Hessens Justiz- und Integrationsminister schlägt Alarm gegen den islamischen Religionsunterricht, den Nordrhein-Westfalen im Sommer 2012 als ordentliches Lehrfach einführen will. Tatsächlich repräsentieren die staatsnahen Beiräte, welche die Unterrichtsinhalte mitbestimmen, nicht alle Muslime. Und auf Dauer stehen sie für einen dem Land genehmen Islam, meint Stefan Muckel.
In einem Brief an die amtierende nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) äußerte der hessische Justiz- und Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) verfassungsrechtliche Zweifel an der Neuregelung im Nachbarbundesland. Ihn stört vor allem, dass in NRW ein muslimischer Beirat an die Stelle der von Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG) vorgesehenen Religionsgemeinschaft tritt, um die Unterrichtsvorgaben zu erstellen und die Lernmittel auszuwählen. Der islamische Religionsunterricht und die in NRW und in Niedersachsen gewählte Beiratslösung sollen auch Thema der Integrationsminister-Konferenz am 21. und 22. März sein.
Die Kritik des hessischen Integrationsministers ist berechtigt. In den Beiräten sitzen nämlich Vertreter, die keineswegs alle Muslime gleichermaßen repräsentieren. Auch mit der religiösen Neutralität des Staates ist es bei den staatsnahen Beiräten nicht weit her.
Dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber sich trotzdem auf verfassungsrechtlich dünnes Eis begibt, ist wenig verwunderlich. Seit der Wissenschaftsrat die Beiräte Anfang 2010 empfahl, um die islamische Theologie an staatlichen Universitäten etablieren zu können, sind sie in aller Munde. Die Idee ist einfach: Weil der Islam keine kirchenähnlichen Organisationen hervorgebracht hat, das Grundgesetz aber die Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften verlangt, werden Beiräte gebildet. Diese setzen sich aus Vertretern der in Deutschland bestehenden islamischen Verbände und anderen sachkundigen Muslimen zusammen.
In NRW soll der Beirat aus vier Vertretern der islamischen Organisationen im Lande und vier weiteren Muslimen bestehen, darunter zwei qualifizierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und zwei Religionsgelehrte. Sie werden vom Schulministerium im Einvernehmen mit muslimischen Organisationen in NRW bestimmt.
Ein Beirat ist noch keine Religionsgemeinschaft
Auf diese Weise soll islamischer Religionsunterricht an Schulen eingeführt werden, obwohl es noch immer keine islamische Religionsgemeinschaft gibt. In Art. 7 Abs. 3 GG heißt es allerdings, dass der Religionsunterricht "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" erteilt werden muss.
Die Beiratslösung widerspricht also eindeutig dem Wortlaut des Grundgesetzes. Die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf verweist darauf, dass sie nur eine Übergangslösung geschaffen hat, die bis zum 31. Juli 2019 befristet ist. Wenn sich bis dahin muslimische Religionsgemeinschaften bilden, mit denen das Land regulären und grundgesetzkonformen Religionsunterricht einführen kann, mag das Übergangsrecht einstweilen verfassungsrechtlich akzeptabel erscheinen.
Der hessische Integrationsminister Hahn bezweifelt aber, dass es so kommen wird. Die jetzt geschaffene Rechtslage entlasse die muslimischen Verbände vielmehr aus ihrer Verantwortung, Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes zu werden.
Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Schon die Entwicklung der letzten Jahre lässt Zweifel an dem Willen der muslimischen Organisationen aufkommen, Religionsgemeinschaften auszuprägen. Immerhin haben der Zentralrat der Muslime und der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 2005 ein Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Land NRW gewonnen, in dem es um islamischen Religionsunterricht ging (BVerwG, Urt. v. 23.02.2005, Az. 6 C 2.04).
Die islamischen Verbände nutzen ihre Chance nicht
Die Leipziger Richter konnten allerdings nicht abschließend entscheiden, ob die beiden Dachverbände Religionsgemeinschaften sind. Sie haben den Vereinen aber attestiert, dass sie durchaus Religionsgemeinschaften sein könnten und skizziert, wie ihre mitgliedschaftliche Struktur dazu aussehen müsste.
Ausdrücklich hat der 6. Senat hervorgehoben, dass nicht jedes Schulkind selbst einer muslimischen Gemeinschaft beitreten müsse. Es reiche aus, wenn die Eltern oder nur ein Elternteil förmlich Mitglied wären. Damit ist das Gericht den Wünschen der Muslime weit entgegengekommen. Die Verbände haben die Steilvorlage der obersten Verwaltungsrichter aber nicht genutzt und die Sache nicht weiter verfolgt.
Wenn es bei der Beiratslösung bleibt und nun dauerhaft, über 2019 hinaus, ein Islamunterricht angeboten wird, der inhaltlich nicht von Religionsgemeinschaften verantwortet wird, lässt sich der Widerspruch zu Art. 7 Abs. 3 GG nicht rechtfertigen. Dann verstößt das Land NRW auch gegen seine verfassungsrechtliche Pflicht zu religiöser Neutralität. Denn der staatsnahe Beirat steht für einen dem Land genehmen Islam. Er lässt solchen Muslimen, die sich von ihm nicht vertreten fühlen, kaum Chancen, Religionsunterricht im Sinne ihrer Glaubensvorstellungen durchzusetzen.
Das Land NRW ist deshalb gut beraten, wenn es die Befristung des Gesetzes ernst nimmt und den islamischen Verbänden nachdrücklich klar macht, dass sie bis 2019 Religionsgemeinschaften bilden müssen. Nur so kann der Islam zum festen Bestandteil des Unterrichts an öffentlichen Schulen werden.
Der Autor Prof. Dr. Stefan Muckel ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.
Kritik am islamischen Religionsunterricht: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5782 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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