Das LG Bonn lehnte am Mittwoch in erster Instanz eine Amtshaftungsklage von zwei Hinterbliebenen des Bombardements vom Kunduz ab. Der deutsche Oberst Klein, der den Angriff angeordnet hatte, habe die Lage zuvor hinreichend aufgeklärt, und seine Pflichten daher nicht schuldhaft verletzt. Die Kläger können nun Berufung einlegen.
Am 4. September 2009 forderte der Bundeswehroffizier Georg Klein zwei Kampfflugzeuge der US-Luftstreikkräfte an, um zwei von Talibankämpfern entführte Tanklaster auf einer Sandbank des Kunduz-Flusses zu bombardieren. Zu den Opfern des Angriffs zählten neben Aufständischen auch Zivilisten. Wie viele, ist bis heute ungeklärt.
Zwei Hinterbliebene verklagten die Bundesrepublik auf Entschädigung. Ein Vater, der zwei Kinder bei dem Angriff verloren haben soll, forderte ein Teilschmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro, und eine Frau, die als Witwe mit sechs Kindern zurückgeblieben sein soll, verlangte Unterhalt in Höhe von 50.000 Euro.
Lage ausreichend aufgeklärt
Diesen Forderungen kam das Landgericht (LG) Bonn nicht nach und wies die Klage ab (Urt. v. 11.12.2013, Az. 1 O 460/11). Oberst Klein habe zwar die Pflicht gehabt, vor dem Bombardement aufzuklären, ob sich Zivilisten vor Ort befänden, und das Ziel hinreichend als militärisches zu identifizieren. Dies habe er jedoch getan. Ein Informant habe ihm wiederholt bestätigt, dass sich bei den Tanklastern keine Zivilisten aufhielten. Diese Information habe Klein auf ihre Plausibilität hin überprüft, indem er sie mit Luftbild-Aufnahmen abgeglichen habe.
Auf diesen Infrarot-Aufnahmen, die sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung Ende Oktober angesehen hatte und von einem Sachverständigen erläutern ließ, seien Personen nur als unterschiedslose Punkte erkennbar gewesen. Weder hätte man von diesen Punkten auf die Größe oder das Alter der Personen schließen noch erkennen können, ob Waffen getragen wurden.
Die entführten Tanklaster sowie die anwesenden Taliban seien zudem unstreitig ein militärisches Ziel gewesen.
Haftung nur bei positiver Kenntnis
Das LG Bonn nahm also an, dass die Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Entschädigung aus § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 34 Grundgesetz (GG) haben könnten, und folgte damit nicht der Ansicht der Bundesrepublik, wonach Amtshaftungsansprüche gar nicht erst einschlägig seien, weil diese nicht auf den Ausnahmefall einer kriegerischen Auseinandersetzung passten.
Den Maßstab für die Beurteilung, ob Oberst Klein sich pflichtwidrig verhalten hat, gab dabei allerdings nicht das deutsche Deliktsrecht vor. Der Einsatz der NATO in Afghanistan sei ein nicht-internationaler, bewaffneter Konflikt, in dem die internationalen Truppen die einheimische Regierung im Kampf gegen aufständische Taliban unterstützten, erläuterte der Vorsitzende der Kammer, Heinz Sonnenberger. In einem solchen Fall suspendierten die Regeln des humanitären Völkerrechts das deutsche Deliktsrecht. Das bedeutet im Ergebnis: Es ist mehr erlaubt. Klein hätte positive Kenntnis von der Anwesenheit der Zivilisten haben müssen. Einen bewussten Angriff auf die Zivilbevölkerung hatten ihm aber selbst die Kläger nicht vorgeworfen.
Die Kammer stellte zudem fest, dass Privatpersonen daneben keine Ansprüche unmittelbar aus dem Völkerrecht herleiten können. Dies sei spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren um einen NATO-Angriff auf die "Brücke von Varvarin" einhellige Meinung. Allenfalls für Staaten kann das Völkerrecht Ansprüche gegeneinander begründen.
Bundesrepublik lehnte Vergleich bis zuletzt ab
Das LG Bonn wies die Klage somit aus materiell-rechtlichen Erwägungen ab. Es erklärte sich also nicht für unzuständig, wie es der Vertreter der Bundesrepublik in der ersten mündlichen Verhandlung gefordert hatte. Er hatte argumentiert, dass Klein keine nationale Hoheitsgewalt ausgeübt habe, sondern in das ISAF-Mandat eingegliedert gewesen sei. Verantwortlich sei daher die NATO und nicht die Bundesrepublik. Der Vorsitzende wies darauf hin, dass seine Kammer mit ihrer Auffassung ausdrücklich von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Köln abweiche, das sich mit einer Klage des überlebenden Tanklaster-Fahrers hatte befassen müssen, und sich für unzuständig erklärt hatte.
In der ersten mündlichen Verhandlung hatten die Kläger auch kritisiert, dass Oberst Klein nicht zumindest das Angebot der amerikanischen Piloten angenommen hatte, eine sogenannte "Show of Force" zu fliegen. Das heißt, im Tiefflug über die Personengruppe zu fliegen, so dass diese die Gefahr eines bevorstehenden Angriffs hätte erkennen und fliehen können. Da Oberst Klein aus der damaligen Sicht davon ausgehen durfte, dass keine Zivilisten vor Ort waren, habe es einer solchen Warnung nicht bedurft. Taliban-Kämpfer müssten nicht gewarnt werden, sie schütze das humanitäre Völkerrecht nicht.
"Das Urteil ist uns schwer gefallen", sagte der Vorsitzende am Ende seiner Ausführungen zur Urteilsbegründung. "Man kann es nicht allen Seiten Recht machen. Wir dürfen uns nicht an Gefühle halten, sondern müssen Recht und Gesetz beachten." Auf eine gütliche Einigung hatte die Kammer mehrfach hinzuwirken versucht, im Ergebnis erfolglos. Die Bundesrepublik blieb bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einem Vergleich.
Vertreter der Parteien waren nicht zu der Urteilsverkündung erschienen. Das LG ließ die Berufung zu. Der Vorsitzende ging auch davon aus, dass die Kläger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Die höheren Instanzen hätten dann wahrscheinlich auch die Frage zu klären, ob die Bundesrepublik überhaupt die richtige Beklagte ist und nicht die NATO. Dies musste die Kammer nicht abschließend beantworten, sie tendierte aber dazu, den Klägern insoweit zuzustimmen.
Claudia Kornmeier, LG Bonn lehnt Entschädigung für Kunduz-Opfer ab: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10327 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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