarkt seinen nächsten Präzedenzfall kriegen.
Die größte Klage gegen das Lastwagenkartell ist in der ersten Instanz gescheitert. Das Landgericht (LG) München I hat am Freitag die Klage der Financialright Claims GmbH abgewiesen, weil das Düsseldorfer Unternehmen nicht aktivlegitimiert sei (Urt. v. 07.02.2020, Az. 37 O 18934/17). Das LG hält es für rechtswidrig, die Ansprüche von über 3.000 Spediteuren, die zu hohe Preise für ihre Lkw monieren, "nach Art einer Sammelklage" und mit einem Prozessfinanzierer im Hintergrund zu bündeln, wie es die Vorsitzende der 37. Zivilkammer in der mündlichen Verhandlung im Oktober formuliert hatte.
Das Geschäftsmodell verstoße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), so Gesa Lutz am Freitag in München. Die Kammervorsitzende erklärte, das LG München I erkenne das Bedürfnis an, es auch Anspruchstellern mit kleineren Schäden zu ermöglichen, ihre Ansprüche ohne großes Kostenrisiko geltend zu machen. Das Modell von Financialright aber sei vom RDG nach geltendem Recht nicht mehr gedeckt, die erbrachte Rechtsdienstleistung damit verboten. Das zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, so Lutz.
Das heißt, die Abtretungen an das Unternehmen waren nichtig, die Klage ist mangels Aktivlegitimation von Financialright unbegründet. Viele der an das Unternehmen abgetretenen Forderungen könnten mangels wirksamer Klageerhebung zwischenzeitlich verjährt sein. Die Spediteure haben also keine Chance mehr, Schadensersatz geltend zu machen.
Über 110 Lkw-Kartellverfahren beim LG München
Gegen das sog. Lkw-Kartell, das nach Ansicht der Europäischen Kommission von 1997 bis 2011 auf höchster Führungsebene Preisabsprachen traf, laufen bundesweit hunderte Klagen. Allein beim Landgericht München I sind ca. 110 Verfahren ganz verschiedener Größenordnung anhängig, rund 8.500 Geschädigte machen Kartellschadensersatzansprüche wegen der durch das Kartell überhöhten Kauf- und Leasingpreise von Lastkraftwagen geltend. Zuständig ist die 37. Zivilkammer unter Vorsitz von Gesa Lutz, die Kammer ist seit Beginn der Lkw-Kartellverfahren nur noch mit Kartellsachen befasst. Die Klageerhebung beim LG München I erklärte Financialright im Jahr 2017 auch mit der "hohen Kompetenz und Erfahrung in Kartellsachen" der 37. Kammer.
Das Verfahren, das Financialright als Klägerin führt, ist nur eines dieser Verfahren, wenn auch ein großes. Über 3.200 Spediteure haben ihre mutmaßlichen Kartellschadensersatzansprüche an das Unternehmen abgetreten, auch für den Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, der die Klagebündelung über Financialright als Verbandsinitiative mit vorangetrieben hat, ist das ein empfindlicher Schlag. Die Klagebegründung von Financialright, vertreten wie stets von der US-Kanzlei Hausfeld, ist 18.000 Seiten lang – die Anlagen nicht mit eingerechnet.
Das LG München I macht es sich dabei nicht leicht. Anders als andere erstinstanzlich mit den Kartellrechtschäden befasste Landgerichte wollen die Bayern sofort in der Sache entscheiden. Sie verzichten also darauf, zunächst per Grundurteil nur festzustellen, dass die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche dem Grunde nach bestehen. Dieses Grundurteil kann dann jahrelang durch die Instanzen gehen, bis über die Höhe des Kartellschadens auch nur gesprochen wird.
Die 37. Kammer beauftragte dagegen schon im November 2019 in vier Lkw-Kartellverfahren zwei Gutachter damit, zu klären, ob das von der EU-Kommission schon festgestellte kartellrechtswidrige Verhalten zu höheren Preisen auf dem Lkw-Markt führte und wenn ja, wie hoch der Preisaufschlag gewesen ist. Ähnlich werde das Gericht in anderen Verfahren vorgehen, erklärte das LG.
Das BGH-Urteil zu Wenigermiete.de
Der von Financialright angestrengte Prozess gehört nicht zu diesen vier Verfahren. Dort ging es von Anfang an fast ausschließlich darum, ob der Rechtsdienstleister überhaupt im eigenen Namen für die mehr als 3.000 Spediteure klagen darf. Daran äußerte die Kammer schon in der mündlichen Verhandlung im Oktober 2019 Zweifel, verwies aber auf das ausstehende Urteil des BGH zum Rechtsdienstleister Lexfox, der das Portal Wenigermiete.de betreibt. Wer nach einem algorithmusgesteuerten Direktvergleich der eigenen Miete mit dem jeweiligen Mietspiegel zu viel zahlt, tritt die vermutete Forderung gegenüber seinem Vermieter an die Plattformbetreiber ab. Die Lexfox GmbH schreibt dann den Vermieter an und versucht, eine Einigung zu erzielen. Gelingt das nicht, macht das Unternehmen, dann vertreten durch Anwälte, die Ansprüche klageweise geltend.
Das BGH-Urteil fiel zugunsten von Wenigermiete.de aus: Die erbrachten Rechtsdienstleistungen seien von der Inkassolizenz gedeckt, deren Reichweite großzügig auszulegen, so der BGH. Darin, dass Anwälte, wenn sie Rechtsdienstleistungen erbringen, kein Erfolgshonorar vereinbaren oder Gerichtskosten für ihre Mandanten übernehmen dürfen, sieht der Senat keinen Wertungswiderspruch. Inkassodienstleister seien eben keine Organe der Rechtspflege, ihnen habe der Gesetzgeber das gerade nicht verboten. Der BGH argumentierte u.a. damit, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz, das die Erbringung außergerichtlicher Rechtdienstleistungen von einer Erlaubnis, zum Beispiel als Anwalt oder als Inkassodienstleister, abhängig macht, auch neue Berufsbilder ermöglichen wolle.
Nicht nur die Legal-Tech-Szene sah in der Entscheidung ein Grundsatzurteil zugunsten der meist unter Inkassolizenz agierenden Start-Up-Unternehmen, die über Plattformen Ansprüche einsammeln und nur im Erfolgsfall gegenüber den Anspruchsinhabern eine Erfolgsprovision erheben.
LG München I: Von Anfang an aufs Klagen ausgelegt
Das LG München I hingegen betrachtet die Karlsruher Entscheidung keineswegs als Pauschalerlaubnis, unter Inkassolizenz Ansprüche einzusammeln und klageweise geltend zu machen. Die Vorsitzende der 37. Zivilkammer verwies in der Urteilsbegründung am Freitagmorgen darauf, dass der BGH nur über Wenigermiete.de entschieden und das Modell für „noch“ von der Inkassolizenz gedeckt angesehen habe.
Das Modell von Financialright verstoße nach einer "am Schutzzweck des RDG ausgerichteten Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen" gegen das RDG.
Financialright warb, u.a. mit Hilfe des Logistikverbands BGL, und unterstützt von einem Prozessfinanzierer im Hintergrund, um Spediteure, die gegen die am Lkw-Kartell beteiligten Unternehmen vorgehen und sich kartellbedingt zu hohe Kaufpreise zurückholen wollten. Dieses Angebot des Rechtsdienstleisters sei, so das LG München I, nicht auf eine außergerichtliche Tätigkeit ausgerichtet, die von einer Inkassolizenz gedeckt sein könnte. Es gehe Financialright vielmehr von Anfang an um eine gerichtliche Tätigkeit, nämlich die Beteiligung der Spediteure an einer Sammelklage. Wer aber ohne Erlaubnis Rechtsdienstleistungen erbringt, verstößt gegen § 3 RDG.
LG München I: Interessenkollisionen und unvereinbare Leistungspflichten
Das zweite Problem sieht die Kammer in der Bündelung der Klagen und in der Finanzierung durch einen Prozessfinanzierer. Sie geht von einer Kollision von Leistungspflichten bei Financialright zum Nachteil der Kunden aus, welche die Erbringung von Rechtsdienstleistungen ebenfalls verbietet (§ 4 RDG). Bei einem Vergleich würden Spediteure, deren Fall mehr Erfolgsaussichten hat, gegenüber aussichtslosen Fällen benachteiligt, denn alle werden quotal und unabhängig von den Erfolgsaussichten des eigenen Falls beteiligt. Insgesamt würden, so die Kammer, die Bedingungen für einen Vergleichsabschluss mit den Lkw-Herstellern schlechter, weil eben auch aussichtslose Fälle im großen Topf sind.
Mit einem potenziellen Interessenkonflikt argumentieren auch große Teile der anwaltsrechtlichen Literatur, auch was den nächsten Kritikpunkt der 37. Kammer angeht: Die Abhängigkeit von Financialright von einem Prozessfinanzierer, an den das Unternehmen berichten müsse, könne zu sachfremden Erwägungen führen, so die Kammer. So erhalte der Rechtsdienstleister eine Erfolgsprovision von 33 Prozent erstrittener Kartellschäden, sei aber von Prozesskosten freigestellt. Prozesskosten könnten Financialright daher egal sein, die Wirtschaftlichkeitserwägungen des börsennotierten Prozessfinanzierers gleichzeitig anderen Regeln folgen als bei einem eigenfinanzierten Prozess.
Das RDG solle, so das LG München I, nicht primär Rechtsanwälte schützen, sondern vor allem die Rechtssuchenden. Bei zu einer Klage gebündelten tausenden Ansprüchen aber, die ein Unternehmen mit einem Prozessfinanzierer im Hintergrund geltend mache, habe der Anspruchsinhaber weder genügend Einblick noch könne er irgendwie Einfluss auf das Verfahren nehmen, das nach ganz anderen Kriterien geführt werden könne als denen von Erfolgsaussichten und Wirtschaftlichkeit. So falle die Abwägung derzeit zu Lasten von Financialright aus – das zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers, erklärte Gesa Lutz.
Fortsetzung folgt
Die Frage, ob elf Jahre kartellrechtswidriger Absprachen auf höchster Führungsebene der Lkw-Hersteller zu Schadensersatzansprüchen der Spediteure führen werden, wird das LG München I beantworten. Neben den bereits angelaufenen kleineren Verfahren, in denen zum Teil bereits Beweis über Entstehung und Höhe eines Schadens erhoben wird, klagt wegen des Lkw-Kartells u.a. die Deutsche Bahn Competition Claims GmbH unter dem Aktenzeichen 37 O 18602/17 zahlreiche Ansprüche ein. Auch die Bahn klagte teilweise aus abgetretenem Recht, allerdings ohne einen Prozessfinanzierer im Hintergrund. Mündlich verhandeln wird die 37. Zivilkammer dazu am 28. Mai 2020.
Die Frage, ob viele Ansprüche der über 3.000 Spediteure, die mit Financialright arbeiten, zwischenzeitlich wirklich verjährt sind, weil das Geschäftsmodell rechtswidrig, die Abtretung damit nichtig und die Verjährung nicht durch Klageerhebung gehemmt war, wird am Ende wohl der BGH beantworten. Nach LTO-Informationen findet sich in den AGB von Financialright eine Klausel, welche die Spediteure über dieses Risiko informiert.
Unter der Marke Myright klagt Financialright auch Ansprüche von zehntausenden Geschädigten des Abgasskandals gegen den Autobauer VW ein; erst in dieser Woche erklärte eine Kammer des LG Braunschweig, für die Klagen für ausländische VW-Kunden reiche die deutsche Inkassolizenz des Unternehmens nicht aus. Vielleicht wird auch diese Frage den BGH beschäftigten. Die Karlsruher Richter könnten dabei klären, wie grundsätzlich ihr Urteil in Sachen Wenigermiete.de eigentlich gemeint war. Vielleicht wird aber auch der Gesetzgeber doch endlich Antworten geben.
Financialright darf nicht für Lkw-Kartell-Geschädigte klagen: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40171 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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